Corona-Bekämpfung: die neue Öffnungsstrategie und das Stufenmodell

Wie seht Ihr die neuen Corona-Öffnungen?

Ich merke, dass mir diese schwer im Magen liegen, vor allem angesichts der gesundheitlichen Risiken, denen nun viele Leute ausgesetzt werden. Sei es als Risikopatient*innen, als Arbeitende oder schlicht als sich Bewegende im gesellschaftlichen Alltag.

Die Veränderung der GroKo-Politik ist aus meiner Sicht massiv. Lange hatte ein Absenken der Infektionszahlen die höchste Priorität – was ich in der konkreten Ausgestaltung oft kritikwürdig fand, aber als allgemeines Ziel befürwortet habe. Nun heisst es “zurück zur Normalität”, was auch immer das konkret inhaltlich bedeutet und was es gesundheitspolitisch kostet. Das geht eigentlich nicht, werden die Aussagen der Virologen und Epidemologen zu den neuen Mutationen zu Grunde gelegt und stellt aus meiner Sicht einen krassen Dammbruch dar.

Das Stufenmodell ist zudem in sich willkürlich und unpraktikabel (u.a. weil viele Branchen nicht so kurzfristig funktionieren können), und bedeutet de-facto ein weiteres Jahr (bis zum Ende der Impfungen) komplette Unsicherheit. Sollten die Infektionszahlen deutlich unter einer 100er Inzidenz bleiben, hält es sich alles noch in Grenzen – bei unter 50 könnte es sogar eine Entspannung geben, aber sollte sich der Wert – wie zuletzt prognostiziert – durch die Virusmutationen zwischen 80 und 120 einpendeln, dann werden wir ein Auf-und-Zu erleben, was für viele sehr schwer zu ertragen sein wird. Dieses Gefühl, in einem “Experiment” zu leben, wird sich stark potenzieren.

Hinzu kommt nun die neue “Selbstverantwortlichkeit” mit den Selbsttests. Diese bringt natürlich für die Einzelnen mehr Klarheit, und kann auch bestimmte gesellschaftliche Räume corona-sicherer machen – sie widerspricht aber in ihrem Modell der “individuellen Selbststeuerung” dem Stufenplan als allgemeinem staatlichen Rahmen, der über den getesteten Leuten steht. Hier sehe ich erhebliches Frustpotential (“Ich teste mich die ganze Zeit, trotzdem hat alles zu”). Hinzu kommt der Punkt, dass nun individuelle gesundheitspolitische Sicherheit “kaufbar” wird (25 Euro für 5 Schnelltests) und dieses Leute mit geringen Einkommen massiv benachteiligt. Es werden sich garnicht alle testen lassen können.

Natürlich habe ich die Hoffnung, dass der neue Öffnungsversuch ohne ein Anstieg der Infektionszahlen funktioniert. Warum auch immer: wegen der Tests, weil die Infektiösität im Sommer zurückgeht, weil die Mutationen sich irgendwie totlaufen. Trotzdem denke ich, dass es im Rahmen der am Mittwoch beschlossenen Vorgaben sowohl gesundheits- als auch sozialpolitisch wenig Grund zum Optimismus gibt – denn der Übergang von der Pandemiebekämpfung durch Eindämmung zu einer Strategie des Testens, stufenweise Öffnen und Schließens und langsamen Impfens bedeutet de-facto die Gefahr einer erhöhten Infektionsrate mit Toten und Erkrankten und eine starke Prekarisierung des gesellschaftlichen Alltags jener Leute, die nicht über die finanziellen Mittel verfügen, sich abzusichern.

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