Monthly Archives: July 2018

“Zu dumm zum abschieben”

Heute zynische Frage der BILD auf dem Frontcover, die mich sprachlos macht: “Sind wir zu dumm zum Abschieben?”.

Ich würde als Antwort sagen: ja, ihr “Abschiebefreunde” seid “dumm”, aber im Sinne von globalgeschichtlich ungebildet und dadurch auf eine “deutsche privilegierte Perspektive” abonniert. Bildung hilft einem da oft weiter, den eigenen Horizont zu erweitern.

Euer gefühlter “Mangel an Abschiebefähigkeit” zeigt aber vor allem, dass es Euch an zwischenmenschlicher Empathie mangelt. Für mich sind Fragen wie “sind wir zu dumm zum abschieben?” Ausdruck einer zynisch-kalten, rassistischen Haltung. Jeden Tag sterben Leute im Mittelmeer, werden Familien, Freund*innen durch eine passiv-aggressive europäische Grenzpolitik umgebracht.

In diesem Prozess eine positive politisch-bürokratische Kompetenz darin zu sehen, Leute nach der lebensgefährlichen Überquerung des Mittelmeers “richtig abzuschieben”, d.h. Leute in Unsicherheit, Krieg, Tod, Vergewaltigung und Hunger zurückzuschicken, entbehrt jeder humanistischen, menschenrechtlichen, internationalistischen oder solidarischen Grundlage.

Es ist der schlichte Glaube an die Richtigkeit der eigenen privilegierten Existenz, der so einen deutsch-nationalen Schwachsinn entstehen lässt. Kombiniert mit dem in der deutschen, politischen Kultur tief verankerten Glauben an die immanente Richtigkeit bürokratischer Prozesse, der auch schon den Holocaust und die “Banalität des Bösen” begünstigt hat, entstehen einfache Fragen mit brutaler Schlagkraft.

Um es klar zu sagen: das individuelle Glück der refugees ist wichtiger als Euer Glaube an den “fairen”, kapitalistischen Wettbewerb neoliberaler Subjekte, Eure plumpe Absicherung westlich-europäischer Privilegien, Eure bürokratische Eitelkeit und Eure homogen-imaginierte, nationalstaatlich verfasste und repressiv abgesicherte Grenzordnung.

Urteil im NSU-Prozess

Gestern wurde das Urteil im NSU-Prozess gefällt und ich sammele nun ein paar Quellen zusammen, die das Ganze einordnen sollen:


1. Die Pressekonferenz der Überlebenden und Angehörigen der NSU-Mordserie und ihrer Anwält*innen.


2. Ein Interview mit dem Anwalt Yavuz Narin, der die Familie des Münchner Mordopfers Theodoros Boulgarides vertrat.

Narin verweist darauf, dass er bereits lange vor den “Sicherheitsbehörden” gesicherte Erkenntnisse hatte, dass die in der Öffentlichkeit als “Döner-Morde” verhandelte Attentatsserie von Rechtsradikalen verübt wurde.

“Was haben Sie herausgefunden, als Sie 2011 zu recherchieren begannen?

Ich gelangte schnell zu dem Schluss, dass es sich um eine rechte Terrorzelle handeln muss, die auch für den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße verantwortlich ist.

Wie gelangten Sie zu dieser Erkenntnis, während die Ermittlungsbehörden noch im Dunkeln tappten?

Zuvor hatte ich mich mit der britischen Terror-Gruppe „Combat 18“ beschäftigt. Sie war dafür bekannt, Ende der 90er-Jahre Nagelbomben-Anschläge gegen Minderheiten verübt zu haben. „Combat 18“ gilt als bewaffneter Arm des internationalen Neonazinetzwerks „Blood and Honour“. Und es ist kein Geheimnis, dass die rechte Szene in Deutschland damals maßgeblich von „Blood and Honour“ geprägt war.

Den Kölner Anschlag hatten mitteleuropäisch aussehende Männer durchgeführt. Sie fuhren mit Fahrrädern und wurden sogar von Überwachungskameras gefilmt. Auch bei den damals so genannten Dönermorden wurden mehrfach zwei Männer mit Fahrrädern beobachtet. Die Phantombilder der Verdächtigen glichen einander wie ein Ei dem anderen.”

Narin schildert zudem anschaulich die Belastungen der Familie Boulgarides durch die Anschuldigungen und Ermittlungen der “Sicherheitsbehörden”.

“Wie hat die Familie Boulgarides reagiert, als sich Ihre Recherche-Ergebnisse bestätigten?

Sie war darüber entsetzt, dass tatsächlich eine rechte Terrorgruppe hinter dem Mord an Theo Boulgarides steckte. Für die Angehörigen war unbegreiflich, dass sie öffentlich diffamiert wurden, obwohl die Behörden offenbar viel mehr über die Hintergründe der Anschläge und Morde wussten. Besonders belastend war für sie, dass die Medien wiederum die Informationen und Spekulationen der Behörden kolportierten und nicht hinterfragten. Wie auch bei den anderen Mordopfern war die These, dass es sich um Abrechnungen innerhalb eines kriminellen Milieus handelte. Daher geisterte der unsägliche Begriff der „Dönermorde“ herum, weil die meisten Mordopfer türkische Wurzeln hatten.

Was musste die Familie Boulgarides aushalten?

Einerseits mussten die Hinterbliebenen mit der Ermordung des Vaters und Ehemanns leben. Hinzu kam, dass die Familienmitglieder am Arbeitsplatz und an der Schule schwersten Beschuldigungen und Diffamierungen ausgesetzt waren. Frau Boulgarides verlor sogar ihre Anstellung aufgrund der öffentlichen Berichterstattung, nach dem Motto: Wenn der Ehemann kriminell war, wer weiß, wie lange die schon hier klaut.”