Linke Medienkiste #43

Kriminalisierung von Armut

Niels Seibert hat in einem exzellenten Kurz-Essay im Neuen Deutschland die Kriminalisierung von Armut vor Gericht in Deutschland geschildert. Seibert hat sich dafür in Berlin-Tempelhof über 100 Verfahren mit geringfügiger Schadenshöhe (z.B. Lebensmitteldiebstähle im Wert von 4,40 Euro) oder der “Erschleichung von Leistungen” (z.B. ÖPNV-Fahren ohne Ticket) angeschaut. Fazit: die Klassengesellschaft lebt und wird von der Klassenjustiz zementiert. [–> LINK ZUM ARTIKEL]

Spitzel, Überwachung und Innere Sicherheit

Bereits im Jahr 2017 veröffentlichte ein Autor*innen-Team um Hannes Obens und Claudia Morar die Dokumentation “Im inneren Kreis”, die sich mit in linke Gruppen eingeschleuste staatliche Spitzel in Hamburg und Heidelberg beschäftigte. Dabei geht es weniger in Tatort-Manier um die Lösung unbekannter Verbrechen, sondern die der Öffentlichkeit weithin unbekannten, zerstörerischen Auswirkungen der Spitzeltätigkeiten auf persönliche Umfelder und Beziehungen. Der Film steht nun bis zum 1.7. in der ARD-Mediathek [–> LINK ZUR DOKU].

Zusammenfassung des Berichts zu Muslimfeindlichkeit

Wie in verschiedenen Medien berichtet wurde, hat das Bundesinnenministerium Mitte März 2024 den von einer Expert*innen-Kommission erarbeiteten Bericht zu Muslimfeindlichkeit vorläufig zurückgezogen, nachdem eine Reihe von in dem Bericht als antimuslimisch erwähnten Personen gegen diesen geklagten hatten [–> BERICHT].

Direkt nach seiner Veröffentlichung im Jahr 2023 hat die Initiative “Neue Deutsche Medienmacher” die sehr lesenswerten, zentralen Thesen des Berichts jedoch bereits zusammengefasst und als Leitfaden für seine medienschaffenden Mitglieder veröffentlicht [–> PDF].

Zur aktuellen Debatte um die RAF-Verfolgung

Momentan ist die konservative Presse und das entsprechende Parteienspektrum in Deutschland im RAF-Jagdfieber mit Sabber vor dem Mund. Wagenplätze und Wohnungen werden durchsucht, einige Leitmedien titeln schon wieder vom “Linksterrorismus” und Berlin-Kreuzberg als Wohnort wird zum “Hört des Bösen” ausgerufen.

Ich weiss nicht so recht, was ich dazu sagen soll, weil ich es angesichts der aktuellen riesigen politischen Probleme in diesem Land (Klima, Krieg, Armut, Rassismus usw.) völlig absurd finde, dass nun auf 3 (!) RAF-Mitgliedern in höherem Alter rumgeritten wird.

Ich möchte daher nur 3 kurze Sachen dazu sagen:

(1) 3 Ex-RAF-Mitgliedern stehen über 650 Neo-Nazis (Stand 2022, siehe Graphik) gegenüber, die mit Strafbefehl gesucht werden, und von den Sicherheitsbehörden “irgendwie nicht aufgefunden werden können”. Was ist da los bei den Sicherheitsbehörden? Auf dem rechten Ohr kein Anschluss unter dieser Nummer?

(2) Ist es für mich paradigmatisch, dass nach einer 6-wochen andauernden bundesweiten Mobilisierung gegen rechte Strukturen “plötzlich” die Jagd nach “linken” Ex-RAF-Leuten in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte rücken soll. No way Leute – die AfD gibts weiterhin, und eventuelle Sympathisant*innen bei den Sicherheitsbehörden in den dortigen rechten Netzwerken auch.

(3) Bleibt der Verweis auf die RAF als öffentlicher Angriffspunkte und Stigmatisierungsstrategie der konservativen-liberalen Freund*innen des Status Quo natürlich weiterhin bestehen – und verweist aus meiner Sicht darauf, dass die Geschichte der RAF und insbesondere ihre Form der Gewaltanwendung bis heute in der undogmatischen Linken nicht vernünftig aufgearbeitet ist. Eine Aufgabe für die nähere Zukunft.

Linke Medienkiste #42

Ich habe mal wieder ein paar Medien-Schnipsel zusammengetragen, die aus meiner Sicht lesens-, sehens- oder hörenswert sind.

AfD-Verbot und “Demos gegen Rechts”

Momentan befinden wir uns ja in einer Dynamik sich verstetigender Demos gegen Rechts, die mindestens bis zu den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September 2024 anhalten wird. Ein zentraler Kernpunkt vieler Demos ist die Forderung nach einem Verbot der AfD, um die organisatorische Struktur der AfD aufzulösen und ihre Unwählbarkeit rechtlich-repressiv herzustellen. Ich bin selbst politisch sehr ambivalent, was diese Maßnahme und Forderung angeht, hatte ich ja schon in einem der vorherigen posts angedeutet [–> LINK ZUM POST] – und habe mich daher sehr gefreut, dass das Komitee für Grundrechte und Demokratie, bei der ich seit kurzem auch angedockt bin, eine längere Stellungnahme verfasst hat, die die unterschiedlichen Ambivalenzen bezüglich eines AfD-Verbots berücksichtigt [–> LINK ZUM TEXT].

Armut und Reichtum

Ein Grossteil der medialen Berichterstattung über das gesellschaftliche Verhältnis von Armut und Reichtum besteht in Deutschland meist aus einer Mischung von Armutsvoyeurismus und ehrfürchtiger Reichtums-Abfeierei. Bei letzterem wird oft nicht ins Detail gegangen, was dieser Reichtum im Alltag bedeutet und woran besondere reiche Leute zu erkennen ist, wo sie sich rumtreiben und wie sie leben. Ich finde diese Informationen besonders wichtig, weil sie zeigen, dass nicht alle Leute in prekären oder armen Lebensverhältnissen leben, sondern es einigen Leuten in den gegenwärtigen Verhältnissen richtig gut geht. Und dass eine teilweise oder vollständige Enteignung dieser Personen ganz neue finanzielle Möglichkeiten bei einer linken Transformation der Gesellschaft eröffnen würde.

Das ZDF hat bereits Ende Dezember unter dem Titel “Die geheime Welt der Superreichen – Das Milliardenspiel” eine einstündige Doku von Julia Friedrichs und Jochen Breyer veröffentlicht, die in relativ detaillierten Interviews sowohl die Lebensweise als auch das Mindset von sehr reichen Leuten schildert und dabei die gebotene journalistische Distanz hält. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich mittelfristig jene politischen Kräfte durchsetzen, die in ihrem Wirken ebenfalls diese Distanz aufrechterhalten und das exorbitante Vermögen vieler dieser sehr reichen Leute vergesellschaften [–> LINK ZUM FILM].

Überwachung: Wahrheit und politische Praxis

Der Comedian Till Reiners widmet sich in einem seiner neuesten, sehr sehenswerten Stand-Up Comedy Stücke (ca. 8 Min.) dem Sinn von Kabaret und Stand-Up-Comedy als Teil gesellschaftlicher Wahrheitsfindung und Anreiz zur politischen Praxis für die Zuhörenden. Er geht dabei besonders auf Edward Snowdon ein, dessen politisches Agieren mit der Veröffentlichung der NSA-Überwachungspraxis ja darauf beruhte, dass sein Aussprechen der Wahrheit auch politische Effekte haben werde, was es aber nur bedingt tat. Auch wenn ich Reiners Haltung in der ganzen Sache teilweise etwas defätistisch finde, fand ich seine kulturpolitischen Reflexionen doch sehr wichtig.

Linke Debatte um ein AFD-Verbot

Bereits seit mehreren Monaten gärt in linken Zusammenhängen die Debatte um die linke Forderung nach einem staatlichen Verbot der AfD. Nach den jüngsten Veröffentlichungen von Correctiv über ein “Geheimtreffen” von rechten und rechtskonservativen Politikern, Neonazis und rechten Unternehmer*innen im November 2023, dass sich mit einer möglichen “Remigration”, also Deportation von rassifizierten Menschen beschäftigte [–> BERICHT], sind in Hamburg und Berlin nun spontan erste Mobilisierungen für ein AfD-Verbot losgegangen.

Ich selbst habe Anfang der Woche eine Diskussion zum Afd-Verbot und bin etwas zwiegespalten. Was denkt ihr dazu? Seid ihr dafür? Dagegen?

Meine bisherige PRO/CONTRA-Liste

CONTRA AFD-VERBOT (ich fang damit an, weil diese Position am Anfang des Reflexionsprozesses meine Meinung war):

1.) Die AfD im jetzigen Stadium, also mit ca. 30-40 Prozent in einer Reihe von Bundesländern, zu verbieten, wird wahrscheinlich als antidemokratischer Akt von jenen interpretiert, die AfD wählen oder mit dieser sympathisieren. Im Kern wird es das vermeintlich anti-hierarchische rechte Empowerment von Teilen der Bevölkerung gegen “die Eliten / die da oben” durch rechte und rechtskonservative Politik und Ansprachen bestätigen. Dieses wird bei vielen mindestens zu einer Erosion demokratischer Partizipation und Verfahren führen.

2.) Es gibt die Sorge um eine harte, evtl auch gewaltsame politische Eskalation im Falle eines AfD-Verbots, weil dann die parlamentarische Einhegung rechter und rechtskonservativer Milieus nicht mehr gegeben ist

3.) Die Geschichte der Parteienverbote in Deutschland umfasst auch das Verbot linker Parteien, beginnend mit dem KPD-Verbot in den 1950ern in der BRD. Wenn die AfD verboten wird, dann auf der Grundlage der Extremismustheorie und einer bestimmten liberal-zentristischen, am Status Quo orientierten Interpretation der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO): “das Hufeisen”. Dieses kann dann auch weiterhin gegen linke Parteien eingesetzt werden.

4.) Aus Bewegungsperspektive kann der primäre Kampf nicht für ein Verbotsverfahren sein, sondern für die Rückgewinnung linker Hegemonie in jenen gesellschaftlichen Zonen, die momentan von rechter Hegemonie dominiert werden. Der “Kampf um die Köpfe” wird auch bei einem gelungenen Verbotsverfahren geführt werden müssen.

PRO AFD-VERBOT

1.) Wenn es den Versuch gegen soll, die AfD mit legal-rechtsstaatlichen Mitteln zu stoppen, indem sie staatlich verboten wird, dann ist nach den correctiv-Veröffentlichungen wohl jetzt der Zeitpunkt, dieses zu pushen. Politisch schlimmer kann es auf der Absichtsebene nicht werden, wahltaktisch besser wahrscheinlich unter den gegeben Kräfteverhältnissen auch nicht.

2.) Das rechtsradikale Wirken der AfD und ihr gesellschaftlicher Resonanzboden stellen eine unmittelbare Bedrohung und Stigmatisierung von rassifizierten Leuten dar. Der permanente Rassismus, und die nun von allen Parteien außer der Linkspartei betriebene Hetze gegen Migrant*innen in der Migrationspolitik, und schließlich menschenrechtswidrige Deportationsphantasien dürfen nicht zum alltäglichen Standard werden, egal wie. Kein AfD-Verbot zu fordern kann als Akt der Entsolidarisierung mit rassifizierten Milieus verstanden werden.

3.) Deutsche Geschichte: die AfD steht in diesem Jahr vor 3 Wahlsiegen bei den Landtagswahlen und einem zweiten platz bei der Europawahl – und damit kurz vor einer Regierungsbeteiligung, wenn nicht sogar der Führung einer Mitte-Rechts-Koalition, wenn sich willige Bündnispartner*innen finden. Auch wenn ich historische Vergleiche zu 1933 und den Ermächtigungsgesetzen schräg finde, weil eigene Zeit und Akteurssetting, kann sich eine Pro-Verbots-Position doch auf die Fahne schreiben, alles mögliche vor einem Eintritt der AFD in Regierungspolitik getan zu haben, was momentan geht.

Soweit meine kurze Auflistung.

Nachlese Chaos Communication Congress (27.-30.12.23, Hamburg)

Ich war vom 28.-30.12.23 auf dem Chaos Communication Congress in Hamburg – einem der größten Hacker-Events weltweit. Auf dem Kongress treffen sich unterschiedlichste Gruppen, die sich mit den Themen Hacking, Digitalisierung und linke Politik beschäftigen. Ich war war 2015 schon einmal auf dem CCC – muss aber sagen, dass ich jetzt beim zweiten Mal einen viel besseren Eindruck gewonnen habe, vor allem weil die Kongressteilnehmenden sehr viel diverser waren, insbesondere der Frauen*-Anteil hatte deutlich zugenommen. Statt einem mehrheitlichen “white nerd-boys club” war es nun die “coloured hactivist community”, die sich dort traf.

Im folgenden möchte ich auf ein paar Vorträge und Initiativen hinweisen, die ich auf dem Kongress gesehen habe.

Arbeit des Chaos Computer Clubs (CCC)

Wird zu selten gemacht, darum umso beeindruckender: der Chaos Computer Club lässt seine Arbeit der letzten 4 Jahre Revue passieren. Vom Kampf gegen den Bundestrojaner über den Konflikt um eine datensparsame Corona-WarnApp bis zu Klagen vor den Verfassungsgerichten für eine möglichst anti-autoritäre Gestaltung der Digitalisierung: der CCC war dabei und hats gemacht. Ein guter Einstieg in die Debatten der letzten Jahre. [–> LINK ZUM VIDEO DES VORTRAGS]

Digitale Gewalt / Anti-Stalking

Anne Roth hat in ihrem Vortrag zu digitaler Gewalt aus feministischer Perspektive die Entwicklung der Debatte bis zum heutigen Tag sehr eindrücklich nachgezeichnet – kann ich sehr empfehlen [–> LINK ZUM VIDEO DES VORTRAGS].

Anne erwähnt auch eine sehr gut gemachte Beratungs-Seite gegen digitales Stalking, gemacht von dem feministischen “Haecksen”-Kollektiv. Sieht super aus, see here [–> LINK ZUR WEBSITE]

Politische Hoffnung

Auch wenn der CCC viel aus der Weitergabe von technischer Expertise besteht, gibt es auch explizite politische Panels wie den Pep Talk “A new Hope”, der Aktivist*innen aus unterschiedlichen Feldern zusammenbrachte und darüber reden liess, was Ihnen für die nähere Zukunft noch politische Hoffnung gibt. Herausgekommen ist ein wie ich finde sehr gutes Zusammenspiel der Situation in den unterschiedlichen Bewegungsteilen.

Hier die Ankündigung des Panels: “Hinter der Stadt brennt der Wald und der Kanzler hetzt gegen Flüchtende wie eine auf Reddit trainierte KI, der Freundeskreis zerbricht am Nahostkonflikt, außerdem wurde das Backup vergessen und das Kilo Tomaten ist auch schon wieder einen Euro teurer. Gründe zum Verzweifeln gibt es genug. Wir sprechen deshalb mit Aktivist\*innen, die sich den multiplen Krisen entgegenstellen, darüber, was sie eigentlich noch hoffen lässt.” [–> LINK ZUM VIDEO DES PANELS]

Kritik an anti-muslimischem Rassismus und law-and-order-Politik gegenüber muslimischen Communities

Anti-muslimische Angriffe auf communities und Moscheen

Während in den letzten Wochen primär über die antisemitischen Anschläge auf jüdische Einrichtungen berichtet wurde, fanden zeitgleich auch erneute rechte Anschläge auf muslimische communities und Moscheen in Deutschland statt. Beispielhaft dokumentiere ich hier vier Angriffe aus NRW:

Um aus der gegenwärtigen Konfliktdynamik herauszukommen, ist es m.E. unerlässlich, auf die fortgesetzte anti-muslimischen Angriffe und Stigmatisierungen hinzuweisen.

Demonstrationsverbote und der Kampf um Demonstrationsfreiheit

Seit dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 sind in Deutschland eine Reihe von pro-palästinensischen Demonstrationen im Vorhinein verboten worden. Begründung war, dass es auf den Demonstrationen zu “antisemitischen Äußerungen” kommen könnte. Wie der Soziologe Peter Ullrich jedoch argumentiert, ist diese präventiv-repressive, staatliche Vorgehensweise durch das Versammlungsrecht nicht gedeckt, da sie a) sämtliche Demonstrationsteilnehmer*innen unter einen antisemitischen Generalverdacht stelle und b) selbst wenn nur angenommen würde, dass sich ein Teil der Demonstrationen antisemitisch äußern könnte, dieses kein Verbot gesamter Demonstrationen rechtfertige:

“Das Differenzierungsgebot aus dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die Polizei dazu, selbst bei Gesetzesverstößen eines Teils der Teilnehmer*innen das Demonstrationsrecht der anderen zu schützen. Großflächige Verbote schon im Vorhinein allein aufgrund eines Themas, eines Regionalbezugs oder wegen zu erwartender Wut (so frühere Begründungen) widersprechen dem Versammlungsrecht.

Schließlich kann die Polizei auch reaktiv – und differenziert – einschreiten, falls nötig, oder vorher Auflagen erteilen. Dies gilt gerade bei den hier relevanten Meinungs- und Äußerungsdelikten, denen anders als Gewalttaten durchaus im Rahmen des Differenzierungsgebotes «in Ruhe» polizeilich begegnet werden kann. Auch Palästinenser*innen und Kritiker*innen der israelischen Politik gegenüber den Palästinenser*innen müssen ihren Unmut artikulieren können. Dies ist unhintergehbar in einem demokratischen Versammlungsrecht. Selbstredend sind sie nicht alle Hamas-Unterstützer*innen und Judenhasser*innen.” [–> GESAMTER TEXT]

Law-and-order Politik gegenüber muslimischen Communities: Kritik an Habecks Rede

Wirtschaftsminister Habeck hat am 01.11.2023 ein vielbeachtete Rede zu den aktuellen Auswirkungen des Nahost-Konflikts auf deutsche Innenpolitik gehalten. Ich finde Habecks Rede in Bezug auf Antisemitismus und den Bezug Deutschlands zum Existenzrecht Israels und dem jüdischen Schutzanspruch relativ gelungen – in Bezug auf anti-muslimischen Rassismus jedoch untragbar.

Die von Habeck vorgebrachten, abstrakt-generalisierenden Drohungen mit Knast und Abschiebungen gegen “antisemitische Muslime” sind nicht mehr als rassistisch getragene law-and-order Statements, die den auch ohne eskalierenden Nahost-Konflikt stattfindenden Rechtsruck in der deutschen Migrationspolitik weiter pushen. Solche Aussagen entsprechend in keiner Weise den Grauzonen weiter Teile gegenwärtiger pro-palästinensischer Debatten in Deutschland zwischen Ablehnung der Hamas-Angriffe über die jahrelange Forderung nach einem Ende der Besatzung bis zu Forderungen nach einem Ende der gegenwärtigen Angriffe auf Gaza.

Hinzu kommen von Habeck suggestive und aus meiner Sicht skandalöse “Integrationsangebote” wie “wenn der Staat Euch vor Nazis beschützen soll, dann dürft ihr aber auch keine Juden angreifen”, was grundrechtlich hanebüchen und angesichts der Vielzahl rechter Angriffe auf Muslime auch empirischer Unsinn ist – und dazu eine permanenten Angriffswilligkeit von Muslimen rassistisch unterstellt. Im Umkehrschluss muss nur wenige Jahre nach dem staatlich tolerierten Morden von rassifizierten Leuten durch den nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) vielmehr gefragt werden, welche Lehre Habeck eigentlich aus den Verfehlungen der Verfassungsschutzämter gezogen hat, wenn er solche Sätze formuliert.

Habecks Rhetorik wirkt differenziert und benennt fast alle Topoi des aktuellen Diskurses, incl dem aktuellen antisemitischen Stillhalten der AfD (trotz Gaulands antisemitischem “Fliegenschiss”-Statement zum Holocaust vor ein paar Jahren), sie unterschlägt aber zentral den anti-muslimischen Rassismus, den die AfD und er in seinem staatstragend-drohenden Statement strukturell teilen.

In gewisser Form erinnert Habecks law-and-order Rede an die Positionierung der Grünen zum Kosovo-Krieg Ende der 90er Jahre: damals wurde über “die Lehre aus Ausschwitz: nie wieder Massenmord” die NATO-Kriegsbeteiligung in Jugoslawien legitimiert, jetzt über den Abstosspunkt “Holocaust und Judenverfolgung” eine verschärfte Migrationspolitik und eine rassistische law-and-order-Politik gegenüber Muslimen.

Linke Positionierung gegen die rassistische These eines “importierten muslimischen Antisemitismus” in Deutschland

Community-übergreifender, linker, antifaschistischer Teilkonsens

Angesichts der momentanen anlaufenden, neuen Welle antimuslimischen Rassismus in Deutschland und der damit einhergehenden unsäglichen rassistischen Debatte um “importierten Antisemitismus” durch Muslime ist es aus meiner Sicht zentral, zu betonen, dass der Schutz jüdischen Lebens bereits jetzt ein plural verorteter, antifaschistischer Konsenspunkt von linken Gruppen und Einzelpersonen über die unterschiedlichen community- und Szene-Grenzen hinweg ist.

Dieser antifaschistische Konsens existiert schlicht bzw hat sich in Deutschland historisch herausgebildet – in Teilen der weiß-deutschen Bevölkerung wie in den linken Teilen jener migrantisierten und rassifizierten communities, die jetzt angetrieben vom Rechtsradikalismus der AfD und getragen vom bürgerlich-abgeschwächten Rechtspopulismus der Alt-Parteien (Ausnahme Linkspartei) als “muslimisch”, “palästinensisch”, “arabisch” und damit automatisch als “antisemitisch” gebrandmarkt werden.

Solidarische Unterstützung und Sichtbarmachung antifaschistischer Kräfte

Daher ist es aus meiner Sicht gerade in Zeiten rassistischer Kampagnen Aufgabe von weiß-deutsch identifizierten Linken, aktiv solidarisch auf migrantisierte oder rassifizierte Leute zuzugehen und öffentlich auf diese hinzuweisen, die sich in den jeweiligen communities bereits antifaschistisch äußern.

Aus meiner Sicht bedeutet diese Form der solidarischen Unterstützung einen ersten zentralen Schritt anti-rassistischer Praxis, weil gesamtgesellschaftlich wirksame, homogen-rassifizierende Bilder von Gruppen dadurch unterlaufen werden können, dass Einzelpersonen oder Gruppen angeführt werden, die gängigen Klischees widersprechen.

Beispielhaft möchte ich daher auf Ferat Kocak verweisen, langjähriger antifaschistischer und solidarischer Aktivist und Abgeordneter der Linkspartei aus Neukölln [–> hier twitter account], der nach den Anschlägen auf die Synagoge in Berlin-Mittte folgendes twitterte:

Abstand von homogenisierenden, autoritären Erziehungsdebatten

Darüber hinaus ist es aus meiner Sicht nicht zielführend, wenn Linke sich an staatlich gestützten Erziehungsdiskursen beteiligen, die auf der Grundlage der Homogenisierung migrantischer Communities, einem pauschalen “Antisemitismusverdacht” und damit einer rassistischen Stereotypisierung das politische Ziel ausgeben wollen, rassifizierte oder “muslimisch” identifizierte Leute oder gar Gruppen oder Bevölkerungsteile pauschal über Antisemitismus belehren oder gar “antifaschistisch aufklären zu wollen”.

Die einer solchen Vorgehensweise zu Grunde liegenden rassistischen Homogenisierungstendenzen von vermeintlichen “muslimischen Antisemit*innen” sind nicht nur diskriminierend, sie machen auch potenzielle linke Bündnispartner*innen in den jeweiligen communities unsichtbar, weil diese in antirassistische Verteidungsposition gedrückt werden.

Daher muss gerade in Zeiten des gesellschaftlichen Rechtsrucks in Deutschland darauf beharrt sein, dass eine angemessene “Strategie gegen Antisemitismus” gesamtgesellschaftlich angelegt sein muss. D.h. sie muss unterschiedliche politische sozio-ökonomische, politisch-organisatorische und identitäre Kontexte differenzieren, in denen Antisemitismus entsteht. Und sie muss in der Form der sozialen Interaktion den permanenten antimuslimischen Alltagsrassismus in den Blick nehmen, der jegliche Form der politischen Kommunikation zwischen “weißen” und migrantisierten Menschen über das Thema prägt.

Gefahr: Unsichtbarmachung des weiß-deutschen Antisemitismus

Geschieht dieses nicht, bleibt der rassistische Blick an “den Muslimen” hängen, was de-facto die Unsichtbarmachung der antisemitischen Geschichte Deutschlands und darin besonders des Holocausts bedeutet. Dazu gehören auch die antisemitischen Kontinuitäten nach 1945 in der BRD bis zum heutigen “weiß-deutschen”, rechten und verschwörungstheoretisch getragenen Antisemitismus, der quantitativ immer noch den größten Anteil antisemitischer Gewalt- und Straftaten und öffentlicher Meinungsäußerungen in Deutschland darstellt.

Werden diese, in der weiss-deutschen Geschichte und Gesellschaft verankerten, zentralen Bedingungen von Antisemitismus außer Acht gelassen, setzt sich die selektive Wahrnehmung der gegenwärtigen, antimuslimisch dominierten Antisemitismus-Debatte durch. Das “Bündnis gegen jeden Antisemitismus und Rassismus Hamburg” Mitte Oktober 2023 formulierte dies anlässlich einer Solidaritätskundgebung für die Betroffenen der Eskalation im Nahen Osten sehr treffend: “Deutschland inszeniert sich als Vorkämpfer gegen Antisemitismus, dabei ist die Geschichte Deutschland eine Geschichte antisemitischer Gewalt”.[–> GESAMTER AUFRUF]

Der eskalierende Nahost-Konflikt und seine politischen Folgen in Deutschland: antifaschistische Aktionen gegen Antisemitismus

Das Zusammenfallen der Angriffe der Hamas mit den jüngsten Wahlerfolgen der AfD und einem sich massiv verschärfenden neokonservativen Migrationsdiskurs haben zu einer relativ unübersichtlichen Gemengelage in Bezug auf die Folgen des eskalierenden Nahost-Konflikts in Deutschland geführt. Ich dokumentiere dieses erstmal nacheinander her, um die unterschiedlichen Dimensionen des allgemeinen Rechtsrucks zu benennen.

Antifaschistische Mahnwachen gegen antisemitische Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Deutschland

Auch wenn es meines Erachtens Bezugspunkt einer linkspolitischen Debatte sein muss, die politischen Äußerungen zum gegenwärtig eskalierenden Nahost-Konflikt zu verstehen und zu gewichten, gibt es doch Handlungen in den letzten 3 Wochen in Deutschland, die unmissverständlich geächtet gehören. Hierzu gehören aus meiner Sicht die physischen Angriffe auf jüdische Einrichtungen, am prominentesten der versuchte Brandanschlag auf die jüdische Gemeinde Kahal Adass Jisroel in Berlin-Mitte am 18.10.2023.

Nach dem deutschen Nationalsozialismus und der Shoah muss es aus meiner Sicht politischer Konsens sein, dass Anschläge auf jüdisches Leben keinerlei Akzeptanz und diskursive Interpretationsfläche auf Täter*innen-Seite genießen, sondern schlicht unterbunden werden müssen. Ich fand daher die Mahnwache vor der Synagoge in Kreuzberg direkt nach den Hamas Angriffen sehr gut, und habe mich sehr über die Mahnwache vor der Synagoge in Berlin-Mitte nach den Brandanschlägen gefreut:

Antisemitismus in Deutschland

Während viele gegenwärtige rechtsradikale und rechtsoffene Debatten über die Angriffe der Hamas in Deutschland den Blick auf einen “muslimischen Antisemitismus” lenken, betonen viele linke Beiträge in Absetzung davon, dass der Großteil antisemitischer Gefahr und Diskriminierung in Deutschland von rechten und rechtsradikalen Akteuren ausgeht. Dieses zeigt auch der Blick in die Kriminalstatistik.

Erinnerung an die Situation der israelischen Geiseln

Durch die mit kurzem zeitlichen Abstand erfolgte Dynamik von Hamas-Angriff und der kriegerischen Reaktion der israelischen Armee durch ihren Angriff auf Gaza tritt schnell in den Hintergrund, dass sich immer noch 200 Geiseln in der Gewalt der Hamas befinden, deren Schicksal bisher unklar ist. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Geiseln im Falle einer israelischen Bodenoffensive nach Gaza hochgradig gefährdet sind, denn laut Schilderung der bisher freigelassenen Geiseln sind diese im Tunnelsystem unter Gaza eingesperrt – was aber auch bedeutet, dass diese bei einem beginnenden Bodenkrieg in Gaza in zusätzliche Lebensgefahr kommen würden. Momentan lassen sich in Berlin an vielen Orten – aber auch in Werbespots auf youtube – Plakate finden, die auf Einzelschicksale der über 200 Geiseln hinweisen.

Der Angriff der Hamas und die militärische Offensive der israelischen Armee – linke, israelische/jüdische Stellungnahmen

Der militärisch geplante und durchgeführte Angriff der Hamas auf Israel mit über 1.400 Todesopfern ist mittlerweile 19 Tage her, und die meisten öffentlich mit den Angriffen beschäftigten linken Leute sind immer noch dabei, den Schock zu verarbeiten und Positionen zu entwickeln oder eine weitere militärische Eskalation der politischen Situation durch bereits laufende Angriffe der israelischen Armee auf Gaza mit über 4.000 Todesopfern unmittelbar zu stoppen.

Nachdem ich unmittelbar nach den Hamas-Angriffen bereits eine erste Sammlung von Stellungnahmen online gestellt hatte [–> LINK], dokumentiere ich im folgenden neue Stellungnahmen, die ich für eine internationalistisch-solidarische Debatte zur aktuellen Situation weiterführend finde. Ohne dass ich dieses vorher so geplant hatte, stehen in dieser Sammlung inner-israelische und jüdische Stellungnahmen im Mittelpunkt.

Ausgangssituation: brutal, einschneidend und komplex

Der in Tel Aviv lebende israelische Autor Etkar Keret hat in einem Interview mit dem RBB darauf hingewiesen, dass es für ihn inakzeptabel ist, die Gräueltaten der Hamas so stark zu intellektualisieren, dass deren Brutalität quasi “wegerklärt” wird.

Gleichzeitig weist er darauf hin, dass die Anschläge für ihn in unterschiedlicher Form eine politische Zäsur darstellen, die in ihren komplexen Folgen erst einmal verarbeitet werden müsste. Es sei nicht die Zeit für schnelle, bürokratisch anmutende “Lösungen”, die meist den Zielen der politischen Rechten entsprächen, sondern die Zeit für eine solidarische Verarbeitung der politischen Ereignisse im Sinne eines “Weckrufes” seit dem 07. Oktober 2023.

Das ganze Interview mit Etkar Keret findet ihr hier [–> LINK].

Solidarische Unterstützung von Betroffenen und Verteidigung eines linken Humanismus

In ähnlicher Form hat der in Berlin lebende Autor und Journalist Hanno Hauenstein, der für unterschiedliche Tageszeitungen als Journalist aus Israel berichtet hatte, in einem sehr lesenswerten Beitrag für die linke Monatszeitschrift “Analyse und Kritik” kurz nach dem Angriff der Hamas daraufhin gewiesen, dass dieser Angriff ein massives Kriegsverbrechen darstellt und langfristige EInschnitte, Verlust und Traumatisierungen für die Betroffenen bedeutet.

Umso wichtiger sei daher zum einen deren solidarische Begleitung – zum anderen müsse eine globale Linke aktiv daran arbeiten, ihren Humanismus auch im Angesicht der Gräueltaten der Hamas und der permanenten Entrechtung der Palästinenser*innen nicht zu verlieren. .

Den gesamten Beitrag findet ihr hier [–> LINK]

Hamas-Angriff als zentraler Bezugspunkt einer neueren Nahost-Debatte

Der in Berlin lebende israelische Journalist und Forscher Yossi Bartal hat in einem lesenswerten Beitrag auf Twitter/X [–> GESAMTER BEITRAG] in 10 Thesen davor gewarnt, dass die neuere militärische Eskalation durch Hamas nach Jahren der israelisch-palästinensischen Versöhnungsarbeit in spaltende nationalistische Sackgassen führen könne. Dieser Tendenz müsse sich vehement entgegengestellt werden.

Gleichzeitig gäbe es aus linker Perspektive keinen Weg darum herum, eine Position politischer Trauer zu den Gräueltaten der Hamas zu entwickeln – selbst wenn diese von der politischen Rechten in Israel für die eigene militaristische Agenda genutzt werden könne – und auch wenn es einen seit Jahren innerisraelisch kritisierten, politischen Besatzungs- und Entrechtungskontext auf Seiten der Palästinenser gebe. Letzterer rechtfertige jedoch nicht die Massaker der Hamas in Israel:

Es sei daher die Aufgabe einer internationalistischen-solidarischen Linken, trotz des Schocks und der bereits erfolgten rechten Offensiven und politischen Polarisierungen auf beiden Seiten eine differenzierte Position zum gegenwärtigen Geschehen zu entwickeln:

Den auch ohne Twitter-Account vollständig einsehbaren Beitrag von Yossi Bartal findet ihr hier [–> LINK]

Retraumatisierungstendenzen und psychologische Kriegsführung durch Brutalität der Hamas-Angriffe

Die in Frankfurt am Main lebende jüdische Autorin Laura Cazés hat in einem lesenswerten X-Beitrag (leider nur auf Englisch) darauf hingewiesen, dass die Brutalität der Hamas Angriffe in der jüdischen community zu erheblichen Verunsicherungen und Ängsten geführt habe. Diese bestehen nicht nur darin, Sorge um die eigene aktuelle Sicherheit zu haben, sondern aktiviere eine Ebene der intergenerational weitergegebenen Holocaust-Erfahrung, die von Tod, Brutalität und emotionaler Kälte der deutschen Vernichtungspolitik gezeichnet sei.

Den vollständigen Beitrag von Laura Cazés findet ihr hier [–> LINK].

Israelische Innenpolitik als Bedingungskonstellation

Der israelische Historiker Moshed Zuckermann hat in einem lesenswerten Interview mit der Wochenzeitung WOZ unter dem Titel “Es bleibt nur der Friedensweg” vehement darauf hingewiesen, dass die israelische Politik gegenüber den Palästinensern seit Jahrzehnten keine ernsthafte Friedenspolitik sei, sondern von rechten Kräften bestimmt werde, deren Politik auf einem oberflächlichen “Sicherheitsfetisch” beruhe.

Dieser Fetisch bestehe darin, dass die israelische Rechte immer wieder auf mögliche Angriffsszenarien von Palästinenser*innen hinweise und damit einer kontinuierlichen Militarisierung das Wort rede, gleichzeitig aber Palästinenser*innen konsequent entrechte und selbst in den besetzten Gebieten siedele. Diese sorge im Ergebnis für eine permanente Unsicherheits- und Eskalationssituation [–> INTERVIEW].

Zur Wagenknecht-Partei-Abspaltung von der Linkspartei

Auch wenn ich es als schmerzhaft empfinde, wenn sich selbst als “Linke” verstehende Leute auseinanderdividieren und – wie am Montag dann passiert – voneinander abspalten, muss ich nach der Wagenknecht-Partei-Pressekonferenz [–> AUFZEICHNUNG] und der Reaktion durch einen der zwei aktuellen Linkspartei-Vorsitzenden Martin Schirdewan [–> AUFZEICHNUNG] sagen, dass die Trennung von Wagenknecht & friends von der Linkspartei für mich ein guter Schritt ist. Auch wenn ich natürlich die Sorge haben, dass sich bei den nächsten Wahlen die Stimmen zu Ungunsten der “neuen Linkspartei” (also dann post-Wagenknecht) verteilen und diese dann nicht mehr in den Parlamenten vertreten ist.

Wenn es denn so kommt, wäre es natürlich ein Drama – das zeigen eigentlich alle Ländern ohne linksparteiliche Repräsentanz in den Parlamenten. Sowohl für die Arbeit in den Parlamenten – und selbst wenn die primäre Aufgabe “nur” eine “watchdog”-Funktion ist – als auch für Bewegungsstrukturen, die immer wieder bei der Organisierung, öffentlichen Artikulation und Durchsetzung ihrer Interessen gesellschaftspolitisch in der Luft hängen und ihre Vorhaben “nur” aus sich realisieren können.

Wagenknechts Querfront-Positionen

Ich finde es angesichts der heute erfolgten Abspaltung dennoch wichtig, sich bei dem kräftezehrenden neuen Aufbruch der Linkspartei vor Augen zu führen, dass die “alte Linkspartei” sollbrüchig war – dass also die Aufreibung einer (1) bisherigen Linkspartei-Position, die global-solidarisch nach außen und zumindest kapitalismuskritisch bis -überwindend nach innen ist mit (2) einer von Wagenknecht als Leitfigur artikulierten Position, die nationalstaatlich-protektionistisch nach außen und pro-kapitalistisch mit sozialem Ausgleich und rassistischen Forderungen nach innen ist, zum Ende der Linkspartei als Gesamtprojekt geführt hätte.

Wagenknechts Position ist aus meiner Sicht eine klassische Querfront-Position, mit der es ist, wie es ist: einige Position sind vertraut, einige findet mensch gut, bei anderen setzt der Kotzreiz unmittelbar und direkt ein, andere wiederum werden nur politischen Gegner*innen vertreten. Insofern war und ist Wagenknecht eine “politische Wundertüte”, weil mensch nie weiss, ob sie gleich was latent rechtes oder linkes sagt.

Und um es gleich deutlich hinterher zu sagen: die globalen politischen Krisen und Probleme sind so massiv und werden auch von so vielen linken Leuten als gravierend bis menschheitsbedrohend wahrgenommen, dass es dann schwachsinnig bis verantwortungslos ist, “politische Wundertüten” an zentralen Diskurspositionen sitzen zu haben. Einfach weil diese nerven und viel Kraft kosten. Und inhaltlich stabile Positionen permanent unterlaufen, eindimensional statt intersektional argumentieren und von anderen Leuten (!) dann erklärt und kontextualisiert werden müssen.

Inhaltlicher Dissenz zu den skizzierten Positionen der Wagenknecht-Partei

Als linker, außerparlamentarischer Unterstützer der Linkspartei freue ich mich daher auch über die Wagenknecht-Abspaltung, denn sie spart auch meine Energie und Kraft, irgendwelche kruden oder rechten Thesen kritisieren zu müssen. Ich habe heute bei der PK kein Wortprotokoll geschrieben, aber aus dem Gedächtnis sind mir folgende Dissenze zu den von Wagenknechts Wahlverein skizzierten Grundpositionen im Gedächtnis geblieben:

  • eine von mir befürwortete, global-solidarische Wirtschaftsorganisation statt der Rettung des “Exportweltmeisters Deutschland” (Wagenknecht)
  • eine ernsthafte solidarische, anti-militaristische und friedenspolitische Ausrichtung von Außenpolitik statt einer Verkürzung des Russland-Ukraine-Kriegs auf die Fragen der eigenen Energieversorgung (Wagenknecht)
  • eine Ambivalenz von Marginalisierung und Bekämpfung rechter Strukturen einerseits und Bildungs- und Emanzipationsbemühungen gegenüber rechten Praxen andererseits anstatt der “die Verhältnisse und die Ampel-Politik haben die Leute so wütend gemacht, dass sie jetzt rechts wählen – diese Leute müssen gerettet werden”-Position von Wagenknecht.

Die Antifa-Debatte der frühen 1990er endete ja in der oben beschriebenen ersten ambivalenten Position – und zwar erst nachdem rassifizierte Leute den Kartoffel-Antifa-Diskurs massiv darauf hin hingewiesen hatte, dass die reine, meist weiße sozialpädagogische Betrachtung von Neo-Nazis als “Opfer von Verhältnissen” vergesse, dass diese “Opfer” mit ihren gewalttätigen Praxen eine Lebensgefahr für sie darstellten. Auf heute und die Wählerinnen-Stimmen-Orientierung der politischen Parteien bezogen: wer rechts redet oder AfD wählt, sollte mit Distanz und nicht primär “als Opfer” behandelt werden, weil rechte Wähler*innen alleine durch ihr Wahlverhalten einem rassistischen, rechtspopulistischen Diskurs das Wort reden, der migrantisierte und rassifizierte Leute bereits hart und bis in die letzte Pore ihres Alltags abwertet und diskriminiert.

Schluss: neue inhaltliche Stabilität und politische Freiräume nutzen

Aber ich weiss: Sahra Wagenknecht ist keine antirassistische Antifa-Aktivistin, sondern eine extravagante deutschland-orientierte Publizistin, die in den letzten Jahren nicht wirklich bewiesen hat, dass sie in der Lage ist, sich politisch zu organisieren oder kollektive politische Positionsbildungen jenseits ihrer eigenen Gehirnleistungen zu respektieren. Aber wie heisst es so schön: das ist alles nicht mehr das Problem der “neuen Linkspartei”, sondern des neuen wagenknechtschen Wahlvereins. Die “neue Linkspartei” kann sich nun auf stabilerer Grundlage und mit der neu gewonnenen Freiheit von Wagenknechts Persönlichkeits-Schauspiel den wirklich wichtigen Fragen einer globalen linken Systemtransformation und deren politischer Gestaltung insbesondere im und durch den Kampf gegen Rechts widmen. Meine Unterstützung hat sie dafür.