Monthly Archives: February 2023

3 Jahre Hanau – Erinnern heißt Kämpfen (19.2.2023)

Heute jährt sich der rechtsradikale Anschlag von Hanau zum dritten Mal. Ich habe hierzu ein paar Quellen zusammengetragen, die die erinnerungspolitische Arbeit vieler Initiativen und Einzelpersonen und den multikulturellen, antirassistischen und antifaschistischen Impetus der Erinnerungs-Debatte dokumentieren:

Initiative 19. Februar

Rund um Hanau hat sich direkt nach dem Anschlag die “Initiative 19. Februar” gegründet, die sowohl die erinnerungspolitische Arbeit als auch den politischen Willen der Angehörigen nach politischer Aufklärung der Tat vorantreibt. Die Arbeit der Initiative könnt Ihr Euch hier anschauen. [–> WEBSEITE DER INITIATIVE]

Bildungsinitiative Ferat Unver

Serpil Temiz-Unvar, die Mutter von Ferat Unvar, einem der Mordopfer von Hanau hat als Reaktion auf die rassistische Ermordnung ihres Sohnes zusammen mit Freund*innen von Ferat eine antirassistische Bildungsinitiative für den Schulbereich in Deutschland gegründet. In einem Interview erzählt sie “von ihrem Sohn Ferhat, der Zeit nach dem Anschlag und ihrem Kampf für eine antirassistische Gesellschaft, den sie ihrem Sohn Ferhat gewidmet hat”.

Migrantische Selbstorganisation von den Angehörigen der Opfer rechter Gewalt

Im Mittelpunkt vieler rechter Anschläge stehen als “fremd” rassifizierte Deutsche. Für viele Angehörige dieser Opfer ist die migrantische Selbstorganisation ein zentraler Aspekt, um den Schmerz und den fremdenfeindlichen Hass, der aus den Anschlägen hervorgeht, zu bewältigen. Newroz Duman, Aktivistin der Initiative 19. Februar in Hanau und İbrahim Arslan, Aktivist und Überlebender der rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992, haben hierüber eine sehr lesenswerte Denkschrift verfasst:

“Mit unseren Kämpfen der vergangenen Jahrzehnte, mit unserem Widerstand und unserer aufbauenden ermutigenden Arbeit, konnten wir weitere Betroffene davon überzeugen, gegen die Gedenkkultur der Behörden, die die Opfer allein als passive Menschen behandeln, aktiv aufzustehen und sich zu wehren. Trotz des Fortlebens der terroristischen Rechten, die nicht aufhört, immer mehr Menschen aus unserer Mitte und unseren Herzen zu reißen, mobilisierten und organisierten wir betroffene Familien. Trotz all dessen und noch viel mehr, haben sich die Betroffenen nicht unterkriegen lassen und es werden mehr und mehr solidarische tragfähige Strukturen erkämpft.” [–> GESAMTE DENKSCHRIFT]

Trauma und Gewalterfahrung

Jedes rechte Attentat bringt nicht nur Todesopfer, sondern auch traumatisierte Menschen mit sich, die jahrelang mit der Aufarbeitung der rechten Gewalt verbringen. Einen Einblick, was dieses bedeuten kann, gibt das Interview mit Piter Minnemann, der sich in der Bar in Hanau aufhielt, in der mehrere Menschen von dem rechten Attentäter erschossen wurden. Er schildert eine doppelte Ohnmacht: gegenüber dem rechten Anschlag auf sein persönliches Umfeld und dann gegenüber der Ignoranz der zuständigen Behörden:

Verortung des Anschlags von Hanau im rechten und rechtskonservativen Diskurs der BRD

Dunja Ramadan hat 2020 direkt nach dem Anschlag von Hanau einen sehr lesenswerten Kommentar zur Anbindung und Legitimierung rechter Terroranschläge durch die aktuelle Politik der AfD einerseits und den bereits vorher jahrzehntelang von rechtskonservativen Kräften wie der CDU betriebenen, öffentlichen Rassismus gegen Einwander*innen andererseits geschrieben:

“Der rechte Terror von Hanau ist für Menschen mit Migrationsgeschichte keine Überraschung. Er ist das Gegenteil. Er ist eine Saat, die aufging. Die AfD hat den Diskurs um Migration und Islam radikalisiert, aber nicht begonnen. Sie hat zugesehen, wie diese Saat gedeiht. Sie hat die braune Erde, in der sie keimt, gedüngt und weitere Samen ausgebracht. Doch seit Jahrzehnten führen Politiker aller Parteien und viele Medien in Deutschland die immer gleichen Debatten: Sind wir ein Einwanderungsland? Gehört der Islam zu Deutschland? Das sind keine ergebnisoffenen Fragen, die man stellt, weil man sie in einer freien Gesellschaft eben stellen darf und weil man Interesse an einer fruchtbaren Diskussion auf Augenhöhe hat. Das sind Fragen, die spalten und ausgrenzen – die Gräben aufreißen, die sich schwer wieder schließen lassen. Das sind Fragen, die Antworten vorwegnehmen. [–> GESAMTER KOMMENTAR]

Verkürzt: die These von “psychisch kranken Einzeltätern”

Nach vielen rechten Anschlägen werden Psychogramme der Täter*innen erstellt und auf deren vermeintliche psychische Erkrankungen fokussiert, wodurch die Einbettung der jeweiligen rechten Taten in ein Geflecht von rechten Organisationen und rassistischen Diskursen oftmals aus dem Blick gerät. Die Sendung “Monitor” hat hierzu einen sehr guten kurzen Clip (4:30 min) produziert:

Digitalisierung – News

Auslesen von Handydaten von Geflüchteten rechtswidrig

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat eine Geflüchtete darin unterstützt, Klage gegen das Auslesen von Handys zu erheben und diese hat nun Recht bekommen: “Wenn geflüchtete Personen bei ihrer Ankunft in Deutschland keinen gültigen Pass vorzeigen können, liest das BAMF routinemäßig und ohne konkrete Verdachtsmomente Daten von ihren Handys aus, um anhand dieser Identitäts- und Herkunftsangaben zu überprüfen.”. Diese Praxis ist ab nun rechtswidrig [ –> LINK ZUR KLAGE] bzw. darf nicht als gängiges Einstiegsinstrument zur Klärung von Identitäten verwandt werden [–> ARTIKEL IM MIGAZIN].

Automatisierte Datenverarbeitung bei den Sicherheitsbehörden rechtswidrig

Parallel dazu wurde entschieden, dass die in Hessen vorgesehene zentralisierte, automatisierte Verarbeitung von durch die Sicherheitsbehörden präventiv erhobenen Daten z.B. durch den “Staatstrojaner” rechtswidrig sei. Geklagt hatten die Humanistische Union, die Datenschützer Rhein-Main, das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung und wieder die Gesellschaft für Freiheitsrechte. Dieses Urteil wird weitreichende Konsequenzen für die Polizeigesetze in den anderen Bundesländern haben, da nun genauer geklärt und präzisiert werden muss, wie mit präventiv gespeicherten Daten umgegangen werden darf [–> LINK ZUR KLAGE]

Kampf um Menstruationsdaten in den USA

Seit dem Urteil des US-amerikanischen Verfassungsgerichts, dass Abtreibungen nicht mehr straffrei sein müssen, entwickeln konservative Akteure ein reges Interesse an vor allem durch Gesundheits- und Menstruationskalendar-Apps erhobene Menstruationsdaten, um Frauen wegen illegalisierter Schwangerschaftsabbrüche anzeigen zu können. In Virginia verhinderten die Republikaner gerade einen Vorstoss von Demokrat*innen, die Auswertung dieser Daten zu untersagen. [–> ARTIKEL]

Bereits kurz vor dem Urteil des Supreme Courts hatte der “digital defense fund” in einer Informationskampagne Frauen* in den USA für die vielfältigen digitalen Spuren zu sensibilisieren, die sie im Falle von Abtreibungen auf ihren Smartphones hinterlassen [–> LINK ZUR KAMPAGNE]. Hier eine anschauliche Grafik dazu:

Aufruf: “Polizeiwache am Kotti. Not welcome.” (Protest am 15.2.23)

Anlässlich der “feierlichen Eröffnung” der von vielen Initiativen und Anwohner*innen abgelehnten Polizeiwache am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg hat das Bündnis “Kotti für Alle” [–> LINK] einen Aufruf gegen die Eröffnungsfeier veröffentlicht.

“Am 15.02.2023 eröffnet die neue Polizei-Wache am Kotti. Das ist keine Überraschung, seitdem im Sommer der Mietvertrag unterzeichnet wurde. Trotzdem ist es eine Schande für die Menschen, den Kotti und ein Spiegelbild für die kurze Amtszeit von Franziska Giffey. 

Wie sollen mehr Polizei und mehr Überwachung zu mehr Sicherheit führen? Armut, Drogenabhängigkeit, Kriminalität und Wohnungskrise werden durch Repression nicht gelöst, sondern verdrängt. Wir brauchen soziale Lösungen für soziale Probleme. 

Wir lassen uns nicht entmutigen, für einen Kotti ohne Cops zu kämpfen. Kommt am 15.2. vorbei und organisiert Euch – die “festliche”, zynische Eröffnung der Wache um 10h darf nicht einfach passieren, ohne dass wir vor und während der Eröffnung nochmal zeigen, was wir von ihr halten! 

Kommt darum mit uns am 15.02.2023 ab 9 Uhr an den Kotti. Wir sind wütend und wir sind laut!” [–> Aufruf auf der Bündnisseite]

Und hier nochmal in bunt zum Teilen:

Staatliche Repression – News

Eröffnung der Polizeiwache am Kottbusser Tor

Gegen den massiven Protest vieler Anwohner*innen soll am 15.2.23 die Bullenwache am Kotti eröffnet werden. Vorgestern waren Bürgermeisterin Giffey und Innensenatorin Spranger (Innensenatorin, auch SPD) dort, um den “Stand der Dinge” zu begutachten – sie waren angeblich “ganz begeistert”. Vor allem Spranger – deren Law-and-Order-Prestigeprojekt die Kotti-Polizeiwache ist. Hier ein unsäglicher, aber ausführlicher Bericht in der BZ, incl der linken, polizeikritischen Gegenproteste [–> LINK] – und nochmal die Seite des Bündnisses “Kotti für Alle”, das sich explizit gegen die Bullenwache ausspricht [–> LINK].

Hanau-Gedenken und politische Forderungen

Auch 3 Jahre nach dem rechtsradikalen Attentat in Hanau fordern die Betroffenen und Angehörigen der Opfer eine lückenlose Aufklärung von der hessischen Polizei. Die Initiative 19. Februar schreibt hierzu in ihrem Aufruf:

“Der 19. Februar 2020 –  an jenem Tag wurden unsere Liebsten auf brutale Weise aus unserem Leben gerissen. Die Wunden, die dieser Tag in uns hinterlassen hat, verheilen nicht. Jahre, Monate und Tage werden vergehen –  der Schmerz bleibt.

Wir haben versprochen, dass wir keine Ruhe geben werden. Seit drei Jahren tragen wir eure Namen überall hin. Wir erzählen eure Geschichten, klagen über das was passiert ist, das was nicht gesagt wird und das was nicht verhindert wurde. […]

Uns wurde Gerechtigkeit versprochen. Und doch müssen wir auch zum dritten Jahrestag weiterhin nach Konsequenzen fragen, die es immer noch nicht gibt. Der Untersuchungsausschuss, der unsere Fragen beantworten sollte, wird seinem Auftrag nicht gerecht. Wir fragen uns, wie lange wollen hessische Sicherheitsbehörden noch vertuschen, wie lange noch schweigen, wie lange noch ignorieren?

Heute, fast drei Jahre später, wissen wir: die Grenze der Gerechtigkeit heißt Konsequenzen. Ein Mahnmal auf dem Marktplatz gibt es bis heute nicht, wir kämpfen weiterhin darum, dass es ein Mahnmal auf dem Marktplatz gibt. Wir haben selbst recherchiert und aufgeklärt und unsere gemeinsame Ausstellung mit Forensis wird ab dem 1. Februar bis zum 18. März im Hanauer Rathaus sein.”

In Berlin wird am 19. Februar unter dem Titel “Erinnern heisst kämpfen” eine Kundgebung auf dem Oranienplatz stattfinden, aufgerufen hat ein breites Bündnis antirassistischer und polizeikritischer Initiativen.

Vorher am 7. Februar gibt es eine interessant klingende, von der Berliner Linkspartei organisierte Veranstaltung zu den Grenzen parlamentarischer Aufklärungsarbeit rechtsradikaler Verbrechen und Strukturen durch Untersuchungsausschüsse. Eingeladen sind Saadet Sönmez (Mitglied des Hanau-Untersuchungsausschusses, Linksfraktion Hessen), Seda Başay-Yıldız (Rechtsanwältin, Vertreterin der Nebenklage im NSU-Prozess), Newroz Duman, Initiative 19. Februar, Elif Eralp (Sprecherin für Migration, Partizipation und Antidiskriminierung der Linksfraktion Berlin) und Ferat Koçak (Sprecher für Antifaschistische Politik, Linksfraktion Berlin) [–> LINK ZUR VERANSTALTUNG].

Und schließlich…

Eine gute Karrikatur zum Thema “Polizeiarbeit in Zeiten des Internets”. Künstler: Gerhard Haderer, Ort: Vienna, Austria. Titel der Karrikatur: “The police search for the Dark Web”. Ich musste lachen…