Antirussischer und antislawischer Rassismus
Je länger der Krieg in der Ukraine geht, umso stärker konsolidieren sich auch die Feindbilder der am Krieg beteiligten Parteien bzw ihrer unterstützenden Gruppen. In Deutschland betrifft dieses seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine insbesondere das Aufflammen antirussischer Ressentiments, die kulturalistisch und homogenisierend (“die Russen”) einerseits und regierungsfixiert (“Russland IST Putin”) andererseits begründet werden. Demokratische und pazifistische Kritik, linker Widerstand und politische Differenz innerhalb der russischen Gesellschaft fallen so hinten runter.
Die Tübinger Regionalgruppe des Netzwerk “Rassismuskritische Migrationspädagogik” hat nun im bundesweiten Newsletter eine erste Debatte über den einsetzenden antislawischen und antirussischen Rassismus und mögliche Fragen und Gegenreaktionen begonnen, die ich sehr lesenswert fand:
“Antislawischer/antirussischer Rassismus: Es ist erstaunlich, wie schnell antirussische Klischees in den letzten Wochen reaktivierbar waren. Sie knüpfen an in Deutschland seit mindestens dem Zweiten Weltkrieg verankerte Vorurteile und negative Bilder über Russland und russische Menschen. Aktuell erleben Menschen, die irgendwie als “russisch” identifiziert werden, diese Klischees, Zuschreibungen, Diskriminierungen und immer öfter auch gewaltvollen Übergriffe. Scharf kontrastiert werden dagegen Bilder von Menschen aus der Ukraine, die bis vor kurzem noch Zielscheibe derselben Projektionen waren.
In welchen historischen Kontinuitäten und Brüchen stehen die jetzt reaktivierten Bilder? Was hat dies mit eigenen Familiengeschichten zu tun? Wie können Kinder und Jugendliche begleitet werden, die von diesen negativen Zuschreibungen und daraus resultierenden Anfeindungen betroffen sind? Wie sähe eine Parteilichkeit auf Seiten der pädagogisch Handelnden in diesem Fall aus? Wie können russisch gelesene Kinder und Jugendliche vor Übergriffen geschützt werden?” [S.3, –> LINK ZUM NEWSLETTER-PDF]
Nahrungsmittel und Hungertod im Globalen Süden
Peter Clausing hat für die Informationsstelle Militarisierung in einem sehr gut lesbaren Artikel die tiefgreifenden Auswirkungen des Russland-Ukraine-Kriegs auf den Weltmarkt für Nahrungsmittel untersucht. Im Mittelpunkt stehen dabei Weizen, Gerste und Sonnenblumenkerne bzw. -öl, die durch den Krieg verknappt werden, hinzu kommen gestiegene Energiekosten für den Nahrungsmitteltransport. Im Effekt drohen in ca. 20 Staaten des Globalen Südens, die von globalen Nahrungsmittelimporten abhängig sind, ab Mitte 2022 existentielle Hungerkrisen und massenhafter Hungertod. [–> LINK]
Pädagogische Perspektive auf Krieg
Die bereits oben erwähnte Tübinger Regionalgruppe des Netzwerk “Rassismuskritische Migrationspädagogik” erwähnt in ihrem Statement (S. 3-5) eine Reihe von Themen, die aus meiner Sicht ebenfalls dringend aus linker Perspektive diskutiert werden müssten, um dem gegenwärtigen konservativ-neoliberal-grünen Militarisierungsschub in der deutschen Gesellschaft Einhalt zu gebieten und eine eigene linke Politikagenda gegen den gegenwärtigen Militarismus formulieren zu können.
Neben der Ungleichbehandlung von Geflüchteten aus unterschiedlichen Regionen der Welt, der Etablierung einer “ethnisierten” Freund-Feind-Logik im Alltag und dem Wideraufleben männlicher Rollenmodelle des “Heldentums” betrifft dieses insbesondere die Frage, wie pädagogische Ansätze, die sich auf kommunikative Lösungen für Konfliktsituationen beziehen, nun mit der gewaltsamen Kriegssituation in der Ukraine, die von der deutschen Regierung auch noch explizit mit Waffen unterstützt wird, im Alltag beziehen soll. Die im Newsletter formulierte Frage: “Untergräbt die (fast) unwidersprochene Militarisierung pädagogische Ansätze von Konfliktlösung?” sollte im weiteren Sinne als Anstoss für eine anti-militaristische und friedenspolitische Strategiedebatte dienen, die Antworten sowohl für den Bereich der Internationalen Politik als auch der Alltagspolitik in Deutschland bereit hält [–> LINK ZUR PDF-STELLUNGNAHME, S. 3-5).
Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe
Auch im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mehren sich die Berichte von Massenvergewaltigungen durch Soldaten in der Zivilbevölkerung. Feministische Gruppen kämpfen seit längerem dafür, dass sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen und Kriegsstrategie explizit anerkannt wird, wie Gitti Henschel in einem Beitrag für die Heinrich-Böll-Stiftung betont:
“Noch heute werden sexualisierte Gewaltverbrechen als sogenannte „Kollateralschäden“ von Kriegen von den kriegführenden Parteien gern bagatellisiert und als Einzelphänomene abgetan. Und es hat lange gebraucht, bis geschlechter-basierte Formen der Gewalt als Teil von Kriegsführung öffentlich und politisch anerkannt wurden. Massenvergewaltigungen, gewaltsame Verschleppungen und Versklavung der „Кriegsbeute“ sollen die Feinde demütigen und demoralisieren, und die Gewaltbereitschaft der eigenen Kämpfer steigern. Somit ist geschlechtsbezogene Gewalt Mittel der Kriegsführung und integraler Bestandteil von kriegerischen Auseinandersetzungen mit hohem symbolischen Gehalt. Das wissen wir spätestens seit den Serbien-Bosnien-Kriegen der 90er Jahre” [–> LINK ZUM ARTIKEL]
Dass die Einordnung sexualisierter Gewalt in Kriegszeiten jedoch ebenso ein Deutungskampf um die “guten und schlechten Kriegsparteien” ist und oftmals primär in Freund-Feind-Kategorien vorgenommen werden, zeigt ein äußerst lesenswerter Beitrag von Erica Fischer aus dem Jahr 1993 am Beispiel des Bosnienkriegs. Unter dem Titel “Vergewaltigung als Kriegswaffe” zeichnet sie nach, wie in Kriegszeiten nationalistische Deutungen feministische Interpretationen sexualisierter Gewalt so überlagern können, dass sie einer nationalistisch homogenisierten Gruppe und nicht mehr dem Geschlechterverhältnis, männlichen Rollenbildern und Dominanzvorstellungen oder brutalisierten Umgangsweisen zugeschrieben werden. [–> LINK ZUM PDF-ARTIKEL]
Überblick: zentrale Akteure der deutschen Waffenindustrie
Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) hat für die Rosa-Luxemburg-Stiftung anlässlich der neuesten massiven Aufrüstungspläne einen Überblick über die wichtigsten Waffen-Unternehmen in Deutschland erstellt, die primär von den enormen neuen Rüstungsaufgaben profitieren werden. Aus der Ankündigung: “Wir stellen in einem kleinen Who-is-Who der Waffenschmieden die wichtigsten Akteure vor – neben konkreten Waffenproduzenten sind Unternehmen beschrieben, die als Zulieferer zu den Systemherstellern wesentliche Komponenten produzieren, sowie Ausrüster und Dienstleister der Bundeswehr. Dies ist nur ein kleiner Teil der etwa 300 Firmen, die – gut vernetzt mit Politik und Behörden – das Rückgrat der deutschen Rüstungsindustrie bilden und Deutschland zum fünftgrößten Waffenexporteur der Welt machen.” [–> LINK]