Im Folgenden sollen erneut Positionen anti-militaristischer und friedenspolitischer Gruppen zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine dokumentiert werden.
Anti-Imperialistische Positionen: Solidarität mit linken ukrainischen Gruppen
Ein internationales Autor*innen-Kollektiv hat in Reaktion auf einen Artikel, der eine quasi-Kapitulation der ukrainischen Armee angesichts der russischen Übermacht und der zerstörerischen Kriegsdynamik fordert, im August eine anti-imperialistische Position ausformuliert, die sich auf die linken Kräfte in der Ukraine als Bezugspunkt linker deutscher Politik stützt. Die innerukrainische Linke sei weder mit der ukrainischen Regierung gleichzusetzen noch mit den Interessen der NATO im Russland-Ukraine-Konflikt. Stattdessen müsse eine solidarische Perspektive die Selbstbestimmungsansprüche jener linken ukrainischen Kräfte in den Blick nehmen und diese unmittelbar stärken:
„Die ukrainische Bevölkerung führt keinen »Stellvertreter-Krieg« der Nato gegen Russland, sondern kämpft für ihre eigene Unabhängigkeit sowie für demokratische und soziale Rechte, die sie unter russischer Besatzung verlieren würde. Die verheerende Menschenrechtssituation in den sogenannten Volksrepubliken im Donbas ist als wahrscheinliche Perspektive unter einem Besatzungsregime Drohung genug.“
Das Autor*innen-Kollektiv äußert sich nicht zur Frage von staatlichen Waffenlieferungen, sondern verweist zum einen darauf, wie stark die Ukraine ein Knotenpunkt der polit-ökonomischen Interessenslagen unterschiedlicher internationaler Akteure ist, und welche Eigeninteressen linke Akteure in der Ukraine im Unterschied dazu haben. In diesem Spannungsfeld müssten internationale solidarische Beziehungen etabliert werden:
„Unsere Solidarität gilt dem bewaffneten und unbewaffneten Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gegen die russischen Besatzungstruppen. Ganz besonders unterstützen wir die Feminist*innen, Sozialist*innen und Anarchist*innen, die sich sowohl mit zivilen als auch militärischen Mitteln politisch eigenständig an diesem Widerstand beteiligen. Wir solidarisieren uns mit den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in der Ukraine, die sich der neoliberalen Wirtschaftspolitik widersetzen und für einen sozialökologischen Wiederaufbau einstehen. Wir stehen selbstverständlich auch an der Seite der sozialistischen, feministischen und anarchistischen Kräfte in Russland und Belarus, die sich ihren Herrschern trotz großer Gefahren und Risiken mutig widersetzen.“ [–> ARTIKEL]
Antimilitaristische Debatte zu Waffenlieferungen in die Ukraine
Die Hamburger Gruppe „Blauer Montag“ hat in der August-Ausgabe von Analyse & Kritik eine dezidierte Kritik pauschaler deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine formuliert:
„Wir haben auch keine Antworten darauf, wie der Krieg beendet werden kann und was der Beitrag der marginalisierten deutschen Linken dafür wäre. Aber eine Unterstützung der politischen Klasse in Deutschland beim Export von Waffen in diesen Krieg ist aus unserer Sicht eine Preisgabe bisheriger antimilitaristischer Grundpositionen und keinesfalls ein Akt internationaler Solidarität mit »der Linken« in der Ukraine.“
Statt dessen müsse eine anti-militaristische Debatte eine konkrete Folgeabschätzung deutscher Waffenlieferungen vornehmen, und diese qualitativ einordnen: „Das Mindeste, was wir uns selbst als antimilitaristische Linke in Deutschland und auch die Genoss*innen in der Ukraine fragen müssen, ist doch, was die Forderung nach Waffenlieferung in der jetzigen Situation konkret bedeutet: Kommen die Waffen in die Hände linker Bewegungen oder sind es Waffenlieferungen für die ukrainische Armee? Welche Haltung hat eine Linke hierzulande und in der Ukraine, die in der jetzigen Situation für Waffenlieferungen und damit für eine militärische »Lösung« eintritt, zu Kriegsdienstverweigerung und Desertion?“
Diese Fragen seien im scharfen Gegensatz zum grünen Militarismus der Grünen essentiell für eine anti-militaristische Debatte, nicht zuletzt wegen der dort immer wiederholten Banalisierung der Kriegsfolgen: „Ein Krieg ist keine Hinterhofschlägerei. Der Krieg verwüstet Territorien, Gesellschaften und Menschen, und zwar auf Jahre und Jahrzehnte. Niemand geht aus einem Krieg unbeschadet heraus, weder Sieger*innen noch Besiegte.“ [–> ARTIKEL]
Antimilitarische Praxis: Beispiele
Die Informationsstelle Militarisierung hat eine lesenswert Übersicht von 6 antimilitaristischer Gruppen und deren Handlungsfeldern veröffentlicht, u.a. „rheinmetall entwaffnen“ und das „RüstungsInformationsbüro“. [–> ÜBERSICHT]
IPPNW: Zivile Konfliktlösungsmöglichkeiten
Die „IPPNW – Deutsche Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzt*innen in sozialer Verantwortung“ hat Ende August eine sehr lesenswerte Broschüre über die unterschiedlichen zivilen Handlungsmöglichkeiten und Forderungen zum Russland-Ukraine-Krieg herausgebracht. Dieser liefert sowohl eine sehr gute historischen Einführung in die bisherigen verhandlungspolitischen Versuche, den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine vor und nach dem Kriegsausbruch diplomatisch zu lösen – und lotet die Spielräume aus, diesen Weg konsequent weiterzuverfolgen.
Dabei wird deutlich wie komplex die geostrategische Einbindung des Russland-Ukraine-Konflikts in die Interessenslagen anderer Bündnisse wie der NATO, oder Staaten wie der Türkei oder Deutschlands ist – und wie gering bei dem aktuellen Kriegsverlauf die „Verhandlungsmasse“ zwischen Russland und der Ukraine ist. Dennoch dürfe das Ansinnen einer zivilen Konfliktlösung nicht aufgegeben werden.
In diesem Sinne analysiert der Bericht auch die immer weiter zunehmende Kriegsdynamik: von der hohen Anzahl von Kriegsopfern, vom im Westen immer beschworenen „Mythos erlösender Gewalt“, der mit laufendem Kriegsgeschehen immer weiterzunimmt, über schärfer werdende Feindbilder bis zur Gefahr eines Atomkrieges. [–> Broschüre]
Konferenz: der Ukraine-Krieg und Aufrüstung
Die “Informationsstelle Militarisierung” veranstaltet Ende November eine Konferenz, die sich mit der geostrategischen Einordnung des Russland-Ukraine-Kriegs und den Folgen für die globale militärische Infrastruktur beschäftigt, wobei der Schwerpunkt auf der deutschen Bundeswehr liegt:
“Im Jahr des russischen Angriffs auf die Ukraine wird sich der Kongress der Informationsstelle Militarisierung mit der Vorgeschichte des Konflikts und den Folgen insbesondere in Deutschland auseinandersetzen. Abseits der konkreten Gefechte und Frontverläufe wird der Krieg in der Ukraine als Konflikt der Großmächte und Stellvertreterkrieg analysiert und ein genauerer Blick auf westliche Sanktionen und Waffenlieferungen geworfen. Auch die zahlreichen Reformen der NATO- und Bundeswehrstrukturen und die Verwendung der deutlich erhöhten Rüstungsausgaben werden ausführlich aufgearbeitet.
Schon jetzt ist zudem absehbar, dass interessierte Kreise auf eine Verstetigung des Bundeswehr-Sondervermögens drängen werden, eine Auseinandersetzung, die in wenigen Jahren von zentraler Bedeutung sein wird und auf die es bereits heute gilt, sich vorzubereiten. Wir wollen jedoch auch einen Blick auf die möglichen Alternativen werfen: Welche Konzepte bestehen für den gewaltfreien Widerstand gegen Krieg und Besatzung, welche „Sicherheitsarchitekturen“ können ein friedliches Zusammenleben in Europa ermöglichen und welche Aufgaben bestehen aktuell für die Friedensbewegung?” [–> Kongress-Seite]
Petition: Schutz und Asyl für Deserteure und Verweigerer
Der anti-militaristische Verein Connection e.V. hat zusammen mit anderen NGOs eine Petition gestartet, die die europäische Kommission, den Rat und das Parlament aktiv dazu auffordert, Deserteuren und Kriegsdienstverweigerer*innen aus der Ukraine, Russland und Belarus politischen Schutz und Asyl zukommen zu lassen.
Aus dem Petitionstext: „Wir forden Sie auf: Geben Sie Deserteuren und Verweigerern aus Belarus und der Russischen Föderation Schutz und Asyl! Fordern Sie die ukrainische Regierung auf, die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern einzustellen und ihnen ein umfassendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu garantieren! Öffnen Sie die Grenzen für diejenigen, die sich unter hohem persönlichen Risiko in ihrem Land gegen den Krieg stellen!“
Zielstellung der Petition ist es, den internen Widerstand gegen jegliche Form von Kriegshandlungen zu unterstützen, und dadurch eine Friedensdynamik zu erzeugen. [–> Petition]
Überblick: Anzahl der wehrpflichtigen, geflüchteten Männer* aus Russland, Ukraine, Belarus
Der Verein Connection e.V. hat versucht, die Anzahl jener wehrpflichtigen Männer* zu schätzen, die seit Kriegsbeginn aus dem Konflikt geflüchtet sind. Insgesamt kommt die NGO auf ca. 150.000 geflüchtete Wehrfähige aus Russland (bis zur Teilmobilmachung), ca. 145.000 Geflüchteten aus der Ukraine und ca. 22.000 aus Belarus. Gleichzeitig betont sie die hohe Dunkelziffer, da insbesondere viele Geflüchtete aus der Ukraine sich angesichts der kriegseuphorischen Diskurse vor Sanktionen oder Stigmatisierungen fürchten würden:
„In der Öffentlichkeit ist kaum bekannt, dass so viele Männer aus der Ukraine geflohen sind, die sich dem Kriegseinsatz entziehen. Es gibt auch fast niemand, der mit seiner Geschichte (auch anonymisiert) an die Öffentlichkeit gehen will. Bei Connection e.V. erhalten wir fast täglich Anfragen zu ukrainischen Verweigerern, fast immer aber von Angehörigen oder Freunden, ganz selten von den Betroffenen selbst.
Wir gehen davon aus, dass zum einen das öffentliche Interesse viel stärker fokussiert ist auf die Verweigerung in Russland (und Belarus). Zudem haben die ukrainischen Verweigerer aktuell keinen Anlass, darüber zu sprechen, da sie in der Europäischen Union zumindest befristet einen humanitären Aufenthalt bekommen. Darüber hinaus befürchten sie wohl Diffamierung und die Brandmarkung als Verräter und bleiben daher lieber im Hintergrund.“ [–> BERICHT]