Linke Positionierung gegen die rassistische These eines “importierten muslimischen Antisemitismus” in Deutschland

Community-übergreifender, linker, antifaschistischer Teilkonsens

Angesichts der momentanen anlaufenden, neuen Welle antimuslimischen Rassismus in Deutschland und der damit einhergehenden unsäglichen rassistischen Debatte um “importierten Antisemitismus” durch Muslime ist es aus meiner Sicht zentral, zu betonen, dass der Schutz jüdischen Lebens bereits jetzt ein plural verorteter, antifaschistischer Konsenspunkt von linken Gruppen und Einzelpersonen über die unterschiedlichen community- und Szene-Grenzen hinweg ist.

Dieser antifaschistische Konsens existiert schlicht bzw hat sich in Deutschland historisch herausgebildet – in Teilen der weiß-deutschen Bevölkerung wie in den linken Teilen jener migrantisierten und rassifizierten communities, die jetzt angetrieben vom Rechtsradikalismus der AfD und getragen vom bürgerlich-abgeschwächten Rechtspopulismus der Alt-Parteien (Ausnahme Linkspartei) als “muslimisch”, “palästinensisch”, “arabisch” und damit automatisch als “antisemitisch” gebrandmarkt werden.

Solidarische Unterstützung und Sichtbarmachung antifaschistischer Kräfte

Daher ist es aus meiner Sicht gerade in Zeiten rassistischer Kampagnen Aufgabe von weiß-deutsch identifizierten Linken, aktiv solidarisch auf migrantisierte oder rassifizierte Leute zuzugehen und öffentlich auf diese hinzuweisen, die sich in den jeweiligen communities bereits antifaschistisch äußern.

Aus meiner Sicht bedeutet diese Form der solidarischen Unterstützung einen ersten zentralen Schritt anti-rassistischer Praxis, weil gesamtgesellschaftlich wirksame, homogen-rassifizierende Bilder von Gruppen dadurch unterlaufen werden können, dass Einzelpersonen oder Gruppen angeführt werden, die gängigen Klischees widersprechen.

Beispielhaft möchte ich daher auf Ferat Kocak verweisen, langjähriger antifaschistischer und solidarischer Aktivist und Abgeordneter der Linkspartei aus Neukölln [–> hier twitter account], der nach den Anschlägen auf die Synagoge in Berlin-Mittte folgendes twitterte:

Abstand von homogenisierenden, autoritären Erziehungsdebatten

Darüber hinaus ist es aus meiner Sicht nicht zielführend, wenn Linke sich an staatlich gestützten Erziehungsdiskursen beteiligen, die auf der Grundlage der Homogenisierung migrantischer Communities, einem pauschalen “Antisemitismusverdacht” und damit einer rassistischen Stereotypisierung das politische Ziel ausgeben wollen, rassifizierte oder “muslimisch” identifizierte Leute oder gar Gruppen oder Bevölkerungsteile pauschal über Antisemitismus belehren oder gar “antifaschistisch aufklären zu wollen”.

Die einer solchen Vorgehensweise zu Grunde liegenden rassistischen Homogenisierungstendenzen von vermeintlichen “muslimischen Antisemit*innen” sind nicht nur diskriminierend, sie machen auch potenzielle linke Bündnispartner*innen in den jeweiligen communities unsichtbar, weil diese in antirassistische Verteidungsposition gedrückt werden.

Daher muss gerade in Zeiten des gesellschaftlichen Rechtsrucks in Deutschland darauf beharrt sein, dass eine angemessene “Strategie gegen Antisemitismus” gesamtgesellschaftlich angelegt sein muss. D.h. sie muss unterschiedliche politische sozio-ökonomische, politisch-organisatorische und identitäre Kontexte differenzieren, in denen Antisemitismus entsteht. Und sie muss in der Form der sozialen Interaktion den permanenten antimuslimischen Alltagsrassismus in den Blick nehmen, der jegliche Form der politischen Kommunikation zwischen “weißen” und migrantisierten Menschen über das Thema prägt.

Gefahr: Unsichtbarmachung des weiß-deutschen Antisemitismus

Geschieht dieses nicht, bleibt der rassistische Blick an “den Muslimen” hängen, was de-facto die Unsichtbarmachung der antisemitischen Geschichte Deutschlands und darin besonders des Holocausts bedeutet. Dazu gehören auch die antisemitischen Kontinuitäten nach 1945 in der BRD bis zum heutigen “weiß-deutschen”, rechten und verschwörungstheoretisch getragenen Antisemitismus, der quantitativ immer noch den größten Anteil antisemitischer Gewalt- und Straftaten und öffentlicher Meinungsäußerungen in Deutschland darstellt.

Werden diese, in der weiss-deutschen Geschichte und Gesellschaft verankerten, zentralen Bedingungen von Antisemitismus außer Acht gelassen, setzt sich die selektive Wahrnehmung der gegenwärtigen, antimuslimisch dominierten Antisemitismus-Debatte durch. Das “Bündnis gegen jeden Antisemitismus und Rassismus Hamburg” Mitte Oktober 2023 formulierte dies anlässlich einer Solidaritätskundgebung für die Betroffenen der Eskalation im Nahen Osten sehr treffend: “Deutschland inszeniert sich als Vorkämpfer gegen Antisemitismus, dabei ist die Geschichte Deutschland eine Geschichte antisemitischer Gewalt”.[–> GESAMTER AUFRUF]

Der eskalierende Nahost-Konflikt und seine politischen Folgen in Deutschland: antifaschistische Aktionen gegen Antisemitismus

Das Zusammenfallen der Angriffe der Hamas mit den jüngsten Wahlerfolgen der AfD und einem sich massiv verschärfenden neokonservativen Migrationsdiskurs haben zu einer relativ unübersichtlichen Gemengelage in Bezug auf die Folgen des eskalierenden Nahost-Konflikts in Deutschland geführt. Ich dokumentiere dieses erstmal nacheinander her, um die unterschiedlichen Dimensionen des allgemeinen Rechtsrucks zu benennen.

Antifaschistische Mahnwachen gegen antisemitische Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Deutschland

Auch wenn es meines Erachtens Bezugspunkt einer linkspolitischen Debatte sein muss, die politischen Äußerungen zum gegenwärtig eskalierenden Nahost-Konflikt zu verstehen und zu gewichten, gibt es doch Handlungen in den letzten 3 Wochen in Deutschland, die unmissverständlich geächtet gehören. Hierzu gehören aus meiner Sicht die physischen Angriffe auf jüdische Einrichtungen, am prominentesten der versuchte Brandanschlag auf die jüdische Gemeinde Kahal Adass Jisroel in Berlin-Mitte am 18.10.2023.

Nach dem deutschen Nationalsozialismus und der Shoah muss es aus meiner Sicht politischer Konsens sein, dass Anschläge auf jüdisches Leben keinerlei Akzeptanz und diskursive Interpretationsfläche auf Täter*innen-Seite genießen, sondern schlicht unterbunden werden müssen. Ich fand daher die Mahnwache vor der Synagoge in Kreuzberg direkt nach den Hamas Angriffen sehr gut, und habe mich sehr über die Mahnwache vor der Synagoge in Berlin-Mitte nach den Brandanschlägen gefreut:

Antisemitismus in Deutschland

Während viele gegenwärtige rechtsradikale und rechtsoffene Debatten über die Angriffe der Hamas in Deutschland den Blick auf einen “muslimischen Antisemitismus” lenken, betonen viele linke Beiträge in Absetzung davon, dass der Großteil antisemitischer Gefahr und Diskriminierung in Deutschland von rechten und rechtsradikalen Akteuren ausgeht. Dieses zeigt auch der Blick in die Kriminalstatistik.

Erinnerung an die Situation der israelischen Geiseln

Durch die mit kurzem zeitlichen Abstand erfolgte Dynamik von Hamas-Angriff und der kriegerischen Reaktion der israelischen Armee durch ihren Angriff auf Gaza tritt schnell in den Hintergrund, dass sich immer noch 200 Geiseln in der Gewalt der Hamas befinden, deren Schicksal bisher unklar ist. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Geiseln im Falle einer israelischen Bodenoffensive nach Gaza hochgradig gefährdet sind, denn laut Schilderung der bisher freigelassenen Geiseln sind diese im Tunnelsystem unter Gaza eingesperrt – was aber auch bedeutet, dass diese bei einem beginnenden Bodenkrieg in Gaza in zusätzliche Lebensgefahr kommen würden. Momentan lassen sich in Berlin an vielen Orten – aber auch in Werbespots auf youtube – Plakate finden, die auf Einzelschicksale der über 200 Geiseln hinweisen.

Der Angriff der Hamas und die militärische Offensive der israelischen Armee – linke, israelische/jüdische Stellungnahmen

Der militärisch geplante und durchgeführte Angriff der Hamas auf Israel mit über 1.400 Todesopfern ist mittlerweile 19 Tage her, und die meisten öffentlich mit den Angriffen beschäftigten linken Leute sind immer noch dabei, den Schock zu verarbeiten und Positionen zu entwickeln oder eine weitere militärische Eskalation der politischen Situation durch bereits laufende Angriffe der israelischen Armee auf Gaza mit über 4.000 Todesopfern unmittelbar zu stoppen.

Nachdem ich unmittelbar nach den Hamas-Angriffen bereits eine erste Sammlung von Stellungnahmen online gestellt hatte [–> LINK], dokumentiere ich im folgenden neue Stellungnahmen, die ich für eine internationalistisch-solidarische Debatte zur aktuellen Situation weiterführend finde. Ohne dass ich dieses vorher so geplant hatte, stehen in dieser Sammlung inner-israelische und jüdische Stellungnahmen im Mittelpunkt.

Ausgangssituation: brutal, einschneidend und komplex

Der in Tel Aviv lebende israelische Autor Etkar Keret hat in einem Interview mit dem RBB darauf hingewiesen, dass es für ihn inakzeptabel ist, die Gräueltaten der Hamas so stark zu intellektualisieren, dass deren Brutalität quasi “wegerklärt” wird.

Gleichzeitig weist er darauf hin, dass die Anschläge für ihn in unterschiedlicher Form eine politische Zäsur darstellen, die in ihren komplexen Folgen erst einmal verarbeitet werden müsste. Es sei nicht die Zeit für schnelle, bürokratisch anmutende “Lösungen”, die meist den Zielen der politischen Rechten entsprächen, sondern die Zeit für eine solidarische Verarbeitung der politischen Ereignisse im Sinne eines “Weckrufes” seit dem 07. Oktober 2023.

Das ganze Interview mit Etkar Keret findet ihr hier [–> LINK].

Solidarische Unterstützung von Betroffenen und Verteidigung eines linken Humanismus

In ähnlicher Form hat der in Berlin lebende Autor und Journalist Hanno Hauenstein, der für unterschiedliche Tageszeitungen als Journalist aus Israel berichtet hatte, in einem sehr lesenswerten Beitrag für die linke Monatszeitschrift “Analyse und Kritik” kurz nach dem Angriff der Hamas daraufhin gewiesen, dass dieser Angriff ein massives Kriegsverbrechen darstellt und langfristige EInschnitte, Verlust und Traumatisierungen für die Betroffenen bedeutet.

Umso wichtiger sei daher zum einen deren solidarische Begleitung – zum anderen müsse eine globale Linke aktiv daran arbeiten, ihren Humanismus auch im Angesicht der Gräueltaten der Hamas und der permanenten Entrechtung der Palästinenser*innen nicht zu verlieren. .

Den gesamten Beitrag findet ihr hier [–> LINK]

Hamas-Angriff als zentraler Bezugspunkt einer neueren Nahost-Debatte

Der in Berlin lebende israelische Journalist und Forscher Yossi Bartal hat in einem lesenswerten Beitrag auf Twitter/X [–> GESAMTER BEITRAG] in 10 Thesen davor gewarnt, dass die neuere militärische Eskalation durch Hamas nach Jahren der israelisch-palästinensischen Versöhnungsarbeit in spaltende nationalistische Sackgassen führen könne. Dieser Tendenz müsse sich vehement entgegengestellt werden.

Gleichzeitig gäbe es aus linker Perspektive keinen Weg darum herum, eine Position politischer Trauer zu den Gräueltaten der Hamas zu entwickeln – selbst wenn diese von der politischen Rechten in Israel für die eigene militaristische Agenda genutzt werden könne – und auch wenn es einen seit Jahren innerisraelisch kritisierten, politischen Besatzungs- und Entrechtungskontext auf Seiten der Palästinenser gebe. Letzterer rechtfertige jedoch nicht die Massaker der Hamas in Israel:

Es sei daher die Aufgabe einer internationalistischen-solidarischen Linken, trotz des Schocks und der bereits erfolgten rechten Offensiven und politischen Polarisierungen auf beiden Seiten eine differenzierte Position zum gegenwärtigen Geschehen zu entwickeln:

Den auch ohne Twitter-Account vollständig einsehbaren Beitrag von Yossi Bartal findet ihr hier [–> LINK]

Retraumatisierungstendenzen und psychologische Kriegsführung durch Brutalität der Hamas-Angriffe

Die in Frankfurt am Main lebende jüdische Autorin Laura Cazés hat in einem lesenswerten X-Beitrag (leider nur auf Englisch) darauf hingewiesen, dass die Brutalität der Hamas Angriffe in der jüdischen community zu erheblichen Verunsicherungen und Ängsten geführt habe. Diese bestehen nicht nur darin, Sorge um die eigene aktuelle Sicherheit zu haben, sondern aktiviere eine Ebene der intergenerational weitergegebenen Holocaust-Erfahrung, die von Tod, Brutalität und emotionaler Kälte der deutschen Vernichtungspolitik gezeichnet sei.

Den vollständigen Beitrag von Laura Cazés findet ihr hier [–> LINK].

Israelische Innenpolitik als Bedingungskonstellation

Der israelische Historiker Moshed Zuckermann hat in einem lesenswerten Interview mit der Wochenzeitung WOZ unter dem Titel “Es bleibt nur der Friedensweg” vehement darauf hingewiesen, dass die israelische Politik gegenüber den Palästinensern seit Jahrzehnten keine ernsthafte Friedenspolitik sei, sondern von rechten Kräften bestimmt werde, deren Politik auf einem oberflächlichen “Sicherheitsfetisch” beruhe.

Dieser Fetisch bestehe darin, dass die israelische Rechte immer wieder auf mögliche Angriffsszenarien von Palästinenser*innen hinweise und damit einer kontinuierlichen Militarisierung das Wort rede, gleichzeitig aber Palästinenser*innen konsequent entrechte und selbst in den besetzten Gebieten siedele. Diese sorge im Ergebnis für eine permanente Unsicherheits- und Eskalationssituation [–> INTERVIEW].

Zur Wagenknecht-Partei-Abspaltung von der Linkspartei

Auch wenn ich es als schmerzhaft empfinde, wenn sich selbst als “Linke” verstehende Leute auseinanderdividieren und – wie am Montag dann passiert – voneinander abspalten, muss ich nach der Wagenknecht-Partei-Pressekonferenz [–> AUFZEICHNUNG] und der Reaktion durch einen der zwei aktuellen Linkspartei-Vorsitzenden Martin Schirdewan [–> AUFZEICHNUNG] sagen, dass die Trennung von Wagenknecht & friends von der Linkspartei für mich ein guter Schritt ist. Auch wenn ich natürlich die Sorge haben, dass sich bei den nächsten Wahlen die Stimmen zu Ungunsten der “neuen Linkspartei” (also dann post-Wagenknecht) verteilen und diese dann nicht mehr in den Parlamenten vertreten ist.

Wenn es denn so kommt, wäre es natürlich ein Drama – das zeigen eigentlich alle Ländern ohne linksparteiliche Repräsentanz in den Parlamenten. Sowohl für die Arbeit in den Parlamenten – und selbst wenn die primäre Aufgabe “nur” eine “watchdog”-Funktion ist – als auch für Bewegungsstrukturen, die immer wieder bei der Organisierung, öffentlichen Artikulation und Durchsetzung ihrer Interessen gesellschaftspolitisch in der Luft hängen und ihre Vorhaben “nur” aus sich realisieren können.

Wagenknechts Querfront-Positionen

Ich finde es angesichts der heute erfolgten Abspaltung dennoch wichtig, sich bei dem kräftezehrenden neuen Aufbruch der Linkspartei vor Augen zu führen, dass die “alte Linkspartei” sollbrüchig war – dass also die Aufreibung einer (1) bisherigen Linkspartei-Position, die global-solidarisch nach außen und zumindest kapitalismuskritisch bis -überwindend nach innen ist mit (2) einer von Wagenknecht als Leitfigur artikulierten Position, die nationalstaatlich-protektionistisch nach außen und pro-kapitalistisch mit sozialem Ausgleich und rassistischen Forderungen nach innen ist, zum Ende der Linkspartei als Gesamtprojekt geführt hätte.

Wagenknechts Position ist aus meiner Sicht eine klassische Querfront-Position, mit der es ist, wie es ist: einige Position sind vertraut, einige findet mensch gut, bei anderen setzt der Kotzreiz unmittelbar und direkt ein, andere wiederum werden nur politischen Gegner*innen vertreten. Insofern war und ist Wagenknecht eine “politische Wundertüte”, weil mensch nie weiss, ob sie gleich was latent rechtes oder linkes sagt.

Und um es gleich deutlich hinterher zu sagen: die globalen politischen Krisen und Probleme sind so massiv und werden auch von so vielen linken Leuten als gravierend bis menschheitsbedrohend wahrgenommen, dass es dann schwachsinnig bis verantwortungslos ist, “politische Wundertüten” an zentralen Diskurspositionen sitzen zu haben. Einfach weil diese nerven und viel Kraft kosten. Und inhaltlich stabile Positionen permanent unterlaufen, eindimensional statt intersektional argumentieren und von anderen Leuten (!) dann erklärt und kontextualisiert werden müssen.

Inhaltlicher Dissenz zu den skizzierten Positionen der Wagenknecht-Partei

Als linker, außerparlamentarischer Unterstützer der Linkspartei freue ich mich daher auch über die Wagenknecht-Abspaltung, denn sie spart auch meine Energie und Kraft, irgendwelche kruden oder rechten Thesen kritisieren zu müssen. Ich habe heute bei der PK kein Wortprotokoll geschrieben, aber aus dem Gedächtnis sind mir folgende Dissenze zu den von Wagenknechts Wahlverein skizzierten Grundpositionen im Gedächtnis geblieben:

  • eine von mir befürwortete, global-solidarische Wirtschaftsorganisation statt der Rettung des “Exportweltmeisters Deutschland” (Wagenknecht)
  • eine ernsthafte solidarische, anti-militaristische und friedenspolitische Ausrichtung von Außenpolitik statt einer Verkürzung des Russland-Ukraine-Kriegs auf die Fragen der eigenen Energieversorgung (Wagenknecht)
  • eine Ambivalenz von Marginalisierung und Bekämpfung rechter Strukturen einerseits und Bildungs- und Emanzipationsbemühungen gegenüber rechten Praxen andererseits anstatt der “die Verhältnisse und die Ampel-Politik haben die Leute so wütend gemacht, dass sie jetzt rechts wählen – diese Leute müssen gerettet werden”-Position von Wagenknecht.

Die Antifa-Debatte der frühen 1990er endete ja in der oben beschriebenen ersten ambivalenten Position – und zwar erst nachdem rassifizierte Leute den Kartoffel-Antifa-Diskurs massiv darauf hin hingewiesen hatte, dass die reine, meist weiße sozialpädagogische Betrachtung von Neo-Nazis als “Opfer von Verhältnissen” vergesse, dass diese “Opfer” mit ihren gewalttätigen Praxen eine Lebensgefahr für sie darstellten. Auf heute und die Wählerinnen-Stimmen-Orientierung der politischen Parteien bezogen: wer rechts redet oder AfD wählt, sollte mit Distanz und nicht primär “als Opfer” behandelt werden, weil rechte Wähler*innen alleine durch ihr Wahlverhalten einem rassistischen, rechtspopulistischen Diskurs das Wort reden, der migrantisierte und rassifizierte Leute bereits hart und bis in die letzte Pore ihres Alltags abwertet und diskriminiert.

Schluss: neue inhaltliche Stabilität und politische Freiräume nutzen

Aber ich weiss: Sahra Wagenknecht ist keine antirassistische Antifa-Aktivistin, sondern eine extravagante deutschland-orientierte Publizistin, die in den letzten Jahren nicht wirklich bewiesen hat, dass sie in der Lage ist, sich politisch zu organisieren oder kollektive politische Positionsbildungen jenseits ihrer eigenen Gehirnleistungen zu respektieren. Aber wie heisst es so schön: das ist alles nicht mehr das Problem der “neuen Linkspartei”, sondern des neuen wagenknechtschen Wahlvereins. Die “neue Linkspartei” kann sich nun auf stabilerer Grundlage und mit der neu gewonnenen Freiheit von Wagenknechts Persönlichkeits-Schauspiel den wirklich wichtigen Fragen einer globalen linken Systemtransformation und deren politischer Gestaltung insbesondere im und durch den Kampf gegen Rechts widmen. Meine Unterstützung hat sie dafür.

Gegen den Rechtsruck #01

Ich habe mich entschieden, eine neue Kategorie auf diesem Blog einzuführen, und zwar “Gegen den Rechtsruck”, die sich mit rechten Entwicklungen primär in Deutschland, aber auch global, beschäftigt.

Kein Geld für AfD-nahe Stiftung

Gute Nachrichten: nachdem die AfD die Gründung einer eigenen politischen Stiftung angekündigt und unter dem Namen “Erasmus-Stiftung” umgesetzt hat, und nun Gelder aus den Stiftungstöpfen für politische Bildungsarbeit und Forschung beantragen wollte, gibt es jetzt doch einen Gesetzesentwurf für ein neues Stiftungsgesetz, nach dem die AfD-nahe Stiftung auf Grund ihrer rechts-verfassungsfeindlichen Ausrichtung keine finanziellen Mittel für rechtsradikale Bildungs- und Wissenschaftsarbeit bekommen würde. Ich hoffe, die Gesetzesformulierungen halten etwaigen Klagen der AfD stand. [–> LINK ZUR NACHRICHT]

Nachbereitung und Blick nach vorne: AfD-Wahlerfolge und die Wahlen 2024

Ja, letztes Wochenende war wohl der Höhepunkt der bisherigen Entwicklung der AfD in Deutschland. Drittstärkste Partei bei den Landtagswahlen in Bayern mit 14,6%, zweitstärkste in Hessen mit 18,4% – was am Wahlabend folgte, war ein rechtes Getöse über die eigene Stärke und die Berechtigung der eigenen rassistischen Diskurse und Politikansätze.

Das Problem AfD hat sich jedoch mit den Landtagswahlen in Hessen und Bayern nicht erledigt, sondern wird im kommenden Jahr bei der Europawahl und den drei Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen mit erneuter Wucht kommen, wenn sich bis dahin nicht grundlegende Dinge ändern.

Ich habe daher nachgeschaut, wie es bei den Wahlen im kommenden Jahr aussieht. Die aktuellen AfD-Prognosen und jeweiligen Zuwächse – zwischen 6 und 12% gegenüber den jeweiligen letzten Wahlen – stechen bitter hervor. Im Ergebnis bedeutet das, dass die AfD in Brandenburg und Thüringen mit großem Vorsprung auf Platz 1 liegt, bei der Europawahl und der Wahl in Sachsen liegt sie mit 3% Rückstand auf Platz 2 hinter der CDU.

– Europawahl (im Juni): 1.) CDU 26%, 2.) AfD 23% (+12%) [–> PROGNOSE]

– Sachsen (im Sept): 1.) CDU 33%, 2.) AfD 30% (+5,9%) [–> PROGNOSE]

– Brandenburg (im Sept): 1.) AfD 32% (+8,5%), 2.) SPD 20% [–> PROGNOSE]

– Thüringen (im Sept): 1.) AfD 32% (+8,6%), 2.) Linkspartei 22% [–> PROGNOSE]

Zum Vergleich: für die Linkspartei sieht es zwar je nach Bundesland unterschiedlich aus – sie verliert aber bei jeder Wahl im Verhältnis zur vorherigen Wahl. Konkret heisst das: Europawahl: 5% (-0,5% zur letzten wahl); Wahl in Sachsen: 9,3% (-1,1%); Brandenburg: 8% (-2,7%); Thüringen: 22% (-9%).

Es bleibt abzuwarten, wie außerparlamentarisch und im parlamentarischen Spektrum mit den sich abzeichnenden, massiven Wahlerfolgen der AfD umgegangen werden kann und soll.

Rechte Chatgruppen bei der Polizei und der NSU 2.0

Polit-Comedy in Doitschland ist ja mal so mal so – die Redaktion von Jan Böhmermanns “ZDF Magazin Royale” hat sich jetzt jedoch in einer Doppelfolge mit rechten Chatgruppen bei der Polizei (Folge 1) und der Beteiligung von rechten Polizist*innen am Verfassen von Morddrohungen an linke Personen des öffentlichen Lebens unter dem Namen “NSU 2.0.” (Folge 2) beschäftigt und bemerkenswerte Dinge dazu veröffentlicht.

Folge 1

Hierzu zählt im Anschluss an Folge 1 der Chatverlauf einer rechten Chatgruppe bei der Frankfurter Polizei mit dem Titel “Itiotentreff”, die im Netz eingesehen werden kann. Von mir gleich eine Triggerwarnung: viele Dinge sind brutal, entmenschlichend und einfach ätzend – ich finde es aber wichtig, solche Dinge zur Kenntnis zu nehmen [–> LINK ZUM CHATVERLAUF].

Folge 2

In Folge 2 äußert Böhmermann den Verdacht, dass die ersten Briefe des “NSU 2.0” nicht von einem bereits dafür verurteilten Informatiker aus Berlin, sondern von einem Polizisten des selben Frankfurter Polizeireviers verfasst wurden. Als Reaktion darauf hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt Ermittlungen gegen den Polizisten aufgenommen [–> LINK ZUM ARTIKEL].

Auch wenn dieses als politischer Rechercheerfolg von Böhmermanns Redaktion gesehen werden muss, sagt es doch viel über die Ermittlungswilligkeit der Staatsanwaltschaften gegen rechte Netzwerke bei der Polizei aus. Denn die Opfer des NSU 2.0 hatten bereits während des Prozesses darauf hingewiesen, dass die These von einem “Einzeltäter außerhalb der Polizei” nur schwer aufrecht erhalten werden könne, da dann die Frage ungeklärt sei, wie dieser an die Adressdaten der Betroffenen gelangt sei, die ja über Polizeicomputer im Frankfurter Polizeirevier abgerufen worden waren. Im Kern erhärtet sich so die These eines, fest in Frankfurter Polizei verankerten rechten Netzwerks, dass systematisch Adressdaten von linken Personen abgerufen und dann Morddrohungen an diese verschickt hat.

Rechte Netzwerke kommerziell unterlaufen

Es ist wahrscheinlich momentan nicht mehr als ein Stöckchen zwischen die Beine der Rechten, aber trotzdem gut: die linke Kampagne “Laut gegen Nazis” sichert sich gerade die Markenrechte für rechte, abgekürzte Slogans auf T-Shirts und mahnt dann rechte Versandhandels-Platformen wegen Verletzung der Markenrechte ab. Gibt dann wohl mehr Geld für Antifa e.V. 😉 [–> LINK ZUM ARTIKEL]

Der brutale Angriff der Hamas auf Israel – linke Stellungnahmen

Am 7. Oktober hat die palästinensische Bewegung Hamas verschiedene militärische und zivile Ziele in Israel mit Raketen beschossen und mit bewaffneten Kämpfern angegriffen und überfallen. Der Angriff war so massiv, dass Stand heute (11.10.23) über 1.200 Israelis getötet und über 2.700 verletzt sind – wobei die Hamas-Kämpfer an vielen Orten insbesondere gegenüber der Zivilbevölkerung äußerst brutal vorgegangen sind.

Als Reaktion hat die israelische Regierung eine breite Mobilmachung ihrer Armee vorgenommen, ihrerseits schon 1.000 bewaffnete Kämpfer*innen getötet und den Gaza-Streifen abgeriegelt und damit weitgehend von Essen, Trinken und Energie abgeschnitten. Hier droht eine humanitäre Katastrophe.

Im folgenden dokumentiere ich eine Reihe von deutschsprachigen linken Analysen und Stellungnahmen zum Angriff der Hamas:

New Israel Fund: Trauer um die Opfer des Hamas-Angriffs und Stärkung der inner-israelischen Solidarität

Der Angriff der Hamas fällt in einen jahrzehntelangen politischen Nahost-Konflikt, in dem Israel als Staat eine zentrale Rolle spielt. Die politischen Konfliktlinien verlaufen dabei jedoch nicht – wie oftmals angenommen und medial behauptet – primär zwischen Gruppen und Unterstützer*innen der israelischen und palästinensischen Staatsführung, sondern primär zwischen friedenspolitischen und kriegsorientierten Kräften auf beiden Seiten.

Entsprechend äußert sich z.B. der “New Israel Fund”, eine links-liberale israelische NGO zum Hamas-Anschlag dahingehend, dass dieser neben den zu betrauernden Toten jetzt auch die politische Aufgabe umfasse, “Solidarität zwischen Juden und Palästinensern in Israel zu stärken und jeder Art von Extremismus, Rassismus oder Gewalt zwischen den Gemeinschaften entgegenzuwirken”. [–> LINK ZUR STELLUNGNAHME]

Konkret bedeutet dies, dass nun zum einen die Opferfamilien versorgt und die Toten bestattet werden müssten, und im gesamten Land eine psychologische Versorgung für die Aufarbeitung des Angriffsschocks organisiert werden müsste – zum anderen aber aktiv gegen die sich im Internet formierende Hassrede gegen Araber*innen und Muslime angegangen werden müsste, um gewalttätige Racheaktionen zu verhindern [–> LINK ZUM AKTIONSPLAN]

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschist*innen (VVN/BdA): Israel als Staat der Holocaustüberlebenden und gegen eine Gewaltspirale

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschist*innen verurteilt die Gräueltaten der Hamas, verweist auf das geschichtliche Erbe Israels als Zufluchtsort jüdischer Menschen nach dem Holocaust und wehrt sich gegen die sich abzeichnende Gewaltspirale: “Als Vereinigung, die auch von jüdischen NS-Verfolgten gegründet wurde, möchten wir außerdem daran erinnern, dass noch heute circa 150.000 Menschen in Israel leben, die einst die Shoah überlebten und Zuflucht in Israel fanden. Wir hoffen, dass alle diese schreckliche Zeit überstehen. […]

Wir warnen vor der Gewaltspirale, die sowohl für die israelische als auch für die palästinensische Bevölkerung nur weitere Katastrophen bereithält und appellieren an die politischen Verantwortlichen, eine gewaltfreie Antwort auf den schrecklichen Terror zu finden. Gaza dem Erdboden gleichzumachen und dabei hunderte Zivilist*innen zu töten, bringt weiteres unvorstellbares Leid mit sich und befeuert die Gewaltspirale. Wir warnen auch vor rassistischen Reflexen, die arabische und palästinensische Menschen mit Antisemitismus gleichsetzen und von rechten Akteur*innen hier in Deutschland für ihre Zwecke missbraucht werden.” [–> LINK ZUR GANZEN STELLUNGNAHME]

medico international: Wider die Entmenschlichung

Die internationalistisch ausgerichtete NGO “medico international” hat einen sehr guten Artikel aus humanitärer und ziviler Perspektive auf den Angriff der Hamas und dessen Folgen für eine menschenrechtsbasierte Solidaritätsarbeit geschrieben. Die Bündnispartner*innen der NGO kommen sowohl aus Israel als auch aus Palästina, und sind jeweils schwer getroffen: durch die Massaker der Hamas die einen, durch die Vergeltungsaktionen der israelischen Armee die anderen. Eine Versöhnungsperspektive muss unter diesen kriegerischen Umständen, die feindselig darauf drängen, die jeweilige Gegenseite zu entmenschlichen, mit allen Mitteln aufrechterhalten bleiben:

“Jetzt, in diesen düsteren Stunden, sprechen wir mit unseren Partner:innen in der Region. Die einen trauern um die Opfer der Massaker der Hamas, andere liegen mit ihren Familien in Gaza unter ihrem Bett, weil sie bombardiert werden. Alle haben Angst um ihre Familien, um sich selbst und um ihre Freund:innen innerhalb und außerhalb der sie umgebenden Grenzen. Alle haben Angst vor dem, was noch passieren wird. Wir auch.

Angesichts der Schrecken auf beiden Seiten der Grünen Linie bleibt uns in diesem Moment nicht viel mehr, als unseren Partner:innen in Palästina und Israel beizustehen. Unsere Solidarität und Anteilnahme gilt in diesen Tagen mehr denn je der Zivilbevölkerung in Israel und Palästina, ihrem Wunsch und ihrem Recht auf ein Leben in Frieden und ohne Angst.” [–> LINK ZUR STELLUNGNAHME]

Monroy: Gegen eine pauschale Kriminalisierung der Palästina-Solidarität

Matthias Monroy betont in einem kurzen Kommentar für das “Neue Deutschland”, dass es sich beim Angriff der Hamas um die Aktion einer spezifischen politischen Gruppierung handelt, die dabei war, an Einfluss in den Palästinenser-Gebieten zu verlieren: “Der Großangriff der Hamas auf Israel war kein palästinensischer Aufstand, sondern die Aktion einer militärischen islamistischen Organisation, deren Rückhalt unter der Bevölkerung in Gaza weiter abnahm.”.

Vor diesem Hintergrund warnt Monroy vor einer pauschalen Verurteilung und Kriminalisierung aller palästina-solidarischer Gruppen in Deutschland – da diese sich in der Mehrzahl auf andere Akteure als die Hamas als politische Bündnispartner*innen beziehen. Diese Mehrheit nun mit Hamas-solidarischen Gruppen in einen Topf zu werfen, würde unterschiedliche politische Ziele innerhalb der palästinensischen Soli-Bewegungen verkennen, und wäre ein symbolischer Erfolg für die Hamas, die sich auf dieser Grundlage als Gesamtrepräsentant “der Palästinenser” profilieren könne. (–> LINK ZUM KOMMENTAR)

Staatliche Repression und Überwachung #3

Innere Sicherheit in der BRD: Kriminalitätskonstruktionen im TV

Regina Schilling hat unter dem Titel “Diese Sendung ist kein Spiel. Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann” für das ZDF eine sehr sehenswerte 90-minütige Doku über die TV-Sendung “Aktenzeichen XY” produziert, die in der BRD über lange Zeit eine wichtige Referenz für den Diskurs über Innere Sicherheit war.

Die neu produzierte Doku hinterfragt anhand der ausgestrahlten TV-Fälle die Vorstellungen von Innerer Sicherheit ab den 1960er Jahren in der BRD: was, wer oder welche Entwicklungen haben die Bürger*innen und insbesondere Frauen laut der XY-Sendung besonders bedroht? Wie konnten sich Bürger*innen demzufolge “selber schützen”? Und was waren tendenziell “selbstgefährdene Handlungen” – insbesondere von Frauen – die diese Sendung unterschwellig anprangerte? Doku bitte gerne schauen [–> LINK ZUR SENDUNG]

Partnerschaftliche Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften

Während die konservative Debatte um sexualisierte Gewalt ihren Fokus auf sexualisierte Übergriffe im öffentlichen Raum und “unbekannte”, meist rassifizierte “Täter” legt, die von den Sicherheitsbehörden verfolgt werden müssten, verschwindet so partnerschaftliche sexualisierte Gewalt oft unter dem Deckmantel des “Privaten”. Dabei sprechen allein die in Deutschland gemeldeten Fälle partnerschaftlicher patriarchaler Gewalt eine deutliche andere Sprache.

Im Jahr 2022 wurden laut Zeit Online 157.000 Fälle partnerschaftlicher Gewalt gemeldet: 40 Prozent von Ex-Partner*innen, 60 Prozent von aktuellen Partner*innen. Die patriarchale Dimension ist dabei eindeutig: die Opfer waren zu 80% Frauen, die Tatverdächtigen zu 78% Männer.

Die führt zu folgenden gegenwärtigen Verhältnissen in Deutschland: “Alle 45 Minuten wird statistisch gesehen in Deutschland eine Frau Opfer vollendeter oder versuchter gefährlicher Körperverletzung durch Partnerschaftsgewalt. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch Gewalt ihres Partners oder Ex-Partners. Diese offiziellen Zahlen und Statistiken zeigen jedoch nur einen Ausschnitt. Expertinnen gehen davon aus, dass das sogenannte Dunkelfeld bei häuslicher Gewalt um ein Vielfaches größer ist” [–> LINK ZUM ARTIKEL]

Rechte Strukturen in der Polizei der BRD

Anlässlich der immer wiederkehrenden vermeintlichen “rechten Einzelfälle” in der deutschen Polizei lohnt es sich, eine vertieften Blick auf die Geschichte der Polizei in Deutschland seit Anfang des 20. Jahrhunderts zu werfen, also in Weimar, dem deutschen Nationalsozialismus und der BRD der Nachkriegsperiode. Der Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr widmet sich der Frage autoritärer Bedingungen und rechter Strukturen in der Polizei in einem für die Zeitschrift “CILIP – Bürgerrechte und Polizei” verfassten Artikel von 2009 mit dem Titel “Dunkle Vergangenheit, lichte Gegenwart – Vergangenheitspolitik der bundesdeutschen Polizei”.

Während die Bundesregierung 2001 noch auf einem fundamentalen Bruch zwischen NS-Polizei und BRD-Polizei beharrte, und behauptete: „Das BKA hat keine nationalsozialistische Vergangenheit. Es ist erst im Jahr 1951 gegründet worden” – zeichnet Narr sehr anschaulich die strukturellen, weltanschaulichen und insbesondere beim Aufbau der deutschen Polizei und Geheimdiensten nach 1945 fortbestehenden personellen Kontinuitäten zum NS-Sicherheitsapparat nach. [–> LINK ZUM ARTIKEL]

Was ist Abolitionismus? Part I

Seit ein paar Jahren wird das Konzept des Abolitionismus immer prominenter, sowohl als Bezugspunkt für anti-repressive Bewegungen als auch wissenschaftliche Debatten. Der Deutschlandfunk hat jetzt eine relativ gut zu lesende Zusammenfassung veröffentlicht, die sich mit der antikolonialen Begriffsgeschichte seit Ende des 19. Jahrhunderts bis zur heutigen Infragestellung des rassistisch geprägten Gefängnissystems beschäftigt. Auch wenn bei mir viele Fragen bleiben, finde ich die grundsätzliche Stoßrichtung des Abolitionismus und seine Infragestellens eines Systems des Strafens und Herrschens in einer hochgradig vermachteten Gesellschaft, die jedoch an sich meist nicht hinterfragt wird, sehr gut. [–> ZUSAMMENFASSUNG]

Was ist Abolitionismus? Part II

In diesem Sinne hat die Sozialwissenschaftlerin Vanessa E. Thompson als prominente Vertreterin des Abolitionismus-Ansatzes auch ein lesenswertes und prägnantes Interview gegeben, das auf zentrale, immer wiederkehrende Fragen an den politischen Ansatz des Abolitionismus antwortet [–> HIER].

Ich habe das Ende des Interviews stark gekürzt und kopiere es als Zitat hier rein:

Wie würden Konflikte in einer Gesellschaft ohne Polizei gelöst?

Dem Abolitionismus geht es nicht einzig um die Abschaffung des Bestehenden, sondern vor allem um die Schaffung von etwas anderem. Für die aktuelle Situation gilt: Gefängnisse, Grenzen, Polizei müssen weg, aber auch die Produktionsform, die auf diese Systeme angewiesen ist.

Aber für einen neuen Umgang mit Konflikten und Gewalt braucht es den erwähnten Aufbau sozialer, idealerweise basisdemokratischer Infrastruktur. […] Trotz allem würde es auch in einer abolitionistischen Welt noch ein gewisses Mass an Gewalt geben.

Wie würde mit dieser Gewalt umgegangen?

Grundsätzlich zeigt sich, dass nichtpolizeiliche Methoden viel besser sind, um Menschen aus Gewaltmilieus herauszuholen. […] Es geht darum, Gewaltspiralen anzugehen, anstatt sie einfach weiterzuführen. Das sind langwierige Prozesse, die auch mit Scheitern verbunden sein können. Solche Praktiken werden aber weltweit schon vielerorts gelebt – zum Beispiel mit indigenen Ansätzen, auf die sich Abolitionist:innen beziehen. Diese können die Art und Weise, wie wir gesellschaftlich zusammenleben, radikal transformieren.”

Linke Medienkiste #41

Antifaschismus

An den letzten zwei Wochenenden war der Parteitag der AfD in Magdeburg. Jetzt haben sich mit dem Auschwitz-Komitee, dem Comité International de Dachau und der Lagergemeinschaft Dachau Opferverbände des deutschen Nationalsozialismus öffentlich zu Wort gemeldet, und sich bestürzt über die weitere Rechtsradikalisierung der AfD und ihre steigenden Sympathiewerte in der deutschen Bevölkerung (zuletzt 21% bundesweit) gezeigt:

“Das sei für Überlebende der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager zutiefst verstörend und hochgradig alarmierend, hat Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Auschwitzkomitees, epd zufolge am Freitag in Berlin erklärt. Die AfD, so Heubner, habe sich endgültig aus der “bürgerlichen Tarnungszone” verabschiedet und verfolge eine “unverhohlen rechtsextreme und völkische Agenda”.” [–> LINK ZUM ARTIKEL]

Digitale kapitalistische Überwachung

Wie netzpolitik.org berichtet, hat der Videotelefonie-Dienst Zoom im Mai 2023 seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen geändert, und sich die weltweiten Rechte an allen Daten gesichert, die mit ihren Videoanrufen verbunden sind. Diese beträfe “alle „Telemetriedaten, Produktnutzungsdaten, Diagnosedaten und ähnliche Inhalte oder Daten, die Zoom in Verbindung mit Ihrer Nutzung bzw. der Nutzung der Dienste oder Software durch Ihre Endbenutzer erhebt oder generiert“.

Wozu das? Zoom hat schon seit längerem eine Profitkrise, und wird jetzt versuchen, diese Daten kommerziell weiterzuverwerten – insbesondere “um damit Anwendungen der sogenannten Künstlichen Intelligenz (KI) zu trainieren. Dies führt das Unternehmen im gleichen AGB-Abschnitt ausdrücklich aus.”. Eine vertrauliche Kommunikation ist damit nicht mehr gesichert, wie u.a. bereits von Anwält*innen öffentlich bestätigt wurde. [–> LINK ZUM ARTIKEL]

Feminismus und Patriarchat

Bereits mehrmals wurde mir der Kinofilm “Geschlechterkampf. Das Ende des Patriarchats”, empfohlen, in dem es am Beispiel einer Schauspielerin Anfang 40 um patriarchale Rollenbilder und Gesellschaftsstrukturen und feministischen Widerstand dagegen geht. U.a. mit Auftritten von Teresa Bücker, Michaela Dudley und Lady Bitch Ray. Den Trailer findet ihr hier drunter, eine geschriebene Filmzusammenfassung findet Ihr hier [–> LINK]

Migration und Festung Europa

DIe ARD-Sendung Monitor hat den Tod von mehreren hunderten Geflüchteten auf einem Boot vor der griechischen Küsten im Juni 2023 rekonstruiert. Unterlassene Hilfeleistung durch europäische Polizei- und Seenotrettungsbehörden und rücksichtslose und bewusste sog. “push-backs” (Zurückdrängen aufs offene Meer, weg von Küsten) durch die griechische Küstenwache – this is what Europe looks like.

Oder in den Worten der Monitor-Redation über ihren redaktionellen Beitrag: “Wir haben mit Überlebenden gesprochen, Positionsdaten von Schiffen und Vernehmungsprotokolle ausgewertet. Dabei wird deutlich: Die Behörden haben viel Zeit verstreichen lassen bis sie dem sinkenden Boot zu Hilfe kamen. Sie haben Notrufe ignoriert und Rettung zu spät in Gang gesetzt. Die griechische Küstenwache könnte das Kentern am Ende sogar mit verursacht haben.”

Linke Medienkiste #40

Aufwachsen im Osten

Der MDR hat eine sehr sehenswerte, zweiteilige Doku (insgesamt 90 min) über das Aufwachsen im Osten nach der Wende produziert. Titel: “Generation Crash – Wir Ost-Millenials”. Aus der Auskündigung: “Wie war das Erwachsenwerden in Ostdeutschland in den Neunziger- und Nullerjahren? Mehrere Zeitgenossen erzählen ihre persönliche Geschichte zwischen rechter Gewalt aber auch neuen Freiräumen.”.

Einer der seltenen Beiträge zu Ost-Biographien, die für viele Wessi-Linke eigentlich Standard sein müsste, zu schauen – so wenig, wie über Ost-Sozialisierung im Alltag gesprochen wird. Dazu mit vielen subkulturellen Interviewpartner*innen, was mir den Einstieg zumindest erleichtert hat [–> LINK ZUR DOKU]

Fussball für Alle

Die Kommerzialisierung des Fussballs geht weiter, und die Preise für Pay-TV steigen rasant. Was als öffentliches Ereignis gestartet ist, ist nun auf Grund hoher Eintrittspreise ein Live-Event für die Mittelklasse: Fussball. Wer sich diesen live nicht leisten konnte, konnte eine Zeit noch einen Pay-TV-Sender für zu Hause abonnieren oder in eine Kneipe gehen, und dort für den Preis von 1-2 Getränken ein Spiel schauen. Jetzt steigen aber auch dort die Preise, so dass Fussball-Kneipen dieses Angebot kaum noch machen können. Die Zeitschrift “11 Freunde” hat dazu einen Kneipenwirt aus Bremen interviewt und nach den Gründen für diese Entwicklung gefragt:

Wer trägt Ihrer Mei­nung nach die Ver­ant­wor­tung für diese Ent­wick­lung?
Ich glaube, das ist ein biss­chen wie mit der Wirt­schaft in Zeiten des Kli­ma­wan­dels. Da gibt es viele Betei­ligte, die am bis­he­rigen System so gut ver­dienen, dass es jede Trans­for­ma­tion fast unmög­lich macht. In Bezug auf den Pro­fi­fuß­ball in aller­erster Linie natür­lich die Ver­bände FIFA, UEFA und die DFL.” [–> LINK ZUM GANZEN INTERVIEW]

Kapitalismus und Klimakrise

Von mehreren Seiten schon empfohlen: das “jung und naiv”-Interview mit dem Wirtschaftshistoriker Adam Tooze über Kapitalismus und Klimakrise. Wirklich sehr empfehlenswert, weil er in der Lage ist, sprachlich und inhaltlich Dinge verständlich runterzubrechen und super zu erklären. Leider dauern die “jung und naiv”-Videos immer ewig, das Interview mit Tooze über 3h, aber es reicht ja, durch das Video zu skippen, die für einen sinnvollen Abschnitte rauszubrechen und zu schauen.

#metoo: Tatort Universität

Olivia Samnick und Friederike Röhreke haben für das ZDF eine sehenswerte Doku (29 min) über sexuelle Belästigungen und Abhängigkeiten im deutschen Universitätssystem produziert. Anlass: “Erniedrigungen, Mobbing, sexualisierte Übergriffe – im Wissenschaftsbetrieb häufen sich Fälle von Machtmissbrauch.”. Der Film interviewt Betroffene und politisch Verantwortliche und sucht nach Lösungen für diese unhaltbaren Zustände. [–> LINK ZUM FILM]

Sexismus ist 1 Arschloch. Zur strukturellen Diskriminierung des Frauen-Fussballs am Beispiel der WM 2023

Ich schaue nun seit mehr als 1 Woche die Frauen-WM und bin wirklich begeistert. Coole Spiele, das Niveau ist nun auch in der Breite der teilnehmenden Teams auf Top-Niveau – technisch, taktisch, körperlich alles top: es macht voll Spaß zuzugucken.

Gleichzeitig wird in der zunehmend von Frauen* gestalteten Berichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen deutlich, dass der Frauen-Fussball über viele Ex-Spielerinnen auch eine Reihe von “Expertinnen” herausgebildet hat, die sich voll gut auskennen und ausdrücken können.

“Born for this”, eine Langzeit-Doku-Serie über das doitsche Frauen-Team in der ZDF-Mediathek (–> LINK) zeigt, dass die jetzigen jüngeren Spieler*innen richtige Fussball-Atzen sind, die abwechselnd rumhoolen, kicken und Fussi-Sprüche machen. Was Atzen halt so machen… 😉

In der Elite hat sich der Frauen-Fussball damit so professionalisiert, dass mensch eigentlich von Gleichberechtigung sprechen könnte. Wenn da nicht die mangelnde Öffentlichkeit, Anerkennung und Bezahlung wäre. Zwar hat das gestrige Spiel des doitschen Team gegen Kolumbien mehr Leute erreicht als abends der “Tatort” (–> ARTIKEL) – aber in “born for this” beschreiben mehrere Spielerinnen die schizophrene Abwechslung zwischen großen, medial sehr präsenten Turnieren wie WM und EM seinerseits und dem öffentlich weitgehend unbeachteten Frauen-Bundesliga-Alltag sehr gut. Der aktuelle Diskurs scheint zu sein: gehts ums den nationalistischen Auftrag sollen fussballspielende Frauen* gut sichtbar sein – sonst im professionaliserten oder amateurorientierten Alltag nicht.

Klar,es ändern sich Sachen, wie dass die Öffentlich-Rechtlichen und der Sender Sport1 in der kommenden Frauen-Bundesliga-Saison 32 Spiele im Free TV zeigen, und damit nicht alle Spiele in der Bezahl-Nische von DAZN laufen wie bisher. Oder dass einige Spielerinnen lukrative Werbeverträge bekommen, so dass es auch eine in Ansätzen vergleichbare materielle Anerkennung der eigenen Leistungsstärke gegenüber männlichen Kickern gibt.

Aber die Wahrheit ist weiterhin auch, dass sich die doitschen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten im Poker um die WM-Senderechte bis 8 Wochen vor der WM geweigert haben, der FIFA mehr für die gesamte (!) Frauen-WM zu bieten, als sie sonst für ein (!) Freundschaftsspiel der Männer-Mannschaft zahlen. Durch diese respektlose Haltung war komplett unklar, ob die WM 2023 überhaupt im Free-TV gezeigt wird, was de-facto eine Infragestellung der Existenzberechtigung des Frauen-Fussballs in Deutschland war.

Noch grösser wird dann der Abgrund, wenn mensch die Spiele anschaut, und dann hört, was sich dort so an Gender-Interpretation durch die Kommentator*innen tummelt. Eine Schiedrichterin habe das Spiel souverän im Griff – was aber “natürlich” sei, schliesslich sei sie schon “dreifache Mutter”. Und auch in Bezug auf die Spielerinnen schwingt oft ein überraschter Unterton mit, “wie gut” denn diese nun seien. Als wäre es in gewisser Form “verrückt”, dass Frauen* – wenn sie ab dem frühen Mädchenalter fußballerisch gefördert werden – im Erwachsenenalter zu hochprofessionellen Sportlerinnen werden, die ihr Spiel und alles damit Verbundene kennen und können.

Ich weiss, gegenüber den Vorurteilen aus den 80ern und 90ern, die schlicht patriarchal behauptet haben, dass “Frauen kein Fussball spielen können”, ist das schonmal ein Fortschritt. Aber der Geist der Unterdrückung und Entwertung schwingt meines Erachtens immer noch mit, und muss weiterhin diskursiv angegriffen und endgültig zerstört werden.

Dazu gehört meines Erachtens auch, den Leistungsgedanken im aktuellen Frauen-Fussball offen in Frage zu stellen. Denn die Strategie, durch Leistung und Leistungssport darauf “aufmerksam” zu machen, dass “Frauen auch Fussball spielen können”, beinhaltet aus meiner Sicht viel zuviel Verständnis für pauschale, patriarchale Abwertung und ist vor allem exklusiv. Weil sie nur für jene Frauen funktioniert, die zeigen, “was sie spielerisch und leistungsmässig können”.

Ein inklusives Verständnis von Fussball müsste eigentlich eher darauf setzen, dass alle das Recht haben, zu spielen, egal wie gut. Und dass geschlechterdiskriminierende Abwertung und vor allem Vergleiche “mit den Männern” immer wieder in die Wüste des Status Quo führen, weíl der Frauenfussball in Deutschland eine eigene Entwicklungsgeschichte hat, die bereits zu genug Benachteiligungen von Frauen geführt haben.

Ein selbstbewusster geschlechtersensibler Ansatz müsste meines Erachtens eher nach jenen politischen Forderungen suchen, die dem professionellen Frauen-Fussball im Hier und Jetzt die Anerkennung gibt, die ihm meines Erachtens zusteht. Gleichzeitig muss die übergreifend dominante Frage “Wie gut (im Vergleich zu Männern) kann diese und jene Frau Fussball spielen” zumindest im Jugend- und Amateurbereich ersetzt werden – durch ein einfaches Mitspielangebot, dass Engagement, sportliche Entwicklung und Krafteinsatz für Jede und Jeden offen lässt.

Vielleicht lautet daher die emanzipatorische Frage zum Komplex Fussball und Gender, warum Männer und an patriarchalen Diskursen orientierte Personen es so schlecht gelernt haben, mit Frauen zusammenzuspielen oder deren Fussball-Spiel einfach mal nicht sofort patriarchal zu normieren und zu kommentieren.