Ich habe gerade den wikipedia-Artikel (–> LINK) zum rechtsextremen Attentat von Halle vor 2 Jahren gelesen, weil ich mich zum Jahrestag nicht ausreichend informiert fühlte. Sehr lesenswerte Zusammenstellung, tolle Recherchearbeit – Lesen bildet manchmal wirklich und wikipedia kann so vieles, wenn es richtig genutzt wird.
Trotzdem bleibt Halle natürlich ein historisches Ereignis voller deutscher Abgründe: Rechtsradikalismus, Antisemitismus, anti-muslimischer Rassismus, Anti-Feminismus, gekränkte Männlichkeit und deutschnational geprägtes Weltbild, unkritische und unabgegrenzte Mütterlichkeit – die Mutter des Attentäters ist Ethiklehrerin, hat geahnt, das was passiert, es aber nicht hinbekommen, gegen ihren Sohn und dessen rassistische Mord- und Terrorabsichten zu intervenieren.
Dazu zögerliche, unfähige und wie in Hanau auf den “Einzelfall” abonnierte Sicherheitsbehörden, die der Bitte der Synagoge nach Polizeischutz VOR dem attentat nicht nachgekommen sind.
Und schliesslich rechte Online-Netzwerke, die wegen der Einzelfall-These nicht weiterverfolgt wurden, obwohl sie den Attentäter mit antisemitischem und rassistischem Gedankengut angefüttert, als Typ hervorgebracht und gepusht haben. Und sich im per Helmkamera übertragenen Online-Livestream an der Mord-Tat ergötzt, den Stream mitgeschnitten und in rechtsradikalen Kommunikationsnetzwerken global weiterverbreitet haben. Egal: was laut deutscher Behörden zählt, ist der konkrete Einzelfall – entsprechend wurden die Online-Kontakte des Halle-Attentäters auf rechten Chat-Boards und Gaming-Portalen im Rahmen der Ermittlungen nicht konsequent weiter erforscht und verfolgt. Das ist kaum zu akzeptieren.
Schließlich als Attentäter ein junger Mann*, der von den Gutachtern als “sehr intelligent” und voll schuldfähig eingestuft wurde. Die Tat entsprang keiner Psychose oder so, sondern einer stabilen rechtsradikalen Persönlichkeit. Dazu passt, dass der Attentäter im Nachhinein nur um die weissen Kartoffel-Deutschen trauert, die er “ungeplant” getötet oder verletzt hat, aber bis heute (!) sagt, dass sein Ziel “primär Juden, dann aber auch Muslime umzubringen”, richtig war. Und der im Gericht offen sagt, dass er es nochmal macht, wenn er jemals wieder rauskommt. Und der nun gleichzeitig eine Haftstrafe mit Sicherungsverwahrung bekommen hat, und höchstwahrscheinlich im Knast verrecken wird.
Und gegen all das gibt es direkt seit der Tat den energischen Widerstand der überlebenden Opfer, der Opferfamilien, der Nebenkläger*innen, der jüdischen Gemeinde in Halle und Restdeutschland, von den Besitzer*innen des Döner-Imbisses. Jener Imbiss, in dem ein junger Mann mit geistiger und körperlicher Behinderung erschossen wurde, weil der Attentäter ihn auf Grund seiner Haarfarbe für einen “Muslim” hielt. Sickness here we come.
Die Besitzer des Imbisses hatten im Prozess eine vielbeachtete Rede gehalten, genau wie viele andere Betroffene vor und während des Prozesse:
“Im September 2020 sagten beide Brüder aus. Ismet Tekin erklärte, er habe in vier Sprachen für den Mörder ein Wort gefunden: „Feigling.“ Dann sprach er fast eine Stunde lang über die Verstorbenen, über Respekt, Solidarität, Erziehung, Verantwortung, Schmerz und Resignation: Er habe aufgehört, sich um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bemühen. Ein deutscher Pass sei für dunkelhäutige Menschen ja doch nichts wert. Zuletzt sprach er den Täter direkt an: „Sie haben auf ganzer Linie versagt. Ich lebe, mein Bruder lebt. Entstanden ist noch mehr Liebe und Zusammenhalt. Wir werden nicht weggehen. Und wissen Sie, was? Ich werde Vater, ich bekomme ein Kind. Und ich werde das Beste geben, es hier großzuziehen.“ Er erhielt Beifall.”
Solche Aussagen stehen gerade trotz der eigenen Betroffenheit für den Kampf um Mitmenschlichkeit und Solidarität. Sie zeigen aber auch die politische Verwüstung, die ungebremster rechtsradikaler Terror hinterlässt: von klinisch attestierten posttraumatischen Störungen, der Trauer um die Toten und einem Gefühl der rassismusbedingten Entwurzelung, weil die weiße Mehrheitsgesellschaft es mal wieder versäumt hat, vor und nach dem Tat ihren Arsch engagiert hoch zu kriegen, und Empathie und Support für die Betroffenen zu zeigen, gegen rechte Strukturen anzugehen, Fehler einzugestehen und Rechtsradikalismus nicht als temporäres, sondern als strukturelles, tief im Alltag verankertes Problem zu betrachten.
Die Wortbeiträge der Betroffenen aus dem Prozess zeigen, wie tief der Bruch bei den Angegriffenen in ihrem Gesellschaftsverständnis ist, wenn eine rechtsradikale Kartoffel meint, sich über das Leben von “Juden und Muslimen” zu erheben und diese “auslöschen” zu wollen – und diese Haltung nicht vom Rest der Bevölkerung sofort radikal angegriffen und ausgegrenzt wird. Es bleibt eine menschenrechtliche Lücke – die rassistische Infragestellung der eigenen Existenz – die unkittbar als Differenz zu einem solidarischen Zusammenleben bleiben wird.
Darum meine Empfehlung: lest den wikipedia-Artikel (–> LINK) – danach seid ihr etwas mehr auf dem Laufenden, was Doitschland, seine menschenfeindlichen Abgründe und daraus resultierende Taten angeht.
Halle is not forgotten.