Der politische Konflikt um Sexarbeit

Eines der umstrittensten aktuellen Themen innerhalb der politischen Linken ist die Positionierung zum Thema Sexarbeit, ihrer politischen Einordnung und staatlichen Regulierung. Innerhalb der feministischen Debatte stehen sich aktuell jene Positionen gegenüber, die eine Kriminalisierung des Kaufes von sexualitätsbezogenen Dienstleistungen anstreben (sog. “Nordisches Modell” in Anlehnung an die Regelungen vor allem in Schweden), und jene, die eine Liberalisierung der staatlichen Regulierung von Sexarbeit bei gleichzeitiger sozialer Absicherung der mehrheitlich weiblich gelesenen Sex-Arbeiter*innen und damit eine grundlegende gesellschaftliche Akzeptanz von Sexarbeit als Beruf fordern.

Das Thema Sexarbeit ist in jedem Fall eine riesige politische Projektionsfläche für zentrale Fragen aktueller westlicher Gesellschaften: darf Sexualität kommodifiziert und. kommerzialisiert werden bzw. kann und soll diese als “Arbeit” wie jede andere Arbeit verstanden werden? Worauf bezieht mensch sich im zu vereinbarenden Spannungsfeld von als Berufsentscheidung zu wertender Prostitution einerseits und physisch erzwungener Prostituion andererseits, wenn über Sexarbeit gesprochen wird? Ab welchem Punkt beginnt eine politische Bevormundung von Sexarbeitenden, wenn immer wieder Nicht-Sexarbeitende mit ihren politischen Vorstellung von Sexualmoral, Gender-Rollen, Kapitalismus, Lohnarbeit, Klassenpolitik, internationaler rassistischer Arbeitsteilung u.v.m. Regulierungsmodelle für den Bereich der Sexarbeit entwerfen?

Ich habe jetzt mal angefangen, nach Quellen zu suchen, die irgendwie einsichtige Perspektiven auf das Thema entwickeln.

Einführung in den Stand des Konflikts

Der verständlichste Artikel, den ich zum politischen Konflikt um Sexarbeit gefunden habe, ist ein Bericht der Deutschen Welle von 2021, der sich mit der Entwicklung der Sexarbeits-Debatte seit 2017 und dem damals verabschiedeten “Prostituiertenschutzgesetz” beschäftigt. Dabei werden 2017 getroffene Aussagen im Gesetzgebungsprozess bezüglich einer “angestrebten verbesserten Sicherheit” von Sexarbeitenden durch eine Registrierungspflicht für Sexarbeitende, einen besonderen “Prostitutierten-Ausweis”, aber auch konkrete Vorschriften zur Gestaltung der Arbeitsplätze mit den Stimmen sowie der Arbeits- und Lebensrealität von Sexarbeitenden abgeglichen. Ergebnis: viele Sexarbeitende sehen im “Prostituiertenschutzgesetz” eine massive Diskriminierung, Prekarisierung und Kriminalisierung ihres Berufszweiges [–> LINK ZUM ARTIKEL].

Stigmatisierung von Sexarbeit

Auch wenn sich westliche Gesellschaften in vielen Bereichen als “sexuell libertär” oder “sexuell frei” verstehen, wird Sexarbeit bis heute in unterschiedlicher Weise massiv gesellschaftlich stigmatisiert. Dies reicht von diskriminierenden Arbeits- und Gesundheitsnachweisen über die immer wieder drohende staatliche Illegalisierung und Unsicherheit von ausgeübter Sexarbeit bis zur gesellschaftlichen fachlichen und moralischen Aberkennung des “Arbeitsstatus” von Sexarbeit. Der Podcast “Pasta Putanesca” der beiden Sexarbeitenden Giorgina und Phantessa aus Berlin widmet sich in der sehr hörenswerten Folge “fight stigma!” den unterschiedlichen Formen der Stigmatisierung und ihren Umgangsweisen damit [–> LINK ZUR FOLGE AUF SPOTIFY].

Von absoluter Diffamierung bis zu harter Kritik: innerfeministische Ablehnung von weiblicher Sexarbeit und innerfeministischer Widerstand dagegen

Innerhalb feministischer Debatten sind die Positionierungen zu Sexarbeit sehr unterschiedlich. Als prominentestes Presseorgan hat sich seit den 1980er Jahren die Zeitschrift “Emma” positioniert, die sich vehement gegen die legale Sexarbeit von Frauen* ausspricht, und dieses mit einer Kritik des patriarchalen, auf Gewalt oder Geld beruhenden Verfügungsverhältnisses über weibliche Körper begründet. Entsprechend wird eine rechtliche Bestrafung der Käufer von sexuellen Dienstleistungen gefordert. Wie kann diese patriarchatskritische Position aus der Perspektive von Sexarbeitenden bewertet und eingeordnet werden? Welche Rolle spielen dabei die soziale Herkunft der Sexarbeitenden? Und inwiefern bestehen strukturelle Unterschiede zwischen unterschiedlichen Prostitutionsformen, d.h. bewusst entschiedenen oder gewaltvoll erzwungenen? Auch diesen Fragen hat sich unter dem Titel “haters gonna hate” der Podcast “Pasta Putanesca” gewidmet – Anlass war ein shitstorm gegen eine der Podcasterinnen. [–> LINK ZUR FOLGE AUF SPOTIFY]

Empirie der Sexarbeit und staatlicher Verbotspolitik

Über Sexarbeit zu reden bzw. ein Urteil zu haben, scheint vielen leicht zu fallen – oft werden jedoch die empirischen sozialwissenschaftlichen Forschungen zu dem Feld nicht berücksichtigt. Die Sozialwissenschaftlerin Jenny Künkel hat diesbezüglich einen sehr gut verständlichen Text zur Einführung geschrieben, der die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse zu Sexarbeit und staatlichen Verbotsversuchen zusammenfasst, und auf diese Weise die Forschungsperspektiven auf Sexarbeit grundlegend erweitert. Eine ihrer Kernthesen: ein staatliches Verbot von Sexarbeit – ob direkt oder indirekt über das “Nordische Modell” – betrifft zu aller erst die Sexarbeitenden in negativer Weise, und marginalisiert so die Betroffenen erheblich. [–> LINK ZUM TEXT]

Support für Sexarbeitende: “Hydra”

Neben autonomen Organisierungen von Sexarbeitenden ist die NGO “Hydra” in Deutschland eine der bekanntesten Anlaufstellen als Interessensvertretung für Sexarbeitende. Hydra artikuliert zum einen die politischen Interessen von Sexarbeitenden im Hinblick auf die gesellschaftliche Perspektive und staatliche Regulierung der Prostitution [–> LINK ZU STELLUNGNAHMEN] – die Organisation bietet aber auch Rechts- und Finanzberatungen [--> LINK], finanzielle Hilfen und einen Rechtshilfefonds [–> LINK] für jene, die in und durch ihre berufliche Tätigkeit als Sexarbeitende sowie öffentliche Statements zum Thema Sexarbeit in Rechtsstreits verwickelt werden.

Falls Ihr ein paar Euros über habt, und in dem Feld unterstützen wollt, bitte gerne hierhin spenden [–> LINK]