Momentan wird in der undogmatischen Linken
ernsthaft diskutiert, ob es angemessen sei, Waffen wie Kampfpanzer und
perspektivisch auch Kampfjets an die Ukraine zu liefern, um sie gegen den von
der russischen Regierung veranlassten Angriffskrieg zu unterstützen – und ihnen
einen Verteidigungskampf gegen die Aggression der russischen Führung und gegen eine
drohende Besatzung zu ermöglichen.
Ich halte diese Erwägung auch einer Reihe von Gründen für falsch und kontraproduktiv für eine internationalistische Linke, die auf antimilitaristisch-friedenspolitischen Grundsätzen fußt und die geostrategische Situation einer imperialen Konstellation von Atomwaffen-Staaten ernst nimmt.
Krieg ist nicht unschuldig
Erstens hat die Geschichte gezeigt, dass es keinen „sauberen“ oder „unschuldigen“ Krieg gibt, d.h. Waffen zu exportieren, bedeutet den Export von hocheffektiven Tötungsinstrumenten. Wie diese eingesetzt werden, ob gegen russische Soldaten in einer Kampf- und Angriffssituation, gegen russische Soldaten, die sich bereits ergeben haben (Brutalisierung als Effekt von Krieg), oder gegen ukrainische Deserteure, die individuell oder in Gruppen organisiert unerlaubterweise den seit Kriegsbeginn gegenüber Männern mit weniger als 3 Kindern erzwungenen „Dienst an der Waffe fürs Vaterland“ verweigern, kann niemand kontrollieren.
Imperialismus in einer geostrategischen Konstellation von Atomwaffen-Staaten und seine menschheitsbedrohenden Folgen
Zweitens findet der Export von Waffen in
einer geostrategischen Situation statt, die polit-ökonomisch stark von imperialistischen
Strategien der unterschiedlichen Machtblöcke und technopolitisch von der
Entwicklung von Atomwaffen geprägt ist. Das Modell des „Atomkriegs“ ist dabei
keine abstrakte Laberei – sondern materiell bereits vollständig vorbereitet,
u.a. dafür wurde ja das Internet entwickelt – als Kommunikationssystem für den
Fall, dass die Gegenseite eine Atomrakete abschiesst und diese einschlägt. Um
es deutlich zu sagen: es reicht eine (!) zwischen den Machtblöcken
abgeschossene Atomrakete, um eine digital-automatisierte Kettenreaktion in Gang
zu setzen, in der sich künstliche Intelligenzen weltweit mit Atomwaffen
beschießen und Milliarden von Menschen sterben werden.
Die zentrale Folge der atomaren
Konstellation ist meines Erachtens drittens, dass, wenn ein über Atomwaffen
verfügender Staat eine aggressive, imperialistische Politik verfolgt und andere
Staaten überfällt, es keine Möglichkeit gibt, diesen aufzuhalten, ohne eine
erhebliche Gefährdung von Milliarden in Kauf zu nehmen.
Selbiges hätte auch für den Fall gegolten, dass sich Atomwaffen-Staaten wie Russland oder China auf Seiten der Angegriffenen direkt in den Überfall der USA auf den Irak oder der NATO auf Afghanistan eingemischt hätten. Umgekehrt wird auch China in seiner imperialistischen Strategie gegen Hongkong oder früher Tibet nicht eingeschränkt.
Waffenlieferungen sind sinnlos – linke Politik muss solidarische Rahmenbedingungen von eskalierten Konflikten herstelle
Aus dieser fehlenden Handlungsmöglichkeit innerhalb des Konflikts ergibt sich meines Erachtens, dass Waffenlieferungen sinnlos sind, da sie Eskalationspotentiale unnötig steigern und gleichzeitig zu „Abnutzungskriegen“ führen, in denen nur Menschen sterben (aktuelle Schätzungen: jeweils 100.000 Tote und Verletzte auf russischer wie ukrainischer Seite) und die globale Waffenindustrie massiv finanziell profitiert (siehe Kursentwicklungen der Waffenkonzerne wie Rheinmetall, Heckler & Koch seit Kriegsbeginn). Stattdessen muss sich eine linke, antimilitarische-friedenspolitische Politik auf die Rahmenbedingungen des Konfliktes konzentrieren: Ziel muss ein Massnahmenpaket sein, das sofort und konsequent neue Handlungskorridore für die am meisten Betroffenen im Jetzt und der Zukunft öffnet:
Recht auf Flucht: vom abstrakten Reden über „betroffene Kriegsopfer“ zur praktisch-solidarischen Unterstützung von Geflüchteten
(a) Recht auf Flucht (Transporthilfe beginnend im Fluchtland vor der Haustür) und menschenwürdige Startbedingungen an einem neuen Ort ohne Ghettoisierung und Absprache von Menschenrechten;
Innenpolitische Maßnahmen und Diskurskämpfe in Deutschland
(b) harte Sanktionierung und Schließung von
Unternehmen in Deutschland, die trotz des Eskalationspotentials und teilweise
sogar trotz Exportverboten Waffen in aktive Konfliktregionen liefern;
(c) konsequente Bekämpfung von
rassistischen, post-kolonialen, nationalistischen, personalisierten Diskursen
in Deutschland, die eine polarisierende und verengte Deutung der
Konfliktsituation vornehmen,
(d) konsequente Bekämpfung von kriegsverherrlichenden Deutungen von Konfliktsituationen, sei es durch „gamification“ (wer gewinnt?), Technisierung und Enthumanisierung (Abnerden über Waffentypen, siehe Hofreiter), „Vaterlandsverteidigung“, „Heldenepen“ usw. Seit dem 1. Weltkrieg hat die Geschichte gezeigt, dass Krieg unter den Bedingungen industriell-entwickelter Waffenproduktion für die Überlebenden vor allem Trauma, Verlust an Toten und Erfahrungen sexualisierter Gewalt bedeuten, die aktuellen Forschungen zufolge bis in die 3. Generation als Traumata weitergegeben werden. Dazu gibt es die Erfahrung des Holocaust, als die Sicherheit, dass wenn Leute wie die Deutschen damals von „rationaler Kriegsführung“ reden, es auch bedeuten kann, industriellen Massenmord von Opfergruppen zu organisieren. Es gibt hier aus meiner Sicht nichts zu beschönigen.
Außenpolitische Strategien und de-eskalierende Selbstreflexion
(e) internationale Ächtung des Angriffsstaats
auf diplomatisch, sportpolitischer, kulturpolitischer u.v.m Ebene,
(e) konsequente Vorbereitung einer langjährigen
materiellen, sozial- und gesundheitspolitischen Unterstützung für jene, die als
Zivilbevölkerung oder Kämpfende im Angegriffenen-Land bleiben wollen;
(f) Selbstreflexion auf eigene
außenpolitische/imperialistische Strategien: inwiefern wird eigenes
außenpolitischen Handeln selbst von anderen Staaten strukturell als „kriegerischer
Angriff“ oder „imperialistische Bedrohung“ gedeutet? Siehe: grüne Diskurse um
angebliche „humanitäre Intervention“ (Kosovo, Afghanistan); Truppenmanöver und –übungen
(EU/NATO an der Ostgrenze); „Demokratisierungsbemühungen“ / „westliche Werte in
die Welt“ („failed states“-Debatte, vor allem gegenüber Afrika, aber auch
gegenüber der „Diktatur im Irak“); Entwicklungshilfe als Wirtschaftshilfe bzw.
Exportstrategie zur Absicherung von unternehmerischen Profiten in Deutschland, international
verstanden als ökonomische Kolonisierung und erzwungene Dependenz
(g) Evaluierung langjähriger eigener Außenpolitik: mit welchen potentiellen Angriffsstaaten werden warum enge politische Verbindungen gepflegt? Beispiel: Russland war langjähriger strategischer Partner von Deutschland, trotz des Wissens um aggressive Aussenpolitik gegenüber Anreiherstaaten und trotz des Wissens um Autoritarisierungstendenzen in Russland, Mord an Oppositionellen / Journalist*innen, Verfolgung von queers. Partnerschaft wurde aber gemacht (siehe Schröder-Mafia), um energiepolitische Unabhängigkeit von den USA zu erhalten, auch im Sinne eines starken „politischen Machtblocks Europa“ – bis zum Kriegsbeginn durch Russland.