Monthly Archives: April 2022

Politische Solidarität gegen individualisierende Kriminalisierung linken politischen Handelns

 

liebe leute,

hier ein spendenaufruf für zwei freundinnen von mir, die mitte letzten jahres bei protesten gegen den parteitag der berliner afd nach einem belanglosen vorfall festgenommen und nun mit strafverfahren überzogen werden. die anwaltliche schätzung der prozesskosten für die willkürlich angeklagten delikte beläuft sich bittererweise auf ca. 10.000 euro für beide verfahren.

ich weiss, wir können nicht alle gleichzeitig auf alle demos gehen – umso mehr ab berufseintritt, kindern, pflege- oder politverpflichtungen auf anderen feldern – umso wichtiger finde ich die unterstützung jener, die sich tagtäglich zu protesten aufmachen und damit im zweifelsfall nicht nur ihre körperliche und psychische unversehrtheit riskieren, sondern auch ihre finanzielle und berufliche sicherheit durch hohe bußgelder und androhungen von vorstrafen.

denn diese drohungen und kriminalisierungen wirken primär individualisierend und drohen ins private verschoben werden – das betrifft sowohl die psychosoziale bewältigung von ängsten und einschüchterungen als auch die materiellen und beruflichen folgen der angedrohten strafen.

umso wichtiger ist aus meiner sicht ein öffentlicher diskurs über laufende verfahren im rahmen der juristischen möglichkeiten und das eindeutige materielle und symbolische zeichen, dass niemand alleine zurückbleibt, der im rahmen linker polit-aktionen für nix mit staatlicher repression überzogen wird. “no one is left behind” gilt auch hier.

 

 

gleichzeitig muss es zusätzliche aufgabe linker öffentlichkeitsarbeit im kontext staatlicher repressionsmaßnahmen sein, immer wieder auf die politischen kontexte und anlässe hinzuweisen, in denen aktivist*innen mit strafen überzogen werden. allzu oft werden diese antifaschistischen, queer-feministischen oder radikal-ökologischen gründe für demonstrationen im endeffekt von der frage überlagert, wie sich die angeklagen zu polizist*innen oder anderen repressionsorganen konkret verhalten haben oder “was sie konkret in der und der situation gemacht haben”.

diese fragen sind für die betroffenen und ihr standing in den strafverfahren hochrelevant, damit sie heile aus der sache rauskommen – die ursprünglichen motive, sich politisch an dem und dem tag zu bewegen und auf die strasse zu gehen, waren aber sicherlich in den meisten fällen nicht die offene konfrontation mit willkürlicher polizeigewalt, mackertum, cop culture und daraus resultierenden abgesprochenen falschaussagen von polizist*innen.

sondern der politische wille, gegen rechtsradikale parteien wie die afd zu protestieren, die niederwalzung eines waldgebietes zu verhindern oder sich fundamentalistischen christ*innen entgegenzustellen, die frauen* das recht auf abtreibung absprechen.

diese motive – neben der konkreten solidarität im verfahren – immer wieder zu erneuern und ins bewusstsein zu rufen, muss aufgabe einer solidarischen linken öffentlichkeitsarbeit sein. betroffene sind nicht nur “angeklagte”, sondern auch aktivist*innen, die für vertretbare politische ziele ihre rechte auf organisierung und protest wahrgenommen haben, und in diesem kontext – und das ist aus meiner sicht der politische skandal – willkürlich kriminalisiert, eingeschüchtert und verunsichert werden.

es mag eine erfahrungsmässig geteilte “linke empirie” dieser kriminalisierungs-vorgänge geben, von willkürlicher polizeigewalt über abgesprochene falschaussagen bis zu haarsträubenden einstellungen von strafverfahren gegen polizist*innen und überzogene strafen gegen aktivist*innen. diese darf jedoch in keinem fall normalisiert werden, sondern muss immer wieder aktiv kritisiert und in frage gestellt werden.

zum oben genannten fall bei den anti-afd-protesten: ein teil der prozess-kosten wird evtl von anderen strukturen übernommen – die beiden betroffenen haben jetzt aber ein eigenes crowd-funding für einen anderen teil der kosten (3.000 euro) eingerichtet, für das ihr spenden könnt:

https://www.betterplace.me/soli-fuer-anni-und-jenny

merci!

 

Hintergrundinfos: Folgen des Russland-Ukraine-Konflikt

Antirussischer und antislawischer Rassismus

Je länger der Krieg in der Ukraine geht, umso stärker konsolidieren sich auch die Feindbilder der am Krieg beteiligten Parteien bzw ihrer unterstützenden Gruppen. In Deutschland betrifft dieses seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine insbesondere das Aufflammen antirussischer Ressentiments, die kulturalistisch und homogenisierend (“die Russen”) einerseits und regierungsfixiert (“Russland IST Putin”) andererseits begründet werden.  Demokratische und pazifistische Kritik, linker Widerstand und politische Differenz innerhalb der russischen Gesellschaft fallen so hinten runter.

Die Tübinger Regionalgruppe des Netzwerk “Rassismuskritische Migrationspädagogik” hat nun im bundesweiten Newsletter eine erste Debatte über den einsetzenden antislawischen und antirussischen Rassismus und mögliche Fragen und Gegenreaktionen begonnen, die ich sehr lesenswert fand:

“Antislawischer/antirussischer Rassismus: Es ist erstaunlich, wie schnell antirussische Klischees in den letzten Wochen reaktivierbar waren. Sie knüpfen an in Deutschland seit mindestens dem Zweiten Weltkrieg verankerte Vorurteile und negative Bilder über Russland und russische Menschen. Aktuell erleben Menschen, die irgendwie als “russisch” identifiziert werden, diese Klischees, Zuschreibungen, Diskriminierungen und immer öfter auch gewaltvollen Übergriffe. Scharf kontrastiert werden dagegen Bilder von Menschen aus der Ukraine, die bis vor kurzem noch Zielscheibe derselben Projektionen waren.

In welchen historischen Kontinuitäten und Brüchen stehen die jetzt reaktivierten Bilder? Was hat dies mit eigenen Familiengeschichten zu tun? Wie können Kinder und Jugendliche begleitet werden, die von diesen negativen Zuschreibungen und daraus resultierenden Anfeindungen betroffen sind? Wie sähe eine Parteilichkeit auf Seiten der pädagogisch Handelnden in diesem Fall aus? Wie können russisch gelesene Kinder und Jugendliche vor Übergriffen geschützt werden?” [S.3, –> LINK ZUM NEWSLETTER-PDF]

Nahrungsmittel und Hungertod im Globalen Süden

Peter Clausing hat für die Informationsstelle Militarisierung in einem sehr gut lesbaren Artikel die tiefgreifenden Auswirkungen des Russland-Ukraine-Kriegs auf den Weltmarkt für Nahrungsmittel untersucht. Im Mittelpunkt stehen dabei Weizen, Gerste und Sonnenblumenkerne bzw. -öl, die durch den Krieg verknappt werden, hinzu kommen gestiegene Energiekosten für den Nahrungsmitteltransport. Im Effekt drohen in ca. 20 Staaten des Globalen Südens, die von globalen Nahrungsmittelimporten abhängig sind, ab Mitte 2022 existentielle Hungerkrisen und massenhafter Hungertod. [–> LINK]

Pädagogische Perspektive auf Krieg

Die bereits oben erwähnte Tübinger Regionalgruppe des Netzwerk “Rassismuskritische Migrationspädagogik” erwähnt in ihrem Statement (S. 3-5) eine Reihe von Themen, die aus meiner Sicht ebenfalls dringend aus linker Perspektive diskutiert werden müssten, um dem gegenwärtigen konservativ-neoliberal-grünen Militarisierungsschub in der deutschen Gesellschaft Einhalt zu gebieten und eine eigene linke Politikagenda gegen den gegenwärtigen Militarismus formulieren zu können.

Neben der Ungleichbehandlung von Geflüchteten aus unterschiedlichen Regionen der Welt, der Etablierung einer “ethnisierten” Freund-Feind-Logik im Alltag und dem Wideraufleben männlicher Rollenmodelle des “Heldentums” betrifft dieses insbesondere die Frage, wie pädagogische Ansätze, die sich auf kommunikative Lösungen für Konfliktsituationen beziehen, nun mit der gewaltsamen Kriegssituation in der Ukraine, die von der deutschen Regierung auch noch explizit mit Waffen unterstützt wird, im Alltag beziehen soll. Die im Newsletter formulierte Frage: “Untergräbt die (fast) unwidersprochene Militarisierung pädagogische Ansätze von Konfliktlösung?” sollte im weiteren Sinne als Anstoss für eine anti-militaristische und friedenspolitische Strategiedebatte dienen, die Antworten sowohl für den Bereich der Internationalen Politik als auch der Alltagspolitik in Deutschland bereit hält [–> LINK ZUR PDF-STELLUNGNAHME, S. 3-5).

Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe

Auch im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mehren sich die Berichte von Massenvergewaltigungen durch Soldaten in der Zivilbevölkerung. Feministische Gruppen kämpfen seit längerem dafür, dass sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen und Kriegsstrategie explizit anerkannt wird, wie Gitti Henschel in einem Beitrag für die Heinrich-Böll-Stiftung betont:

“Noch heute werden sexualisierte Gewaltverbrechen als sogenannte „Kollateralschäden“ von Kriegen von den kriegführenden Parteien gern bagatellisiert und als Einzelphänomene abgetan. Und es hat lange gebraucht, bis geschlechter-basierte Formen der Gewalt als Teil von Kriegsführung öffentlich und politisch anerkannt wurden. Massenvergewaltigungen, gewaltsame Verschleppungen und Versklavung der „Кriegsbeute“ sollen die Feinde demütigen und demoralisieren, und die Gewaltbereitschaft der eigenen Kämpfer steigern. Somit ist geschlechtsbezogene Gewalt Mittel der Kriegsführung und integraler Bestandteil von kriegerischen Auseinandersetzungen mit hohem symbolischen Gehalt. Das wissen wir spätestens seit den Serbien-Bosnien-Kriegen der 90er Jahre” [–> LINK ZUM ARTIKEL]

Dass die Einordnung sexualisierter Gewalt in Kriegszeiten jedoch ebenso ein Deutungskampf um die “guten und schlechten Kriegsparteien” ist und oftmals primär in Freund-Feind-Kategorien vorgenommen werden, zeigt ein äußerst lesenswerter Beitrag von Erica Fischer aus dem Jahr 1993 am Beispiel des Bosnienkriegs. Unter dem Titel “Vergewaltigung als Kriegswaffe” zeichnet sie nach, wie in Kriegszeiten nationalistische Deutungen feministische Interpretationen sexualisierter Gewalt so überlagern können, dass sie einer nationalistisch homogenisierten Gruppe und nicht mehr dem Geschlechterverhältnis, männlichen Rollenbildern und Dominanzvorstellungen oder brutalisierten Umgangsweisen  zugeschrieben werden. [–> LINK ZUM PDF-ARTIKEL]

Überblick: zentrale Akteure der deutschen Waffenindustrie

Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) hat für die Rosa-Luxemburg-Stiftung anlässlich der neuesten massiven Aufrüstungspläne einen Überblick über die wichtigsten Waffen-Unternehmen in Deutschland erstellt, die primär von den enormen neuen Rüstungsaufgaben profitieren werden. Aus der Ankündigung: “Wir stellen in einem kleinen Who-is-Who der Waffenschmieden die wichtigsten Akteure vor  – neben konkreten Waffenproduzenten sind Unternehmen beschrieben, die als Zulieferer zu den Systemherstellern wesentliche Komponenten produzieren, sowie Ausrüster und Dienstleister der Bundeswehr. Dies ist nur ein kleiner Teil der etwa 300 Firmen, die  – gut vernetzt mit Politik und Behörden  – das Rückgrat der deutschen Rüstungsindustrie bilden und Deutschland zum fünftgrößten Waffenexporteur der Welt machen.” [–> LINK]