für alle, die es bisher nicht sehen konnten: hier die 50 minütige pressekonferenz von merkel, söder und müller von gestern zum lockdown. irgendwie eine grundsteinlegung für die kommende zeit.
um es vorab zu sagen: ich kann persönlich und allgemeinpolitisch mit dem lockdown leben.
aber der “solidaritäts-diskurs”, der gerade von neoliberaler und neokonservativer seite als deutungsrahmen der “zweiten welle” eröffnet wird, warum es den lockdown geben sollte, ist aus meiner sicht nur zynisch und ein hegemonialer frontalangriff auf eine linke kritik der gegenwärtigen bundesdeutschen politik.
hierzu zähle ich:
– leugnung der negativen effekte neoliberaler sparpolitik in den bereichen gesundheit und bildung, die erst die grundlage für “zu wenig krankenhausbetten” und “probleme bei der beschulung” darstellen
– dadurch zusätzliche abwälzung von care- und sozialer arbeit auf lehrer*innen / kita-erzieher*innen / pflegende, und das OHNE entsprechende ausstattung der arbeitsstätten, schutzmaßnahmen oder gar zusätzliches entgeld
– instrumentalisierung von linken bewegungsdiskursen, um legitimität für den lockdown zu schaffen, obwohl es insbesondere die neokonservativen seit jahrzehnten einen scheissdreck interessiert, wie es zum beispiel “verprügelten frauen und kindern” geht. die kräfte, die dieses jetzt zum anlass für das aufrechterhalten von schule und kita nehmen, damit keine häusliche gewalt stattfinden, sind die gleichen kräfte, die die programme der frauenhäuser und -notrufe und der jugendhilfe über jahre gestrichen und permanent in frage gestellt haben. kiss my ass.
– in diesem sinn auch: eine instrumentalisierung einer durch covid ausgelösten “sozialen krise”. wenn ich spd-müller reden höre, denke ich wirklich, es hätte den sozialdemokratischen neoliberalismus und hartz iv nie gegeben. für einen relevanten teil der bevölkerung ist die “soziale krise” doch staatlich und besonders von der spd unter rot-grün bereits verordneter alltag – und zwar seit jahren. armut, hunger, schlechte gesundheit, keine kulturelle teilhabe. dass sich jetzt ausgerechnet die spd hinsetzt, und die sozialen belange vertreten will, ist nur noch hohn gegenüber jenen, auf deren rücken sich die spd profiliert hat und dieses nun wieder versucht.
– die instrumentalisierung des solidaritätsgedankens: ist bereits oben fast alles zu gesagt, remember: spaltung der gesellschaft in arm und reich, klassenkampf von oben durch gängelung und stimatisierung von armen usw.. ich will nur sagen, dass merkels “wir müssen jetzt” (analytisch-wissenschaftlich gepaart mit paternalistischen diskursen), söders “wir schaffen das – alle zusammen und gemeinschaftlich” (sportlich-politisch mit bayerischem daddy-karma) und müllers “ich weiss auch nicht. ich wollte nicht, ich musste aber, ich bin so traurig” (lehrling, der erwachsen wird) drei unterschiedliche ausformungen der selben sache sind. einem systemkonformen aneignung des solidaritätsbegriffs. hier gilt es sich aus emanzipatorischer, linker perspektive zu widersetzen.
– schließlich kann eine grundsätzliche werteorientierung auf 2 sachen beobachtet werden: “arbeit / wirtschaft” und “schule”. aus meiner sicht stellt dieses vielleicht die krasseste normierung dar, die mit dem lockdown einhergeht. das individuelle kerngeschäft wird im alten cdu-sinne neu definiert, back to the west-german-roots. in wahrheit sind die schulen kurz davor zu kollabieren (aber darüber redet die grosse koalition nicht) und der kapitalismus wird nicht dahingehend befragt, was denn eigentlich gerade wirklich “systemrelevant” ist und was dienstleistungsbullshit, der auch ein halbes jahr ruhen kann, ohne dass es jmd auffällt, ausser dem virus, weil der kann sich dann weniger weiterverbreiten.
und ich kann die frage nach “wer soll das denn bezahlen, wenn leute nicht arbeiten?” nicht mehr hören – es gibt genug instrumente, um geld reinzuholen, von der reichensteuer, erbschaftssteuer, finanztransaktionssteuer usw. alleine cum-ex hat den bund 50 MILLIARDEN an steuern gekostet. nur mal so als ersten schritt. aber da hängt ja der bundesfinanzminister scholz mit drin, darum lieber pscht pscht und “alle zusammen”.
ich finde, es ist zeit für eine gegenhegemoniale debatte zu diesen punkten, weil sonst ist die neoliberale und neokonservative “cdu-spd-welt” nach corona so dominant, dass die gesellschaftspolitische linke sich sehr lang machen werden muss, um dagegen anzukommen. und da habe ich persönlich keinen bock drauf.