Zur deutschen Debatte um die Vermögenssteuer

Weil ich grad mal wieder einen kurzen Verweis darauf gelesen habe: ich empfinde die in Deutschland geführte Debatte um die Vermögenssteuer mittlerweile als relativ frustriend.

Grund: es gelingt den Parteien und Interessensverbänden der Wohlhabenden & Erbenden permanent, eine Stimmung zu erzeugen, wonach die Vermögenssteuer nur im “absoluten Krisenfall” eine realpolitische Option sei. Das war in der Pandemie und den mit ihr verbundenen Kosten so – nun wieder bei der Frage des sozial-ökologischen Umbaus im Angesicht der Klimakatastrophe und den dafür benötigten finanziellen Mitteln.

Was mich genuin nervt: die tiefsitzende Haltung, dass die Eigentums- und Vermögensordnung “schon ihre Richtigkeit hat”. Stichwort: Aufstiegserzählungen und Narrative der Leistungsgesellschaft, “hart erarbeiteter Wohlstand unter gleichen Karrierebedingungen” – die wiederum alle empirisch wiederlegt sind. We live in a class society – live with it.

Was ich aber fast noch schlimmer finde: das politische Spiel mit gesellschaftlichen Katastrophen, die kommen müssten, damit eine Umstrukturierung der Eigentums- und Vermögensordnung “legitim” sei.

Im Gegenteil: ich erwarte mir von einer Gesellschaft, dass sie nicht – wie während Corona – abstrakt über eine Vermögenssteuer fabuliert, die dann Hilfe ermöglichen soll, sondern bereits über konkrete soziale Problemlösungen mit geklärten Finanzen verfügt, d.h. Leute konkret auffängen und solidarisch unterstützen kann.

Und ganz ehrlich: die klimatisch-apokalyptischen Horror-Events, die im Ergebnis dazu führen könnten, dass die gegenwärtige Eigentums- und Vermögensordnung solidarisch umstrukturiert wird, möchte ich erst garnicht erleben. Auch weil dann wahrscheinlich jene “Kipppunkte des Klimawandels” erreicht sind, in deren Folge ein konstruktiver sozial-ökologischer Umbau kaum noch durchführbar ist.

Meine Frage daher: wie kann den sozial-ökologisch hochgradig destruktiven Narrativen der Neokonservativen und Neoliberalen über Vermögen und Eigentum zeitnah das Wasser abgegraben werden?

Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese Eigentums- und Vermögensordnung in sich und jenseits aller Querfinanzierungs-Modelle für Gesundheitskrisen und Klimapolitik bereits global für millionenfache Hungertote, Ausbeutung, koloniale Ausplünderung, Prekarität und soziale Hierarchisierung verantwortlich zeichnet – d.h. bereits in sich eigentlich illegitim genug ist.

3 Jahre Hanau – Erinnern heißt Kämpfen (19.2.2023)

Heute jährt sich der rechtsradikale Anschlag von Hanau zum dritten Mal. Ich habe hierzu ein paar Quellen zusammengetragen, die die erinnerungspolitische Arbeit vieler Initiativen und Einzelpersonen und den multikulturellen, antirassistischen und antifaschistischen Impetus der Erinnerungs-Debatte dokumentieren:

Initiative 19. Februar

Rund um Hanau hat sich direkt nach dem Anschlag die “Initiative 19. Februar” gegründet, die sowohl die erinnerungspolitische Arbeit als auch den politischen Willen der Angehörigen nach politischer Aufklärung der Tat vorantreibt. Die Arbeit der Initiative könnt Ihr Euch hier anschauen. [–> WEBSEITE DER INITIATIVE]

Bildungsinitiative Ferat Unver

Serpil Temiz-Unvar, die Mutter von Ferat Unvar, einem der Mordopfer von Hanau hat als Reaktion auf die rassistische Ermordnung ihres Sohnes zusammen mit Freund*innen von Ferat eine antirassistische Bildungsinitiative für den Schulbereich in Deutschland gegründet. In einem Interview erzählt sie “von ihrem Sohn Ferhat, der Zeit nach dem Anschlag und ihrem Kampf für eine antirassistische Gesellschaft, den sie ihrem Sohn Ferhat gewidmet hat”.

Migrantische Selbstorganisation von den Angehörigen der Opfer rechter Gewalt

Im Mittelpunkt vieler rechter Anschläge stehen als “fremd” rassifizierte Deutsche. Für viele Angehörige dieser Opfer ist die migrantische Selbstorganisation ein zentraler Aspekt, um den Schmerz und den fremdenfeindlichen Hass, der aus den Anschlägen hervorgeht, zu bewältigen. Newroz Duman, Aktivistin der Initiative 19. Februar in Hanau und İbrahim Arslan, Aktivist und Überlebender der rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992, haben hierüber eine sehr lesenswerte Denkschrift verfasst:

“Mit unseren Kämpfen der vergangenen Jahrzehnte, mit unserem Widerstand und unserer aufbauenden ermutigenden Arbeit, konnten wir weitere Betroffene davon überzeugen, gegen die Gedenkkultur der Behörden, die die Opfer allein als passive Menschen behandeln, aktiv aufzustehen und sich zu wehren. Trotz des Fortlebens der terroristischen Rechten, die nicht aufhört, immer mehr Menschen aus unserer Mitte und unseren Herzen zu reißen, mobilisierten und organisierten wir betroffene Familien. Trotz all dessen und noch viel mehr, haben sich die Betroffenen nicht unterkriegen lassen und es werden mehr und mehr solidarische tragfähige Strukturen erkämpft.” [–> GESAMTE DENKSCHRIFT]

Trauma und Gewalterfahrung

Jedes rechte Attentat bringt nicht nur Todesopfer, sondern auch traumatisierte Menschen mit sich, die jahrelang mit der Aufarbeitung der rechten Gewalt verbringen. Einen Einblick, was dieses bedeuten kann, gibt das Interview mit Piter Minnemann, der sich in der Bar in Hanau aufhielt, in der mehrere Menschen von dem rechten Attentäter erschossen wurden. Er schildert eine doppelte Ohnmacht: gegenüber dem rechten Anschlag auf sein persönliches Umfeld und dann gegenüber der Ignoranz der zuständigen Behörden:

Verortung des Anschlags von Hanau im rechten und rechtskonservativen Diskurs der BRD

Dunja Ramadan hat 2020 direkt nach dem Anschlag von Hanau einen sehr lesenswerten Kommentar zur Anbindung und Legitimierung rechter Terroranschläge durch die aktuelle Politik der AfD einerseits und den bereits vorher jahrzehntelang von rechtskonservativen Kräften wie der CDU betriebenen, öffentlichen Rassismus gegen Einwander*innen andererseits geschrieben:

“Der rechte Terror von Hanau ist für Menschen mit Migrationsgeschichte keine Überraschung. Er ist das Gegenteil. Er ist eine Saat, die aufging. Die AfD hat den Diskurs um Migration und Islam radikalisiert, aber nicht begonnen. Sie hat zugesehen, wie diese Saat gedeiht. Sie hat die braune Erde, in der sie keimt, gedüngt und weitere Samen ausgebracht. Doch seit Jahrzehnten führen Politiker aller Parteien und viele Medien in Deutschland die immer gleichen Debatten: Sind wir ein Einwanderungsland? Gehört der Islam zu Deutschland? Das sind keine ergebnisoffenen Fragen, die man stellt, weil man sie in einer freien Gesellschaft eben stellen darf und weil man Interesse an einer fruchtbaren Diskussion auf Augenhöhe hat. Das sind Fragen, die spalten und ausgrenzen – die Gräben aufreißen, die sich schwer wieder schließen lassen. Das sind Fragen, die Antworten vorwegnehmen. [–> GESAMTER KOMMENTAR]

Verkürzt: die These von “psychisch kranken Einzeltätern”

Nach vielen rechten Anschlägen werden Psychogramme der Täter*innen erstellt und auf deren vermeintliche psychische Erkrankungen fokussiert, wodurch die Einbettung der jeweiligen rechten Taten in ein Geflecht von rechten Organisationen und rassistischen Diskursen oftmals aus dem Blick gerät. Die Sendung “Monitor” hat hierzu einen sehr guten kurzen Clip (4:30 min) produziert:

Digitalisierung – News

Auslesen von Handydaten von Geflüchteten rechtswidrig

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat eine Geflüchtete darin unterstützt, Klage gegen das Auslesen von Handys zu erheben und diese hat nun Recht bekommen: “Wenn geflüchtete Personen bei ihrer Ankunft in Deutschland keinen gültigen Pass vorzeigen können, liest das BAMF routinemäßig und ohne konkrete Verdachtsmomente Daten von ihren Handys aus, um anhand dieser Identitäts- und Herkunftsangaben zu überprüfen.”. Diese Praxis ist ab nun rechtswidrig [ –> LINK ZUR KLAGE] bzw. darf nicht als gängiges Einstiegsinstrument zur Klärung von Identitäten verwandt werden [–> ARTIKEL IM MIGAZIN].

Automatisierte Datenverarbeitung bei den Sicherheitsbehörden rechtswidrig

Parallel dazu wurde entschieden, dass die in Hessen vorgesehene zentralisierte, automatisierte Verarbeitung von durch die Sicherheitsbehörden präventiv erhobenen Daten z.B. durch den “Staatstrojaner” rechtswidrig sei. Geklagt hatten die Humanistische Union, die Datenschützer Rhein-Main, das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung und wieder die Gesellschaft für Freiheitsrechte. Dieses Urteil wird weitreichende Konsequenzen für die Polizeigesetze in den anderen Bundesländern haben, da nun genauer geklärt und präzisiert werden muss, wie mit präventiv gespeicherten Daten umgegangen werden darf [–> LINK ZUR KLAGE]

Kampf um Menstruationsdaten in den USA

Seit dem Urteil des US-amerikanischen Verfassungsgerichts, dass Abtreibungen nicht mehr straffrei sein müssen, entwickeln konservative Akteure ein reges Interesse an vor allem durch Gesundheits- und Menstruationskalendar-Apps erhobene Menstruationsdaten, um Frauen wegen illegalisierter Schwangerschaftsabbrüche anzeigen zu können. In Virginia verhinderten die Republikaner gerade einen Vorstoss von Demokrat*innen, die Auswertung dieser Daten zu untersagen. [–> ARTIKEL]

Bereits kurz vor dem Urteil des Supreme Courts hatte der “digital defense fund” in einer Informationskampagne Frauen* in den USA für die vielfältigen digitalen Spuren zu sensibilisieren, die sie im Falle von Abtreibungen auf ihren Smartphones hinterlassen [–> LINK ZUR KAMPAGNE]. Hier eine anschauliche Grafik dazu:

Aufruf: “Polizeiwache am Kotti. Not welcome.” (Protest am 15.2.23)

Anlässlich der “feierlichen Eröffnung” der von vielen Initiativen und Anwohner*innen abgelehnten Polizeiwache am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg hat das Bündnis “Kotti für Alle” [–> LINK] einen Aufruf gegen die Eröffnungsfeier veröffentlicht.

“Am 15.02.2023 eröffnet die neue Polizei-Wache am Kotti. Das ist keine Überraschung, seitdem im Sommer der Mietvertrag unterzeichnet wurde. Trotzdem ist es eine Schande für die Menschen, den Kotti und ein Spiegelbild für die kurze Amtszeit von Franziska Giffey. 

Wie sollen mehr Polizei und mehr Überwachung zu mehr Sicherheit führen? Armut, Drogenabhängigkeit, Kriminalität und Wohnungskrise werden durch Repression nicht gelöst, sondern verdrängt. Wir brauchen soziale Lösungen für soziale Probleme. 

Wir lassen uns nicht entmutigen, für einen Kotti ohne Cops zu kämpfen. Kommt am 15.2. vorbei und organisiert Euch – die “festliche”, zynische Eröffnung der Wache um 10h darf nicht einfach passieren, ohne dass wir vor und während der Eröffnung nochmal zeigen, was wir von ihr halten! 

Kommt darum mit uns am 15.02.2023 ab 9 Uhr an den Kotti. Wir sind wütend und wir sind laut!” [–> Aufruf auf der Bündnisseite]

Und hier nochmal in bunt zum Teilen:

Staatliche Repression – News

Eröffnung der Polizeiwache am Kottbusser Tor

Gegen den massiven Protest vieler Anwohner*innen soll am 15.2.23 die Bullenwache am Kotti eröffnet werden. Vorgestern waren Bürgermeisterin Giffey und Innensenatorin Spranger (Innensenatorin, auch SPD) dort, um den “Stand der Dinge” zu begutachten – sie waren angeblich “ganz begeistert”. Vor allem Spranger – deren Law-and-Order-Prestigeprojekt die Kotti-Polizeiwache ist. Hier ein unsäglicher, aber ausführlicher Bericht in der BZ, incl der linken, polizeikritischen Gegenproteste [–> LINK] – und nochmal die Seite des Bündnisses “Kotti für Alle”, das sich explizit gegen die Bullenwache ausspricht [–> LINK].

Hanau-Gedenken und politische Forderungen

Auch 3 Jahre nach dem rechtsradikalen Attentat in Hanau fordern die Betroffenen und Angehörigen der Opfer eine lückenlose Aufklärung von der hessischen Polizei. Die Initiative 19. Februar schreibt hierzu in ihrem Aufruf:

“Der 19. Februar 2020 –  an jenem Tag wurden unsere Liebsten auf brutale Weise aus unserem Leben gerissen. Die Wunden, die dieser Tag in uns hinterlassen hat, verheilen nicht. Jahre, Monate und Tage werden vergehen –  der Schmerz bleibt.

Wir haben versprochen, dass wir keine Ruhe geben werden. Seit drei Jahren tragen wir eure Namen überall hin. Wir erzählen eure Geschichten, klagen über das was passiert ist, das was nicht gesagt wird und das was nicht verhindert wurde. […]

Uns wurde Gerechtigkeit versprochen. Und doch müssen wir auch zum dritten Jahrestag weiterhin nach Konsequenzen fragen, die es immer noch nicht gibt. Der Untersuchungsausschuss, der unsere Fragen beantworten sollte, wird seinem Auftrag nicht gerecht. Wir fragen uns, wie lange wollen hessische Sicherheitsbehörden noch vertuschen, wie lange noch schweigen, wie lange noch ignorieren?

Heute, fast drei Jahre später, wissen wir: die Grenze der Gerechtigkeit heißt Konsequenzen. Ein Mahnmal auf dem Marktplatz gibt es bis heute nicht, wir kämpfen weiterhin darum, dass es ein Mahnmal auf dem Marktplatz gibt. Wir haben selbst recherchiert und aufgeklärt und unsere gemeinsame Ausstellung mit Forensis wird ab dem 1. Februar bis zum 18. März im Hanauer Rathaus sein.”

In Berlin wird am 19. Februar unter dem Titel “Erinnern heisst kämpfen” eine Kundgebung auf dem Oranienplatz stattfinden, aufgerufen hat ein breites Bündnis antirassistischer und polizeikritischer Initiativen.

Vorher am 7. Februar gibt es eine interessant klingende, von der Berliner Linkspartei organisierte Veranstaltung zu den Grenzen parlamentarischer Aufklärungsarbeit rechtsradikaler Verbrechen und Strukturen durch Untersuchungsausschüsse. Eingeladen sind Saadet Sönmez (Mitglied des Hanau-Untersuchungsausschusses, Linksfraktion Hessen), Seda Başay-Yıldız (Rechtsanwältin, Vertreterin der Nebenklage im NSU-Prozess), Newroz Duman, Initiative 19. Februar, Elif Eralp (Sprecherin für Migration, Partizipation und Antidiskriminierung der Linksfraktion Berlin) und Ferat Koçak (Sprecher für Antifaschistische Politik, Linksfraktion Berlin) [–> LINK ZUR VERANSTALTUNG].

Und schließlich…

Eine gute Karrikatur zum Thema “Polizeiarbeit in Zeiten des Internets”. Künstler: Gerhard Haderer, Ort: Vienna, Austria. Titel der Karrikatur: “The police search for the Dark Web”. Ich musste lachen…

Waffenlieferungen in die Ukraine: Ansätze einer internationalistischen, antimilitaristisch-friedenspolitischen Position im atomaren Zeitalter

Momentan wird in der undogmatischen Linken ernsthaft diskutiert, ob es angemessen sei, Waffen wie Kampfpanzer und perspektivisch auch Kampfjets an die Ukraine zu liefern, um sie gegen den von der russischen Regierung veranlassten Angriffskrieg zu unterstützen – und ihnen einen Verteidigungskampf gegen die Aggression der russischen Führung und gegen eine drohende Besatzung zu ermöglichen.

Ich halte diese Erwägung auch einer Reihe von Gründen für falsch und kontraproduktiv für eine internationalistische Linke, die auf antimilitaristisch-friedenspolitischen Grundsätzen fußt und die geostrategische Situation einer imperialen Konstellation von Atomwaffen-Staaten ernst nimmt.

Krieg ist nicht unschuldig

Erstens hat die Geschichte gezeigt, dass es keinen „sauberen“ oder „unschuldigen“ Krieg gibt, d.h. Waffen zu exportieren, bedeutet den Export von hocheffektiven Tötungsinstrumenten. Wie diese eingesetzt werden, ob gegen russische Soldaten in einer Kampf- und Angriffssituation, gegen russische Soldaten, die sich bereits ergeben haben (Brutalisierung als Effekt von Krieg), oder gegen ukrainische Deserteure, die individuell oder in Gruppen organisiert unerlaubterweise den seit Kriegsbeginn gegenüber Männern mit weniger als 3 Kindern erzwungenen „Dienst an der Waffe fürs Vaterland“ verweigern, kann niemand kontrollieren.

Imperialismus in einer geostrategischen Konstellation von Atomwaffen-Staaten und seine menschheitsbedrohenden Folgen

Zweitens findet der Export von Waffen in einer geostrategischen Situation statt, die polit-ökonomisch stark von imperialistischen Strategien der unterschiedlichen Machtblöcke und technopolitisch von der Entwicklung von Atomwaffen geprägt ist. Das Modell des „Atomkriegs“ ist dabei keine abstrakte Laberei – sondern materiell bereits vollständig vorbereitet, u.a. dafür wurde ja das Internet entwickelt – als Kommunikationssystem für den Fall, dass die Gegenseite eine Atomrakete abschiesst und diese einschlägt. Um es deutlich zu sagen: es reicht eine (!) zwischen den Machtblöcken abgeschossene Atomrakete, um eine digital-automatisierte Kettenreaktion in Gang zu setzen, in der sich künstliche Intelligenzen weltweit mit Atomwaffen beschießen und Milliarden von Menschen sterben werden.

Die zentrale Folge der atomaren Konstellation ist meines Erachtens drittens, dass, wenn ein über Atomwaffen verfügender Staat eine aggressive, imperialistische Politik verfolgt und andere Staaten überfällt, es keine Möglichkeit gibt, diesen aufzuhalten, ohne eine erhebliche Gefährdung von Milliarden in Kauf zu nehmen.

Selbiges hätte auch für den Fall gegolten, dass sich Atomwaffen-Staaten wie Russland oder China auf Seiten der Angegriffenen direkt in den Überfall der USA auf den Irak oder der NATO auf Afghanistan eingemischt hätten. Umgekehrt wird auch China in seiner imperialistischen Strategie gegen Hongkong oder früher Tibet nicht eingeschränkt.

Waffenlieferungen sind sinnlos – linke Politik muss solidarische Rahmenbedingungen von eskalierten Konflikten herstelle

Aus dieser fehlenden Handlungsmöglichkeit innerhalb des Konflikts ergibt sich meines Erachtens, dass Waffenlieferungen sinnlos sind, da sie Eskalationspotentiale unnötig steigern und gleichzeitig zu „Abnutzungskriegen“ führen, in denen nur Menschen sterben (aktuelle Schätzungen: jeweils 100.000 Tote und Verletzte auf russischer wie ukrainischer Seite) und die globale Waffenindustrie massiv finanziell profitiert (siehe Kursentwicklungen der Waffenkonzerne wie Rheinmetall, Heckler & Koch seit Kriegsbeginn). Stattdessen muss sich eine linke, antimilitarische-friedenspolitische Politik auf die Rahmenbedingungen des Konfliktes konzentrieren: Ziel muss ein Massnahmenpaket sein, das sofort und konsequent neue Handlungskorridore für die am meisten Betroffenen im Jetzt und der Zukunft öffnet:

Recht auf Flucht: vom abstrakten Reden über „betroffene Kriegsopfer“ zur praktisch-solidarischen Unterstützung von Geflüchteten

(a) Recht auf Flucht (Transporthilfe beginnend im Fluchtland vor der Haustür) und menschenwürdige Startbedingungen an einem neuen Ort ohne Ghettoisierung und Absprache von Menschenrechten;

Innenpolitische Maßnahmen und Diskurskämpfe in Deutschland

(b) harte Sanktionierung und Schließung von Unternehmen in Deutschland, die trotz des Eskalationspotentials und teilweise sogar trotz Exportverboten Waffen in aktive Konfliktregionen liefern;

(c) konsequente Bekämpfung von rassistischen, post-kolonialen, nationalistischen, personalisierten Diskursen in Deutschland, die eine polarisierende und verengte Deutung der Konfliktsituation vornehmen,

(d) konsequente Bekämpfung von kriegsverherrlichenden Deutungen von Konfliktsituationen, sei es durch „gamification“ (wer gewinnt?), Technisierung und Enthumanisierung (Abnerden über Waffentypen, siehe Hofreiter), „Vaterlandsverteidigung“, „Heldenepen“ usw. Seit dem 1. Weltkrieg hat die Geschichte gezeigt, dass Krieg unter den Bedingungen industriell-entwickelter Waffenproduktion für die Überlebenden vor allem Trauma, Verlust an Toten und Erfahrungen sexualisierter Gewalt bedeuten, die aktuellen Forschungen zufolge bis in die 3. Generation als Traumata weitergegeben werden. Dazu gibt es die Erfahrung des Holocaust, als die Sicherheit, dass wenn Leute wie die Deutschen damals von „rationaler Kriegsführung“ reden, es auch bedeuten kann, industriellen Massenmord von Opfergruppen zu organisieren. Es gibt hier aus meiner Sicht nichts zu beschönigen.

Außenpolitische Strategien und de-eskalierende Selbstreflexion

(e) internationale Ächtung des Angriffsstaats auf diplomatisch, sportpolitischer, kulturpolitischer u.v.m Ebene,

(e) konsequente Vorbereitung einer langjährigen materiellen, sozial- und gesundheitspolitischen Unterstützung für jene, die als Zivilbevölkerung oder Kämpfende im Angegriffenen-Land bleiben wollen;

(f) Selbstreflexion auf eigene außenpolitische/imperialistische Strategien: inwiefern wird eigenes außenpolitischen Handeln selbst von anderen Staaten strukturell als „kriegerischer Angriff“ oder „imperialistische Bedrohung“ gedeutet? Siehe: grüne Diskurse um angebliche „humanitäre Intervention“ (Kosovo, Afghanistan); Truppenmanöver und –übungen (EU/NATO an der Ostgrenze); „Demokratisierungsbemühungen“ / „westliche Werte in die Welt“ („failed states“-Debatte, vor allem gegenüber Afrika, aber auch gegenüber der „Diktatur im Irak“); Entwicklungshilfe als Wirtschaftshilfe bzw. Exportstrategie zur Absicherung von unternehmerischen Profiten in Deutschland, international verstanden als ökonomische Kolonisierung und erzwungene Dependenz

(g) Evaluierung langjähriger eigener Außenpolitik: mit welchen potentiellen Angriffsstaaten werden warum enge politische Verbindungen gepflegt? Beispiel: Russland war langjähriger strategischer Partner von Deutschland, trotz des Wissens um aggressive Aussenpolitik gegenüber Anreiherstaaten und trotz des Wissens um Autoritarisierungstendenzen in Russland, Mord an Oppositionellen / Journalist*innen, Verfolgung von queers. Partnerschaft wurde aber gemacht (siehe Schröder-Mafia), um energiepolitische Unabhängigkeit von den USA zu erhalten, auch im Sinne eines starken „politischen Machtblocks Europa“ – bis zum Kriegsbeginn durch Russland.

Linke Medienkiste #37

Antira/Antifa-Gedenken: Anschlag von Hanau am 19.2.2020

Am 19.2.23 jährt sich der rechtsradikale Anschlag von Hanau zum dritten Mal, bei dem neun hanauer Bürger*innen mit Migrationshintergrund brutal ermordet worden [–> WIKIPEDIA-ARTIKEL ZUM ANSCHLAG]. Für Berlin wurden nun die Details für die Gedenk-Demo veröffentlicht:

Antira/Antifa-Gedenken: Anschlag von Lübeck am 18.1.1996

Am 18.1.23 jährte sich der tödliche Brandanschlag von Lübeck aus dem Jahr 1996, bei dem 10 Leute in einem Haus für Geflüchtete durch einen Brandsatz ums Leben kamen. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt – drei direkt nach dem Anschlag festgenommene Rechtsextreme wurden trotz rassistischem Motiv und räumlicher Nähe zum Tatort wieder laufen gelassen – dann wurde ein Mann aus dem Libanon aus dem Umfeld der Geflüchtetenunterkunft beschuldigt, ohne dass dieses jedoch bestätigt werden konnte.

Von den Angehörigen gibt es massive Kritik am Umgang der lübecker Sicherheitsbehörden mit dem Brandanschlag: “Gegen die eingesetzte Ermittlungskommission der Lübecker Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft wurden im Verlauf ihrer Arbeit sowohl von den Medien, der Öffentlichkeit wie den Anwältinnen des beschuldigten Hausbewohners schwere Vorwürfe erhoben. Auf der einen Seite seien belastende Spuren in Richtung der Männer aus Grevesmühlen [die Rechtsextremen] nicht weiter verfolgt, hingegen seien die Ungereimtheiten im Verdacht gegen den Libanesen mit „Phantasie aufgefüllt“ worden.” [–> WIKIPEDIA-ARTIKEL]

Was bleibt, ist das antirassistische und antifaschistische Gedenken an die Toten und Verletzten des Anschlags – wie hier im twitter-Post des Linkspartei-Abgeordneten und Antira-Aktivisten Ferat Kocak aus Berlin-Neukölln:

Corona-Politik / Long-Covid

Die Initiative “Nicht genesen” hat am 19.1. eine Installation aus Feldbetten vor dem Deutschen Bundestag aufgebaut, die auf die prekäre Situation von LongCovid-Patient*innen aufmerksam machen will. Die Initiative fordert die sofortige Zulassung eines bestimmten Medikaments gegen LongCovid, eine deutliche Erhöhung der Finanzmittel für Therapie- und Medikamentenstudien und einen leichteren, unbürokratischen Zugang für Long-Covid-Erkrankte zu staatlichen Hilfen.

Hier der Forderungskatalog [–> im Original hier]:

Schätzungen von 2021 zufolge erkrankt jede*r zehnte Patient*in, die*der eine Corona-Infektion durchlaufen hat, ernsthaft an Long-Covid [–> LINK]. Das Robert-Koch-Institut berichtete zudem im Juli 2022, dass 37,6 aller Menschen, die eine Corona-Infektion durchlaufen haben, Langzeitfolgen der Infektion aufwiesen [–> LINK].

Klimakatastrophe

Falls Ihr Leuten mal zeigen wollt, wie sich die Erderwärmung seit 1880 bis heute entwickelt hat, oder dieses selbst sehen wollt, gibts jetzt auf twitter eine gute Animation dazu [–> LINK]. Hier als Standbild:

Und zum Schluss…

Queerfeminismus Reloaded

Filmempfehlung: “Holy Spider”

“Holy Spider” ist ein feministischer Kino-Spielfilm über patriachale Strukturen im Iran. Eine Charakterstudie mit zwei zentralen Figuren: einem religiös motivierten Prostituiertenmörder / mehrfachen Familienvater einerseits und einer emanzipierten Journalistin andererseits. Beides Top-Schauspieler*innen. Inszenierung super – Schnitt, Kamera und Ausstattung sehr eigen und interessant. Empfehlung: Original mit Untertiteln schauen – übt das Persisch/Farsi zumindest vom Klangbild – die deutsche Synchronisierung fand ich hingegen jetzt beim kurz reinhören nicht überzeugend.

Frauen*kampftag / Frauen*streik 2023 am 8. März

Die Mobilisierung für den Frauen*kampftag am 8. März geht los. Einer der aus meiner Sicht interessantesten feministischen social media-Kanäle der letzten Jahren ist “flintaonstrike”, die vor allem auf instagram viel machen [–> LINK ZUM INSTA-ACCOUNT].

Hier ein Beispiel aus der aktuellen Mobilisierung:

Gender als gesellschaftliche Konstruktion

Neulich auf einer berliner allgender-Kneipentoilette gesehen…

Queer Pride 2023 in Delhi, Indien

In Delhi, Indien fand am 10.1.23 die Queer Pride statt. Interessanterweise u.a. mit einer expliziten Verbindung von Genderkämpfen und Klassenkämpfen. Bilder von Twitter [–> GESAMTER TWEET]:

Gegen die Räumung von Lützerath – Update

Der “fossile Staat”

Gestern wurde in einem Tweet zu Lützerath der Begriff des “fossilen Staats” verwendet, der die Kohle-Industrie gegen die Forderung nach einem Ende des Kohleabbaus schützt. Ich muss nochmal drüber nachdenken, ob ich den Begriff so passend finde und was dieser konkret aussagen soll – bei diesem Bild drängt er sich aber schon auf.

“Klimadepression

Der Öko-Aktivist Tadzio Müller hat im letzten Jahr auf Twitter länger über seine “Klimadepression” geschrieben – also die Verzweiflung und Ohnmacht angesichts der permanten Umweltzerstörung und der Verweigerung einer ernsthaft ökologischen und nachhaltigen internationalen und nationalen Politik durch die politisch verantwortlichen Akteure. Marc-Uwe Kling hat nun einen Cartoon gezeichnet, der diese Stimmung ganz gut wiedergibt.

Pressefreiheit

Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer Berlin-Brandenburg der Deutschen Journalisten- und Journalistinnen-Union (DJU) von der Gewerkschaft Ver.di, der für die Beobachtung der Pressefreiheit in Lützerath zuständig ist, fasst in einem Radio-Interview (15 min) seine Eindrücke von der Wahrung der Pressefreiheit durch Polizeibehörden und RWE-security während der Räumung zusammen.

Seine Quintessenz: “Wir haben eine lange Liste der Behinderung von Pressearbeit, teilweise auch Körperverletzungen” [–> Radiointerview]

Protest gegen Bündnis 90 / Die Grünen I

Auf Grund ihrer Zustimmung zur Räumung von Lützerath haben Aktivist*innen der Interventionistischen Linken gelbe Widerstands-Kreuze an die Bundesgeschäftsstelle der Grünen Partei angebracht.

Protest gegen Bündnis 90 / Die Grünen II

Parallel dazu haben Aktivist*innen das Parteibüro der Grünen in Aachen besprayt und versucht, dort die Scheiben einzuwerfen. Dieses hat zu einer erhitzten Debatte zwischen Parteivertreter*innen und Aktivist*innen von “Ende Gelände” auf Twitter geführt – die eigentlich in Ruhe weitergeführt werden müsste, denn sie berührt elementare Fragen einer Systemtransformations-Strategie.

Hierzu zählen: (1) die Frage, von wem Gewalt ausgeht – der Polizei und der RWE-Security bei der Räumung von Lützerath ODER den Aktivist*innen die nachts das Grünen Büro von außen demoliert haben; (2) zusätzlich die Frage, ob nicht der Raubbau von RWE durch den Kohleabbau und die fatalen klimapolitischen Folgen davon bereits eine Form struktureller Gewalt darstellt, die Aktionen wie Sachbeschädigung legitimieren würde; (3) die Frage, in welchem Tempo und in welcher Form eine Systemtransformation erfolgen sollte: die Vertreter*innen der Grünen stellen die Räumung von Lützerath als einen notwendigen parlamentarischen Kompromiss zur Beendigung der Kohle-Zeit dar VS. die Wahrnehmung der Aktivist*innen, dass der Kohlebergbau sofort eingestellt werden müsste; (4) die Frage, ob eine sozialökologische Transformation auch in Kooperation mit aggressiv auftretenden Polizeieinheiten und RWE-Security sowie einer profitorientierten Unternehmensleitung von RWE vonstatten gehen soll ODER ob repressive Staatsapparate und kapitalistische Konzerne aus dem demokratischen Meinungsbildungsprozess ausgeschlossen werden müssen, weil sie für eine gewaltförmige und naturzerstörerische Politik stehen?

Hier die Twitter-Auseinandersetzung zu diesen Fragen:

Herrschaft und Enteignung im digitalen Kapitalismus: das digitalisierte Pfandsystem

Eine Anekdote, über die sich diskutieren ließe: ich wollte heute morgen einen alten Lidl-Pfandbon vom letzten März an der Lidl-Kasse einlösen, dieses ging aber laut Kassierin nicht, weil: “Pfandbons nur 2 Wochen gültig” seien.

Warum genau? Niemand weiss es – auch weil kein entsprechender Hinweis auf dem Pfandbon war. Aus meiner Sicht eine krasse Unverschämtheit, weil sich Lidl damit tendenziell das Pfandgeld aneignet – gerade von Leuten, die auf Pfandgeld angewiesen sind und z.B. Pfand-Bons geschenkt bekommen.

Ich habe dann nach verweigerter Geld-Auszahlung fast nen Wut-Kollaps an der Kasse bekommen – trotz gefühlt 15m Schlange hinter mir mit Leuten, die “dringend zur Arbeit” wollten. Die Kassiererin hat jedoch nur mit den Schultern gezuckt, denn die digitale Kasse verweigerte einsehbar die Bon-Einlösung und spuckte statt dessen eine Fehlermeldung aus.

Soviel zum Thema Herrschaft im digitalen Kapitalismus und einer der zentralen Fragen im gesellschaftlichen Digitalisierungsprozess: wer programmiert wie und in welchem (Klassen-)interesse die Maschinen, die uns im Alltag regieren? Und was passiert, wenn Widerspruch und Widerstand gegen die Ausrichtung der Maschine automatisiert unterbunden, erschwert oder bestehende Systeme wie das Pfandsystem und dessen Laufzeit als gesetzt dargestellt wird und niemand mehr zuständig ist?

P.S. Klar, dass Lidl nicht erste Sahne ist, wissen wir ja seit der hardcore Mitarbeiter*innen-Überwachung vor ein paar Jahren schon länger [–> siehe hier]. Aber die digital organisierte Enteignung der Kund*innen war für mich nochmal ein neuer Aspekt.