Zur Wagenknecht-Partei-Abspaltung von der Linkspartei

Auch wenn ich es als schmerzhaft empfinde, wenn sich selbst als “Linke” verstehende Leute auseinanderdividieren und – wie am Montag dann passiert – voneinander abspalten, muss ich nach der Wagenknecht-Partei-Pressekonferenz [–> AUFZEICHNUNG] und der Reaktion durch einen der zwei aktuellen Linkspartei-Vorsitzenden Martin Schirdewan [–> AUFZEICHNUNG] sagen, dass die Trennung von Wagenknecht & friends von der Linkspartei für mich ein guter Schritt ist. Auch wenn ich natürlich die Sorge haben, dass sich bei den nächsten Wahlen die Stimmen zu Ungunsten der “neuen Linkspartei” (also dann post-Wagenknecht) verteilen und diese dann nicht mehr in den Parlamenten vertreten ist.

Wenn es denn so kommt, wäre es natürlich ein Drama – das zeigen eigentlich alle Ländern ohne linksparteiliche Repräsentanz in den Parlamenten. Sowohl für die Arbeit in den Parlamenten – und selbst wenn die primäre Aufgabe “nur” eine “watchdog”-Funktion ist – als auch für Bewegungsstrukturen, die immer wieder bei der Organisierung, öffentlichen Artikulation und Durchsetzung ihrer Interessen gesellschaftspolitisch in der Luft hängen und ihre Vorhaben “nur” aus sich realisieren können.

Wagenknechts Querfront-Positionen

Ich finde es angesichts der heute erfolgten Abspaltung dennoch wichtig, sich bei dem kräftezehrenden neuen Aufbruch der Linkspartei vor Augen zu führen, dass die “alte Linkspartei” sollbrüchig war – dass also die Aufreibung einer (1) bisherigen Linkspartei-Position, die global-solidarisch nach außen und zumindest kapitalismuskritisch bis -überwindend nach innen ist mit (2) einer von Wagenknecht als Leitfigur artikulierten Position, die nationalstaatlich-protektionistisch nach außen und pro-kapitalistisch mit sozialem Ausgleich und rassistischen Forderungen nach innen ist, zum Ende der Linkspartei als Gesamtprojekt geführt hätte.

Wagenknechts Position ist aus meiner Sicht eine klassische Querfront-Position, mit der es ist, wie es ist: einige Position sind vertraut, einige findet mensch gut, bei anderen setzt der Kotzreiz unmittelbar und direkt ein, andere wiederum werden nur politischen Gegner*innen vertreten. Insofern war und ist Wagenknecht eine “politische Wundertüte”, weil mensch nie weiss, ob sie gleich was latent rechtes oder linkes sagt.

Und um es gleich deutlich hinterher zu sagen: die globalen politischen Krisen und Probleme sind so massiv und werden auch von so vielen linken Leuten als gravierend bis menschheitsbedrohend wahrgenommen, dass es dann schwachsinnig bis verantwortungslos ist, “politische Wundertüten” an zentralen Diskurspositionen sitzen zu haben. Einfach weil diese nerven und viel Kraft kosten. Und inhaltlich stabile Positionen permanent unterlaufen, eindimensional statt intersektional argumentieren und von anderen Leuten (!) dann erklärt und kontextualisiert werden müssen.

Inhaltlicher Dissenz zu den skizzierten Positionen der Wagenknecht-Partei

Als linker, außerparlamentarischer Unterstützer der Linkspartei freue ich mich daher auch über die Wagenknecht-Abspaltung, denn sie spart auch meine Energie und Kraft, irgendwelche kruden oder rechten Thesen kritisieren zu müssen. Ich habe heute bei der PK kein Wortprotokoll geschrieben, aber aus dem Gedächtnis sind mir folgende Dissenze zu den von Wagenknechts Wahlverein skizzierten Grundpositionen im Gedächtnis geblieben:

  • eine von mir befürwortete, global-solidarische Wirtschaftsorganisation statt der Rettung des “Exportweltmeisters Deutschland” (Wagenknecht)
  • eine ernsthafte solidarische, anti-militaristische und friedenspolitische Ausrichtung von Außenpolitik statt einer Verkürzung des Russland-Ukraine-Kriegs auf die Fragen der eigenen Energieversorgung (Wagenknecht)
  • eine Ambivalenz von Marginalisierung und Bekämpfung rechter Strukturen einerseits und Bildungs- und Emanzipationsbemühungen gegenüber rechten Praxen andererseits anstatt der “die Verhältnisse und die Ampel-Politik haben die Leute so wütend gemacht, dass sie jetzt rechts wählen – diese Leute müssen gerettet werden”-Position von Wagenknecht.

Die Antifa-Debatte der frühen 1990er endete ja in der oben beschriebenen ersten ambivalenten Position – und zwar erst nachdem rassifizierte Leute den Kartoffel-Antifa-Diskurs massiv darauf hin hingewiesen hatte, dass die reine, meist weiße sozialpädagogische Betrachtung von Neo-Nazis als “Opfer von Verhältnissen” vergesse, dass diese “Opfer” mit ihren gewalttätigen Praxen eine Lebensgefahr für sie darstellten. Auf heute und die Wählerinnen-Stimmen-Orientierung der politischen Parteien bezogen: wer rechts redet oder AfD wählt, sollte mit Distanz und nicht primär “als Opfer” behandelt werden, weil rechte Wähler*innen alleine durch ihr Wahlverhalten einem rassistischen, rechtspopulistischen Diskurs das Wort reden, der migrantisierte und rassifizierte Leute bereits hart und bis in die letzte Pore ihres Alltags abwertet und diskriminiert.

Schluss: neue inhaltliche Stabilität und politische Freiräume nutzen

Aber ich weiss: Sahra Wagenknecht ist keine antirassistische Antifa-Aktivistin, sondern eine extravagante deutschland-orientierte Publizistin, die in den letzten Jahren nicht wirklich bewiesen hat, dass sie in der Lage ist, sich politisch zu organisieren oder kollektive politische Positionsbildungen jenseits ihrer eigenen Gehirnleistungen zu respektieren. Aber wie heisst es so schön: das ist alles nicht mehr das Problem der “neuen Linkspartei”, sondern des neuen wagenknechtschen Wahlvereins. Die “neue Linkspartei” kann sich nun auf stabilerer Grundlage und mit der neu gewonnenen Freiheit von Wagenknechts Persönlichkeits-Schauspiel den wirklich wichtigen Fragen einer globalen linken Systemtransformation und deren politischer Gestaltung insbesondere im und durch den Kampf gegen Rechts widmen. Meine Unterstützung hat sie dafür.