Stellungnahme: “Strukturellen Rassismus in den Sicherheitsbehörden ernst nehmen und bekämpfen. Solidarität mit der Lehrbeauftragten Bahar Aslan in NRW*”

Der Fall von Bahar Aslan, einer Lehrbeauftragten für “interkulturelle Kompetenzen” an einer Polizeihochschule in NRW, hat in den letzten Wochen hohe Wellen in der deutschen Öffentlichkeit geschlagen [–> BERICHT]. Aslan hatte Ende Mai auf twitter aus rassifizierter Perspektive ihre Angst und die ihres Freundeskreises vor der deutschen Polizei beschrieben:

„Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freund*innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land. Polizeiproblem.”

Darauf erfolgte – maßgeblich ausgelöst durch einen Artikel im Focus [–> NACHBERICHT] – ein rechter Shitstorm gegen Aslan in den sozialen Medien wegen “pauschaler Verunglimpfung der Polizei”, an der sich auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei NRW an vorderster Front beteiligte. Daraufhin entschied die Polizeihochschule, Aslans Lehrauftrag nicht zu verlängern.

Aus einer gesellschaftskritischen, sozialwissenschaftlichen Perspektive auf das Feld Innere Sicherheit, die sich in vielfältiger Form mit den Themen Rassismus und Staatsgewalt in Deutschland beschäftigt, ist dieses Vorgehen der Polizeihochschule in mehrfacher Hinsicht nicht nachvollziehbar.

Denn Aslans rassismus- und polizeikritische Äußerungen stellen keine vereinzelte Perspektive dar, sondern gehören zum gängigen Kanon einer polizeikritischen Debatte in Deutschland. Dieser Kanon bezieht eine Betroffenenperspektive genauso ein wie eine sozialwissenschaftlich-analytische Debatte um den sogenannten „strukturellen bzw. institutionellen Rassismus“ in den Sicherheitsbehörden.

Diese Debatte profitiert massiv von den Erfahrungen außeruniversitärer, antirassistischer Bildungs- und Forschungsarbeit – hierzu zählen u.a. das Forschungsprojekt “Death in Custody” [–> LINK] und antirassistische Gruppen und Initiativen wie die “KOP – Kampagne für die Opfer rassistischer Polizeigewalt” [–> LINK] – und hat über socialmedia-Hashtags wie „#polizeiproblem“ [–> TWITTERÜBERSICHT] auch Eingang in die öffentliche Debatte gefunden.

Öffentlichkeitswirksam existiert die Debatte spätestens seit dem von der Oury-Jalloh-Initiative über Jahre angeklagten Mord an Oury Jalloh in einer Polizeistation in Dessau. Sie war aber auch bei der nachträglich festgestellten, über V-Leute bestehenden Verflechtung zwischen den Landesverfassungsschutzämtern und dem rechten Terrornetzwerk des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ein zentrales Thema, und wurde durch den Abruf von Adressdaten aus Polizei-Computern und dem darauf erfolgenden Verschicken von Morddrohungen durch den NSU 2.0 erneut diskutiert.

Schließlich gelang es der Black-Lives-Matter Bewegung mit ihrer Zurückweisung rassistischer Polizeikontrollen (racial profiling) sowie ihrer scharfen Forderung nach einem sofortigen Ende von Polizeigewalt, die bis zum Mord an rassifizierten Personen reicht, das Thema strukturell-rassistischer Strukturen in den deutschen Sicherheitsbehörden bundesweit auf die politische Agenda zu setzen.

Es ist daher umso beschämender, wenn sich die Leitung der Polizeihochschule nun einem rechten Internet-Mob und konservativen Polizeipolitiker*innen unterwirft, die partout keine Kritik an den deutschen Sicherheitsbehörden dulden wollen – ja, diese antidemokratisch mundtot machen will. Die politisch Verantwortlich reihen sich damit in die Gruppe derjenigen ein, die aus obrigkeitsstaatlicher Haltung oder privilegierter und „weissdeutscher“ Perspektive nicht Willens sind, den vielfältigen Schilderungen von Betroffenen aus ihrem rassistischen Alltag in Deutschland, auch im Umgang mit der Polizei, ernsthaft Gehör und Glauben zu schenken.

Es zeugt von einem antidemokratischen und antipluralistischen Geist, diese marginalisierten und von Diskriminierung betroffenen Stimmen, wie nun passiert, von den Hochschulen zu verdrängen, anstatt sie anzuhören und in selbstkritische Reflexionsprozesse einzutreten. Vor diesem Hintergrund muss der bis heute nicht zurückgenommene Ausschluß von Bahar Aslan von ihren Lehraufgaben dringend zurückgenommen werden und das dieser Entscheidung zu Grunde liegende strukturkonservative Wissenschaftsverständnis grundlegend hinterfragt werden. Solidarität mit Bahar Aslan!**

Lars Bretthauer, Berlin

*Ich danke jenen Mitgliedern des offenen Verteilers der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung, die den ersten Entwurf dieser Stellungnahme begleitend kommentiert haben, für ihre hilfreichen Anregungen.

** Für aktuelle Entwicklungen in diesem Fall bitte Bahar Aslan direkt auf twitter folgen [–> LINK]