Heute jährt sich der rechtsradikale Anschlag von Hanau zum dritten Mal. Ich habe hierzu ein paar Quellen zusammengetragen, die die erinnerungspolitische Arbeit vieler Initiativen und Einzelpersonen und den multikulturellen, antirassistischen und antifaschistischen Impetus der Erinnerungs-Debatte dokumentieren:
Initiative 19. Februar
Rund um Hanau hat sich direkt nach dem Anschlag die “Initiative 19. Februar” gegründet, die sowohl die erinnerungspolitische Arbeit als auch den politischen Willen der Angehörigen nach politischer Aufklärung der Tat vorantreibt. Die Arbeit der Initiative könnt Ihr Euch hier anschauen. [–> WEBSEITE DER INITIATIVE]
Bildungsinitiative Ferat Unver
Serpil Temiz-Unvar, die Mutter von Ferat Unvar, einem der Mordopfer von Hanau hat als Reaktion auf die rassistische Ermordnung ihres Sohnes zusammen mit Freund*innen von Ferat eine antirassistische Bildungsinitiative für den Schulbereich in Deutschland gegründet. In einem Interview erzählt sie “von ihrem Sohn Ferhat, der Zeit nach dem Anschlag und ihrem Kampf für eine antirassistische Gesellschaft, den sie ihrem Sohn Ferhat gewidmet hat”.
Migrantische Selbstorganisation von den Angehörigen der Opfer rechter Gewalt
Im Mittelpunkt vieler rechter Anschläge stehen als “fremd” rassifizierte Deutsche. Für viele Angehörige dieser Opfer ist die migrantische Selbstorganisation ein zentraler Aspekt, um den Schmerz und den fremdenfeindlichen Hass, der aus den Anschlägen hervorgeht, zu bewältigen. Newroz Duman, Aktivistin der Initiative 19. Februar in Hanau und İbrahim Arslan, Aktivist und Überlebender der rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992, haben hierüber eine sehr lesenswerte Denkschrift verfasst:
“Mit unseren Kämpfen der vergangenen Jahrzehnte, mit unserem Widerstand und unserer aufbauenden ermutigenden Arbeit, konnten wir weitere Betroffene davon überzeugen, gegen die Gedenkkultur der Behörden, die die Opfer allein als passive Menschen behandeln, aktiv aufzustehen und sich zu wehren. Trotz des Fortlebens der terroristischen Rechten, die nicht aufhört, immer mehr Menschen aus unserer Mitte und unseren Herzen zu reißen, mobilisierten und organisierten wir betroffene Familien. Trotz all dessen und noch viel mehr, haben sich die Betroffenen nicht unterkriegen lassen und es werden mehr und mehr solidarische tragfähige Strukturen erkämpft.” [–> GESAMTE DENKSCHRIFT]
Trauma und Gewalterfahrung
Jedes rechte Attentat bringt nicht nur Todesopfer, sondern auch traumatisierte Menschen mit sich, die jahrelang mit der Aufarbeitung der rechten Gewalt verbringen. Einen Einblick, was dieses bedeuten kann, gibt das Interview mit Piter Minnemann, der sich in der Bar in Hanau aufhielt, in der mehrere Menschen von dem rechten Attentäter erschossen wurden. Er schildert eine doppelte Ohnmacht: gegenüber dem rechten Anschlag auf sein persönliches Umfeld und dann gegenüber der Ignoranz der zuständigen Behörden:
Verortung des Anschlags von Hanau im rechten und rechtskonservativen Diskurs der BRD
Dunja Ramadan hat 2020 direkt nach dem Anschlag von Hanau einen sehr lesenswerten Kommentar zur Anbindung und Legitimierung rechter Terroranschläge durch die aktuelle Politik der AfD einerseits und den bereits vorher jahrzehntelang von rechtskonservativen Kräften wie der CDU betriebenen, öffentlichen Rassismus gegen Einwander*innen andererseits geschrieben:
“Der rechte Terror von Hanau ist für Menschen mit Migrationsgeschichte keine Überraschung. Er ist das Gegenteil. Er ist eine Saat, die aufging. Die AfD hat den Diskurs um Migration und Islam radikalisiert, aber nicht begonnen. Sie hat zugesehen, wie diese Saat gedeiht. Sie hat die braune Erde, in der sie keimt, gedüngt und weitere Samen ausgebracht. Doch seit Jahrzehnten führen Politiker aller Parteien und viele Medien in Deutschland die immer gleichen Debatten: Sind wir ein Einwanderungsland? Gehört der Islam zu Deutschland? Das sind keine ergebnisoffenen Fragen, die man stellt, weil man sie in einer freien Gesellschaft eben stellen darf und weil man Interesse an einer fruchtbaren Diskussion auf Augenhöhe hat. Das sind Fragen, die spalten und ausgrenzen – die Gräben aufreißen, die sich schwer wieder schließen lassen. Das sind Fragen, die Antworten vorwegnehmen. [–> GESAMTER KOMMENTAR]
Verkürzt: die These von “psychisch kranken Einzeltätern”
Nach vielen rechten Anschlägen werden Psychogramme der Täter*innen erstellt und auf deren vermeintliche psychische Erkrankungen fokussiert, wodurch die Einbettung der jeweiligen rechten Taten in ein Geflecht von rechten Organisationen und rassistischen Diskursen oftmals aus dem Blick gerät. Die Sendung “Monitor” hat hierzu einen sehr guten kurzen Clip (4:30 min) produziert: