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Patriarchale, non-konforme Provokationen in der Popkultur: zur anti-sexistischen Debatte um Rammstein

Ich weiss auch nicht genau, warum ich das Bedürfnis habe, etwas zu den Sexismus-Vorwürfen gegen die Band Rammstein und Till Lindemann als ihrem Lead-Sänger zu schreiben. Nachdem ich gestern Ausschnitte des youtube-Videos der Influencerin Kayla Shyx gesehen habe, die auf einer AfterParty von Rammstein zugegen war, kam das Gefühl des sich Äußernwollen jedoch – von daher will ich Euch den Bericht über das patriarchale System Rammstein nicht vorenthalten.

Rammstein: i don’t like the music

Zur Band: ich fand Rammstein vom ersten Tag an wirklich oberscheisse, als sie mit ihrem überartikulierten Hochdeutsch, Lindemanns tiefer Todesstimme und einzelnen Wortfetzen prominent wurde.

Für mich war es eine Zeit, in der bis auf die Hamburger Schule Bands und linkem Rap keine deutschsprachige Band erträglich war, zu sehr war Deutsch die Sprache des hart sozial gestörten MDMA-Schlagers – und zu sehr war unter linken Kulturschaffenden umstritten, ob es nach dem deutschen Nationalsozialismus überhaupt wieder eine öffentliche deutschsprachige Repräsentation in der Musik geben sollte.

Aus dem sozialdemokratischen Spektrum gab es als kulturpolitische Reaktion darauf immer wieder gemässigt deutschnationale Forderungen nach “mehr Radiozeit für deutschsprachige Künstlerinnen”, die jedoch von den linken Kulturschaffenden und Organisatorinnen der Kulturszene direkt und stillschweigend eingestampft wurden.

Non-Konformismus à la Rammstein

Dann kam aber Rammstein, schiss auf alles und machte als Band einfach “ihr Ding” – harte Gitarrenmucke mit deutschsprachigem Befehlston, irgendwie vom Sound her Gothic für Ästhetinnen mit Deutungsanspruch, vom Inhalt her aber leider nix zu holen, sondern dünner als die Inhaltsangaben auf einer Leberwurstverpackung im Supermarkt. Rammstein halt.

Dann war da die Sache mit dem Musikvideo in Leni-Riefenstahl Optik Ende der 2000er Jahre [–> LINK ZUM VIDEO]. Ich war wirklich fassungslos angesichts der offenen Anlehnung an die nationalsozialistische Ästhetik der Olympiade 1936. Dass es Rammstein damals gestattet wurde, zu behaupten, es sei nur eine “Anlehnung” als Riefenstahls arische Sportoptik und unterliege der Kunstfreiheit, ist aus meiner Sicht einer der grossen Kunst- und Kulturskandale in Deutschland nach 1990. Rammstein hätte einfach für eine längere Zeit geächtet werden müssen – statt dessen internationalisierte sich die Band und wurde zum deutschen Metallica-Äquivalent.

Gesellschaftlicher Umgang mit non-konformen Kunst-Persönlichkeiten

Ehrlich gesagt ist mir die Band egal, von mir aus kann sie sich auflösen, und hätte dieses auch schon vor 15 Jahren machen können. Was mich aber umtreibt ist der gesellschaftliche Umgang mit Künstlerinnen und ihrem nonkonformen Verhalten, der jetzt wieder hochploppt. Ich hab in den letzten Jahren immer wieder Momente, an denen ich fassungslos davor stehe, wie in der deutschen Öffentlichkeit mit “nonkonformen Kunst-Persönlichkeiten” umgegangen wird.

Beispiel: ein Mann spielt in Filmen auf Grund seiner aufgedunsenen Haut immer wieder Alkoholiker-Charaktere und nach 20 Jahren kommt dann raus: er ist nicht nur im Film Alkoholiker, sondern auch im Alltag und “alle sind schockiert”. Da schnall ich irgendwie ab, wenn ich das Gefühl habe, Leute blenden so etwas wie äußere Gesundheitsschäden aus und verlagern Leute nur noch in ihre Fantasiewelt.

Nächstes Beispiel: Leute, gerade Männer, werden in Hollywood in krasse Machtpositionen versetzt und zu Götzen des Boulevard erklärt – und irgendwann kommt raus: sie haben das Ticket immer wieder eingelöst und sich wie die letzten Wichser verhalten. Leute genötigt, belästigt, geschlagen, gedemütigt. Auch hier: der Schock, dass die “nette Spielfilmfigur” sich nicht in den Alltag übersetzen lässt.

Und dann: der Sänger einer Band, nennen wir sie spaßeshalber “Rammstein”, der in seiner bisherigen Karriere auf alles geschissen hat, und zwar literally vom ersten Tag an, hat ein patriarchales System sexueller Gefügigkeit, Abhängigkeit und Dominanz um sich herum etabliert. No way – er war doch nur so dominant und kacke in seiner Kunst, sein “wirkliches Ich” muss doch “Normalitätsstandards” einhalten. No fucking way Leute, wer mit gesellschaftlicher Anerkennung für eine wüste Persönlichkeit und Geld für ehrlich gesagt, behämmerte und peinliche Mucke ausgestattet wird, der geht dann auch steil und hält sich für Gott.

Die “Autonomie der Kunst” und ihr Alltagsbezug

Für die von Lindemann belästigten, genötigten, verprügelten und vergewaltigten Mädchen und Frauen* tut es mir natürlich schlicht und wirklich leid, was ihnen passiert ist. Aber ich finde, eine basisdemokratische Gesellschaft darf nicht so tun, als wäre sie mit ihrer Popkultur, dem hierarchischen Ikonenkult und abgespalteten Kunstwelten nicht zentral dafür verantwortlich, dass solche Sachen passieren.

Ich weiß, dass alle Diskussionen dieser Art eine riesige Grauzone sind. Darf jetzt niemandem mehr getraut werden, die*der aggressiv auftritt, z.B. gegen soziale Ungerechtigkeit? Nein, aber ich finde, der Star-Kult birgt einfach die riesige Gefahr, dass sich ein bestimmter öffentlicher non-konformer Habitus in egozentrische Anspruchshaltungen im Alltag übersetzt, die dann mit Geld blendend untermauert werden können. Und der von Kunstszenen und dem Kulturbetrieb stillschweigend über Jahre totgeschwiegen und mitgetragen wird.

Hier ist social media wirklich eine riesige Errungenschaft, weil die früher abgespulten, bigotten “Bestürzungsdiskurse” von Managements, Künstler*innen-Kolleg*innen und Presse über etwaige “aus dem Ruder laufende” Künstler*innen sofort von szeneinternen (Film, Musik, Bildende Künste usw) Diskursen unterlaufen werden, die klar machen, dass eben alle, die was zu sagen hatten, Bescheid wussten. Und einfach die Fresse gehalten und in aller Ruhe abkassiert haben.

Aus meiner Sicht ist es die politische Aufgabe von persönlichen und professionellen Umfeldern, Leute wie Lindemann frühzeitig in die Schranken zu weisen, wenn der Übersprung vom Star-tum in den Alltag stattfinden. Ob mit privat gesprochenen Worten, öffentlichen Distanzierungen ohne direkten öffentlich einsehbaren Anlass oder roher “freundschaftlicher” Gewalt müssen Leute in ihren jeweiligen Beziehungskonstellationen entscheiden.

Für Kunst als emanzipatorisches Bildungsangebot

Was jedoch inakzeptabel ist, und das ist der Punkt, an dem die deutsche Kulturlandschaft meines Erachtens heute steht, ist das Desinteresse an Popkultur-Persönlichkeiten und ihrem Verhältnis zum Alltag. Letzterer muss jedoch die Maßgabe für die Entwicklung von Kunst und Kultur sein – will diese nicht zum gesellschaftlich gepamperten Arschloch-tum verkommen. Denn wer es nicht schafft, zu schreiben, zu singen oder zu filmen, ohne andere parallel oder zum Ausgleich gegen ihren Willen zu demütigen, hat aus meiner Sicht in solchen Jobs nichts verloren. Sondern sollte sowas wie Gärtnern machen, wo keine menschlichen Existenzen gebrochen werden.

Und wer wie Lindemann in der Auseinandersetzung um das Riefenstahl-Video keinerlei Rücksicht auf den Erinnerungsdiskurs an den deutschen Nationalsozialismus und den Holocaust zeigt, sondern “einfach sein Ding durchzieht” – dem ist aus meiner Sicht mit Skepsis zu begegnen, was seine Fähigkeit zu Empathie angeht. Danger Dan würde sagen, “Mensch das ist doch alles von der Kunstfreiheit gedeckt”, was stimmt. Aber es zeigt eine harte egozentrische Egal-Haltung, die schon an sich und kunstimmanent rücksichtslos z.B. gegenüber Holocaust-Überlebenden ist.

Und die eben Gefahr läuft, sich als narzistische Persönlichkeiten auch soweit im Alltag zu verstetigen, dass “Künstler*innen” anfangen, sich zerstörerisch gegenüber anderen Leuten in ihren näheren privaten und beruflichen Umfeldern zu verhalten.

Dies ist dann zwar von keinem Kunstfreiheitsbegriff mehr gedeckt, denn es gibt zurecht keine offizielle Kunstfreiheit, andere Leute zu Gesellen des eigenen Egos zu erklären und diese rücksichtlos abzurichten und zu benutzen. Ein solches Verhalten bezieht aber seine Legitimation – neben massiven wirtschaftlichen Einnahmequellen für die direkten beruflichen Umfelder – aus den öffentlich betonten, “künstlerischen Fähigkeiten” der jeweiligen Kunst-Person, ihren “kreativen Potentialen” und “genialen Einsichten”, die zerstörerisches Verhalten im Alltag angeblich “akzeptabel” und “hinnehmbar” machen sollen.

Im Kern handelt es sich hier jedoch um das Abfeiern eines aggressiven, egozentrischen Non-Konformismus, oder anders: um schlichtes, gesellschaftlich gefördertes Arschlochverhalten. Wer es ernst meint mit linker Subkultur und Kunst als non-konformem, kollektiv organisiertem und emanzipatorischem Kommunikations- und Bildungsangebot muss ein solch professionaliertes Ego-Shooter-Tum, meist von Männern*, und damit das Bild “non-konformer Künstlerpersönlichkeiten” mit egozentrischem und patriarchalem Gestus, grundlegend attackieren, um andere Verhältnisse ermöglichen. Geschieht dieses nicht, sind “Skandale” wie der jetzige um Rammstein und Till Lindemann eben keine Skandale, sondern absehbare, sich wiederholende Folgen einer Popkultur, der es primär um Geld, markante Images und rücksichtlose Gewinne in der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie geht.