Monthly Archives: January 2023

Waffenlieferungen in die Ukraine: Ansätze einer internationalistischen, antimilitaristisch-friedenspolitischen Position im atomaren Zeitalter

Momentan wird in der undogmatischen Linken ernsthaft diskutiert, ob es angemessen sei, Waffen wie Kampfpanzer und perspektivisch auch Kampfjets an die Ukraine zu liefern, um sie gegen den von der russischen Regierung veranlassten Angriffskrieg zu unterstützen – und ihnen einen Verteidigungskampf gegen die Aggression der russischen Führung und gegen eine drohende Besatzung zu ermöglichen.

Ich halte diese Erwägung auch einer Reihe von Gründen für falsch und kontraproduktiv für eine internationalistische Linke, die auf antimilitaristisch-friedenspolitischen Grundsätzen fußt und die geostrategische Situation einer imperialen Konstellation von Atomwaffen-Staaten ernst nimmt.

Krieg ist nicht unschuldig

Erstens hat die Geschichte gezeigt, dass es keinen „sauberen“ oder „unschuldigen“ Krieg gibt, d.h. Waffen zu exportieren, bedeutet den Export von hocheffektiven Tötungsinstrumenten. Wie diese eingesetzt werden, ob gegen russische Soldaten in einer Kampf- und Angriffssituation, gegen russische Soldaten, die sich bereits ergeben haben (Brutalisierung als Effekt von Krieg), oder gegen ukrainische Deserteure, die individuell oder in Gruppen organisiert unerlaubterweise den seit Kriegsbeginn gegenüber Männern mit weniger als 3 Kindern erzwungenen „Dienst an der Waffe fürs Vaterland“ verweigern, kann niemand kontrollieren.

Imperialismus in einer geostrategischen Konstellation von Atomwaffen-Staaten und seine menschheitsbedrohenden Folgen

Zweitens findet der Export von Waffen in einer geostrategischen Situation statt, die polit-ökonomisch stark von imperialistischen Strategien der unterschiedlichen Machtblöcke und technopolitisch von der Entwicklung von Atomwaffen geprägt ist. Das Modell des „Atomkriegs“ ist dabei keine abstrakte Laberei – sondern materiell bereits vollständig vorbereitet, u.a. dafür wurde ja das Internet entwickelt – als Kommunikationssystem für den Fall, dass die Gegenseite eine Atomrakete abschiesst und diese einschlägt. Um es deutlich zu sagen: es reicht eine (!) zwischen den Machtblöcken abgeschossene Atomrakete, um eine digital-automatisierte Kettenreaktion in Gang zu setzen, in der sich künstliche Intelligenzen weltweit mit Atomwaffen beschießen und Milliarden von Menschen sterben werden.

Die zentrale Folge der atomaren Konstellation ist meines Erachtens drittens, dass, wenn ein über Atomwaffen verfügender Staat eine aggressive, imperialistische Politik verfolgt und andere Staaten überfällt, es keine Möglichkeit gibt, diesen aufzuhalten, ohne eine erhebliche Gefährdung von Milliarden in Kauf zu nehmen.

Selbiges hätte auch für den Fall gegolten, dass sich Atomwaffen-Staaten wie Russland oder China auf Seiten der Angegriffenen direkt in den Überfall der USA auf den Irak oder der NATO auf Afghanistan eingemischt hätten. Umgekehrt wird auch China in seiner imperialistischen Strategie gegen Hongkong oder früher Tibet nicht eingeschränkt.

Waffenlieferungen sind sinnlos – linke Politik muss solidarische Rahmenbedingungen von eskalierten Konflikten herstelle

Aus dieser fehlenden Handlungsmöglichkeit innerhalb des Konflikts ergibt sich meines Erachtens, dass Waffenlieferungen sinnlos sind, da sie Eskalationspotentiale unnötig steigern und gleichzeitig zu „Abnutzungskriegen“ führen, in denen nur Menschen sterben (aktuelle Schätzungen: jeweils 100.000 Tote und Verletzte auf russischer wie ukrainischer Seite) und die globale Waffenindustrie massiv finanziell profitiert (siehe Kursentwicklungen der Waffenkonzerne wie Rheinmetall, Heckler & Koch seit Kriegsbeginn). Stattdessen muss sich eine linke, antimilitarische-friedenspolitische Politik auf die Rahmenbedingungen des Konfliktes konzentrieren: Ziel muss ein Massnahmenpaket sein, das sofort und konsequent neue Handlungskorridore für die am meisten Betroffenen im Jetzt und der Zukunft öffnet:

Recht auf Flucht: vom abstrakten Reden über „betroffene Kriegsopfer“ zur praktisch-solidarischen Unterstützung von Geflüchteten

(a) Recht auf Flucht (Transporthilfe beginnend im Fluchtland vor der Haustür) und menschenwürdige Startbedingungen an einem neuen Ort ohne Ghettoisierung und Absprache von Menschenrechten;

Innenpolitische Maßnahmen und Diskurskämpfe in Deutschland

(b) harte Sanktionierung und Schließung von Unternehmen in Deutschland, die trotz des Eskalationspotentials und teilweise sogar trotz Exportverboten Waffen in aktive Konfliktregionen liefern;

(c) konsequente Bekämpfung von rassistischen, post-kolonialen, nationalistischen, personalisierten Diskursen in Deutschland, die eine polarisierende und verengte Deutung der Konfliktsituation vornehmen,

(d) konsequente Bekämpfung von kriegsverherrlichenden Deutungen von Konfliktsituationen, sei es durch „gamification“ (wer gewinnt?), Technisierung und Enthumanisierung (Abnerden über Waffentypen, siehe Hofreiter), „Vaterlandsverteidigung“, „Heldenepen“ usw. Seit dem 1. Weltkrieg hat die Geschichte gezeigt, dass Krieg unter den Bedingungen industriell-entwickelter Waffenproduktion für die Überlebenden vor allem Trauma, Verlust an Toten und Erfahrungen sexualisierter Gewalt bedeuten, die aktuellen Forschungen zufolge bis in die 3. Generation als Traumata weitergegeben werden. Dazu gibt es die Erfahrung des Holocaust, als die Sicherheit, dass wenn Leute wie die Deutschen damals von „rationaler Kriegsführung“ reden, es auch bedeuten kann, industriellen Massenmord von Opfergruppen zu organisieren. Es gibt hier aus meiner Sicht nichts zu beschönigen.

Außenpolitische Strategien und de-eskalierende Selbstreflexion

(e) internationale Ächtung des Angriffsstaats auf diplomatisch, sportpolitischer, kulturpolitischer u.v.m Ebene,

(e) konsequente Vorbereitung einer langjährigen materiellen, sozial- und gesundheitspolitischen Unterstützung für jene, die als Zivilbevölkerung oder Kämpfende im Angegriffenen-Land bleiben wollen;

(f) Selbstreflexion auf eigene außenpolitische/imperialistische Strategien: inwiefern wird eigenes außenpolitischen Handeln selbst von anderen Staaten strukturell als „kriegerischer Angriff“ oder „imperialistische Bedrohung“ gedeutet? Siehe: grüne Diskurse um angebliche „humanitäre Intervention“ (Kosovo, Afghanistan); Truppenmanöver und –übungen (EU/NATO an der Ostgrenze); „Demokratisierungsbemühungen“ / „westliche Werte in die Welt“ („failed states“-Debatte, vor allem gegenüber Afrika, aber auch gegenüber der „Diktatur im Irak“); Entwicklungshilfe als Wirtschaftshilfe bzw. Exportstrategie zur Absicherung von unternehmerischen Profiten in Deutschland, international verstanden als ökonomische Kolonisierung und erzwungene Dependenz

(g) Evaluierung langjähriger eigener Außenpolitik: mit welchen potentiellen Angriffsstaaten werden warum enge politische Verbindungen gepflegt? Beispiel: Russland war langjähriger strategischer Partner von Deutschland, trotz des Wissens um aggressive Aussenpolitik gegenüber Anreiherstaaten und trotz des Wissens um Autoritarisierungstendenzen in Russland, Mord an Oppositionellen / Journalist*innen, Verfolgung von queers. Partnerschaft wurde aber gemacht (siehe Schröder-Mafia), um energiepolitische Unabhängigkeit von den USA zu erhalten, auch im Sinne eines starken „politischen Machtblocks Europa“ – bis zum Kriegsbeginn durch Russland.

Linke Medienkiste #37

Antira/Antifa-Gedenken: Anschlag von Hanau am 19.2.2020

Am 19.2.23 jährt sich der rechtsradikale Anschlag von Hanau zum dritten Mal, bei dem neun hanauer Bürger*innen mit Migrationshintergrund brutal ermordet worden [–> WIKIPEDIA-ARTIKEL ZUM ANSCHLAG]. Für Berlin wurden nun die Details für die Gedenk-Demo veröffentlicht:

Antira/Antifa-Gedenken: Anschlag von Lübeck am 18.1.1996

Am 18.1.23 jährte sich der tödliche Brandanschlag von Lübeck aus dem Jahr 1996, bei dem 10 Leute in einem Haus für Geflüchtete durch einen Brandsatz ums Leben kamen. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt – drei direkt nach dem Anschlag festgenommene Rechtsextreme wurden trotz rassistischem Motiv und räumlicher Nähe zum Tatort wieder laufen gelassen – dann wurde ein Mann aus dem Libanon aus dem Umfeld der Geflüchtetenunterkunft beschuldigt, ohne dass dieses jedoch bestätigt werden konnte.

Von den Angehörigen gibt es massive Kritik am Umgang der lübecker Sicherheitsbehörden mit dem Brandanschlag: “Gegen die eingesetzte Ermittlungskommission der Lübecker Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft wurden im Verlauf ihrer Arbeit sowohl von den Medien, der Öffentlichkeit wie den Anwältinnen des beschuldigten Hausbewohners schwere Vorwürfe erhoben. Auf der einen Seite seien belastende Spuren in Richtung der Männer aus Grevesmühlen [die Rechtsextremen] nicht weiter verfolgt, hingegen seien die Ungereimtheiten im Verdacht gegen den Libanesen mit „Phantasie aufgefüllt“ worden.” [–> WIKIPEDIA-ARTIKEL]

Was bleibt, ist das antirassistische und antifaschistische Gedenken an die Toten und Verletzten des Anschlags – wie hier im twitter-Post des Linkspartei-Abgeordneten und Antira-Aktivisten Ferat Kocak aus Berlin-Neukölln:

Corona-Politik / Long-Covid

Die Initiative “Nicht genesen” hat am 19.1. eine Installation aus Feldbetten vor dem Deutschen Bundestag aufgebaut, die auf die prekäre Situation von LongCovid-Patient*innen aufmerksam machen will. Die Initiative fordert die sofortige Zulassung eines bestimmten Medikaments gegen LongCovid, eine deutliche Erhöhung der Finanzmittel für Therapie- und Medikamentenstudien und einen leichteren, unbürokratischen Zugang für Long-Covid-Erkrankte zu staatlichen Hilfen.

Hier der Forderungskatalog [–> im Original hier]:

Schätzungen von 2021 zufolge erkrankt jede*r zehnte Patient*in, die*der eine Corona-Infektion durchlaufen hat, ernsthaft an Long-Covid [–> LINK]. Das Robert-Koch-Institut berichtete zudem im Juli 2022, dass 37,6 aller Menschen, die eine Corona-Infektion durchlaufen haben, Langzeitfolgen der Infektion aufwiesen [–> LINK].

Klimakatastrophe

Falls Ihr Leuten mal zeigen wollt, wie sich die Erderwärmung seit 1880 bis heute entwickelt hat, oder dieses selbst sehen wollt, gibts jetzt auf twitter eine gute Animation dazu [–> LINK]. Hier als Standbild:

Und zum Schluss…

Queerfeminismus Reloaded

Filmempfehlung: “Holy Spider”

“Holy Spider” ist ein feministischer Kino-Spielfilm über patriachale Strukturen im Iran. Eine Charakterstudie mit zwei zentralen Figuren: einem religiös motivierten Prostituiertenmörder / mehrfachen Familienvater einerseits und einer emanzipierten Journalistin andererseits. Beides Top-Schauspieler*innen. Inszenierung super – Schnitt, Kamera und Ausstattung sehr eigen und interessant. Empfehlung: Original mit Untertiteln schauen – übt das Persisch/Farsi zumindest vom Klangbild – die deutsche Synchronisierung fand ich hingegen jetzt beim kurz reinhören nicht überzeugend.

Frauen*kampftag / Frauen*streik 2023 am 8. März

Die Mobilisierung für den Frauen*kampftag am 8. März geht los. Einer der aus meiner Sicht interessantesten feministischen social media-Kanäle der letzten Jahren ist “flintaonstrike”, die vor allem auf instagram viel machen [–> LINK ZUM INSTA-ACCOUNT].

Hier ein Beispiel aus der aktuellen Mobilisierung:

Gender als gesellschaftliche Konstruktion

Neulich auf einer berliner allgender-Kneipentoilette gesehen…

Queer Pride 2023 in Delhi, Indien

In Delhi, Indien fand am 10.1.23 die Queer Pride statt. Interessanterweise u.a. mit einer expliziten Verbindung von Genderkämpfen und Klassenkämpfen. Bilder von Twitter [–> GESAMTER TWEET]:

Gegen die Räumung von Lützerath – Update

Der “fossile Staat”

Gestern wurde in einem Tweet zu Lützerath der Begriff des “fossilen Staats” verwendet, der die Kohle-Industrie gegen die Forderung nach einem Ende des Kohleabbaus schützt. Ich muss nochmal drüber nachdenken, ob ich den Begriff so passend finde und was dieser konkret aussagen soll – bei diesem Bild drängt er sich aber schon auf.

“Klimadepression

Der Öko-Aktivist Tadzio Müller hat im letzten Jahr auf Twitter länger über seine “Klimadepression” geschrieben – also die Verzweiflung und Ohnmacht angesichts der permanten Umweltzerstörung und der Verweigerung einer ernsthaft ökologischen und nachhaltigen internationalen und nationalen Politik durch die politisch verantwortlichen Akteure. Marc-Uwe Kling hat nun einen Cartoon gezeichnet, der diese Stimmung ganz gut wiedergibt.

Pressefreiheit

Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer Berlin-Brandenburg der Deutschen Journalisten- und Journalistinnen-Union (DJU) von der Gewerkschaft Ver.di, der für die Beobachtung der Pressefreiheit in Lützerath zuständig ist, fasst in einem Radio-Interview (15 min) seine Eindrücke von der Wahrung der Pressefreiheit durch Polizeibehörden und RWE-security während der Räumung zusammen.

Seine Quintessenz: “Wir haben eine lange Liste der Behinderung von Pressearbeit, teilweise auch Körperverletzungen” [–> Radiointerview]

Protest gegen Bündnis 90 / Die Grünen I

Auf Grund ihrer Zustimmung zur Räumung von Lützerath haben Aktivist*innen der Interventionistischen Linken gelbe Widerstands-Kreuze an die Bundesgeschäftsstelle der Grünen Partei angebracht.

Protest gegen Bündnis 90 / Die Grünen II

Parallel dazu haben Aktivist*innen das Parteibüro der Grünen in Aachen besprayt und versucht, dort die Scheiben einzuwerfen. Dieses hat zu einer erhitzten Debatte zwischen Parteivertreter*innen und Aktivist*innen von “Ende Gelände” auf Twitter geführt – die eigentlich in Ruhe weitergeführt werden müsste, denn sie berührt elementare Fragen einer Systemtransformations-Strategie.

Hierzu zählen: (1) die Frage, von wem Gewalt ausgeht – der Polizei und der RWE-Security bei der Räumung von Lützerath ODER den Aktivist*innen die nachts das Grünen Büro von außen demoliert haben; (2) zusätzlich die Frage, ob nicht der Raubbau von RWE durch den Kohleabbau und die fatalen klimapolitischen Folgen davon bereits eine Form struktureller Gewalt darstellt, die Aktionen wie Sachbeschädigung legitimieren würde; (3) die Frage, in welchem Tempo und in welcher Form eine Systemtransformation erfolgen sollte: die Vertreter*innen der Grünen stellen die Räumung von Lützerath als einen notwendigen parlamentarischen Kompromiss zur Beendigung der Kohle-Zeit dar VS. die Wahrnehmung der Aktivist*innen, dass der Kohlebergbau sofort eingestellt werden müsste; (4) die Frage, ob eine sozialökologische Transformation auch in Kooperation mit aggressiv auftretenden Polizeieinheiten und RWE-Security sowie einer profitorientierten Unternehmensleitung von RWE vonstatten gehen soll ODER ob repressive Staatsapparate und kapitalistische Konzerne aus dem demokratischen Meinungsbildungsprozess ausgeschlossen werden müssen, weil sie für eine gewaltförmige und naturzerstörerische Politik stehen?

Hier die Twitter-Auseinandersetzung zu diesen Fragen:

Herrschaft und Enteignung im digitalen Kapitalismus: das digitalisierte Pfandsystem

Eine Anekdote, über die sich diskutieren ließe: ich wollte heute morgen einen alten Lidl-Pfandbon vom letzten März an der Lidl-Kasse einlösen, dieses ging aber laut Kassierin nicht, weil: “Pfandbons nur 2 Wochen gültig” seien.

Warum genau? Niemand weiss es – auch weil kein entsprechender Hinweis auf dem Pfandbon war. Aus meiner Sicht eine krasse Unverschämtheit, weil sich Lidl damit tendenziell das Pfandgeld aneignet – gerade von Leuten, die auf Pfandgeld angewiesen sind und z.B. Pfand-Bons geschenkt bekommen.

Ich habe dann nach verweigerter Geld-Auszahlung fast nen Wut-Kollaps an der Kasse bekommen – trotz gefühlt 15m Schlange hinter mir mit Leuten, die “dringend zur Arbeit” wollten. Die Kassiererin hat jedoch nur mit den Schultern gezuckt, denn die digitale Kasse verweigerte einsehbar die Bon-Einlösung und spuckte statt dessen eine Fehlermeldung aus.

Soviel zum Thema Herrschaft im digitalen Kapitalismus und einer der zentralen Fragen im gesellschaftlichen Digitalisierungsprozess: wer programmiert wie und in welchem (Klassen-)interesse die Maschinen, die uns im Alltag regieren? Und was passiert, wenn Widerspruch und Widerstand gegen die Ausrichtung der Maschine automatisiert unterbunden, erschwert oder bestehende Systeme wie das Pfandsystem und dessen Laufzeit als gesetzt dargestellt wird und niemand mehr zuständig ist?

P.S. Klar, dass Lidl nicht erste Sahne ist, wissen wir ja seit der hardcore Mitarbeiter*innen-Überwachung vor ein paar Jahren schon länger [–> siehe hier]. Aber die digital organisierte Enteignung der Kund*innen war für mich nochmal ein neuer Aspekt.

Neue CILIP zur “Kontrolle der Polizei” / Release Veranstaltung (11.1.23, Berlin)

Die Bürger*innenrechts-Zeitschrift CILIP hat eine neue Ausgabe zum Thema “Kontrolle der Polizei” herausgegeben. Gemeint sind damit institutionelle Mechanismen, die die Arbeit der Polizeibehörden von unten kontrollieren und Fehlverhalten melden und anprangern können. Hierzu zählen Polizeibeschwerdestellen, eine Kennzeichnungspflicht einzelner Beamt*innen als Grundlage für eine Strafverfolgung, Untersuchungsausschüsse (wie im Fall des vom Verfassungsschutz mitgegründeten NSU) und das Filmen von Polizeieinsätzen durch Unbeteiligte. Ein Inhaltverzeichnis findet ihr hier [–> LINK]

CILIP veranstaltet zudem am Mittwoch, den 11.1.23 in Berlin (19h, Aquarium-Südblock) eine Release-Veranstaltung mit zwei Autorinnen aus dem aktuellen Heft. Aus der Ankündigung: “Manche Bundesländer haben eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen eingeführt, andere haben neue Einrichtungen zu Kontrolle und Transparenz geschaffen. In Berlin existiert beispielsweise eine neue „Polizeibeauftragtenstelle“. Gleichwohl bleiben derartige Einrichtungen hinter dem Möglichen und demokratisch Gebotenen zurück. Grund genug für die CILIP, sich im aktuellen Heft wieder dem Thema zu widmen. Auf der Release-Veranstaltung wollen wir verschiedene Ansätze beleuchten und darstellen, wie auch das Denkmal für die Opfer von Rassismus und Polizeigewalt auf dem Oranienplatz als Beschwerdestelle fungiert.” [–> LINK ZUR VERANSTALTUNG]

Gedenken: 18 Jahre nach dem Polizeimord an Oury Jalloh in Dessau

Heute vor 18 Jahren starb Oury Jalloh in einer Gefängniszelle in Dessau. Er verbrannte bei lebendigem Leib. Nachdem die Polizei den Tod Jallohs zuerst als Selbstmord bezeichnet hatte, wurde durch jahrelange, unermüdliche Arbeit der Oury-Jalloh-Initiative, die aus Familienangehörigen und Freund*innen von Jalloh und Unterstützer*innen besteht, nachgewiesen, dass sich Jalloh, dem die Hände auf den Rücken gefesselt waren, nicht selbst angezündet haben konnte, sondern von einer anderen Person in der Zelle mit Brandbeschleuniger übergossen und angezündet wurde.

Ob diese mordernde Person ein*e Polizist*in der Dessauer Polizei war oder nur von dieser unterstützend und auffordernd in die Wache gelassen wurde, konnte bis heute nicht geklärt worden. Sowohl die zuständigen Richter als auch Staatsanwaltschaften sind in den letzten Jahren äußerst behäbig bis behindernd bei den Mordermittlungen gewesen, die Spurensicherung wurde äußerst schlampig durchgeführt und jede staatliche Erwägung, dass es kein Selbstmord Jallohs gewesen war, musste von der Oury-Jalloh-Initiativen in aufwendigen Verfahrensanträgen und einer jahrelangen Öffentlichkeitsarbeit erkämpft werden.

Ich habe ein paar Quellen und Verweise zusammengetragen – als Hintergrund für den aus meiner Sicht bis heute skandalösen Fall mit wahrscheinlich rassistischem Hintergrund und als support für die heute in Dessau stattfindene Gedenkdemo.

Oury-Jalloh-Initiative

Wie gesagt wäre der Fall Oury Jalloh nicht ohne die unermüdliche Arbeit der Initiative bundesweit soweit in die Öffentlichkeit gekommen. Dieses zeigt, wie wenig automatische Öffentlichkeit es für rassistische Polizeigewalt gibt – in den meisten Fällen wird die politische Verantwortung für Todesfälle auf die Opfer abgeschoben, was aus meiner Sicht vollkommen inakzeptabel ist und in vielen Fällen eine bewusste Vertuschung darstellt. Ohne polizeikritische Initiativen somit keine Öffentlichkeit für Polizeigewalt, in diesem Fall gab es eine, von der gelernt werden kann. [–> LINK ZUR HOMEPAGE DER OURY-JALLOH-INITIATIVE]

Hörspiel zum Polizeimord an Oury Jalloh

Margot Overath hat für WDR 5 ein 5-teiliges Hörspiel produziert, in dem sie den Fall Oury Jalloh aufrollt und aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Aus der Ankündigung: “Ein Asylbewerber aus Afrika verbrennt 2005 im Polizeigewahrsam. Der an Händen und Füßen Gefesselte habe sich selbst angezündet, behaupten die Beamten. 15 Jahre lang scheitert die Justiz trotz mehrfacher Anläufe daran, den Fall aufzuklären – und macht ihn damit zum Politikum.” [–> LINK ZUM HÖRSPIEL]

Initiative “death in custody”

Da der Mord an Oury Jalloh kein Einzelfall, sondern immer wieder Persons of Colour (POC) im Polizeigewahrsam unter ungeklärten Umständen sterben, hat sich die Initiative “death in custody” gegründet, die Todesfälle von POC’s in Polizeigewahrsam einer erneuten Überprüfung unterzieht und diese überhaupt erstmal dokumentiert. Mittlerweile ist eine bundesweite Liste mit über 180 zweifelhaften Todesfällen von POC’s in Polizeigewahrsam seit dem Jahr 2000 entstanden, die eine riesige Begründungslücke darstellt und eine scharf geführte antirassistische, polizeikritische Debatte zur Folge haben muss. [–> LINK ZUR HOMEPAGE DER INITIATIVE]

Gegen die Räumung von Lützerath

Seit Anfang 2023 bereitet die Polizei in Nordrhein-Westfalen im Kooperation mit dem Energiekonzern RWE und deren hauseigenem Securities die Räumung des Dorfes Lützerath vor, dass dem Kohleabbau weichen soll. Viele Aktivist*innen sind schon dort oder fahren in den nächsten Tagen dorthin, um gegen die Räumes des Dorfes zu demonstrieren oder diese trotz zu erwartender Polizeigewalt praktisch zu verhindern.

Ich hab mal etwas recherchiert und einige Info-Sachen dazu zusammengetragen:

1.) Lesenswerter telegram Kanal, der die Lage und die unterschiedlichen Widerstands-Aktionen in Lützerath sowie Soli-Aktionen im Bundesgebiet dokumentiert. Dieser Kanal kann abonniert werden. [–> LINK ZUM KANAL]

2.) Homepage von “Lützerath lebt”, in der ihr aus ausführliche Infos in Textform findet, sowie Infos zur Anreise [–> HOMEPAGE]

3.) Den Aufruf “Lützerath unräumbar”, der von einer Vielzahl von linken Klimainitiativen wie Ende Gelände, Fridays for Future u.v.m. unterschrieben wurde, von denen auch viele vor Ort in Lützerath sind. Hier ein Auszug:

“Als breites Bündis kündigen wir Aktionen um Lützerath an, denn die Braunkohle unter Lützerath muss im Boden bleiben! Wir stehen geschlossen hinter den Aktivist*innen in Lützerath und kämpfen Seite an Seite für Klimagerechtigkeit weltweit. Gemeinsam rufen wir dazu auf, dass sich alle Aktiven auf den Weg nach Lützerath machen um das Dorf vor einer Räumung zu schützen.

Jede Minute, die der Bagger läuft und Kohle verbrannt wird, heizt die Klimakatastrophe weiter an. Als Bündnis Lützerath Unräumbar stellen wir uns der Zerstörung in den Weg! Wir sind Gruppen von Fridays For Future über Letzte Generation bis Alle Dörfer Bleiben. Wir rufen alle auf, mit uns für Klimagerechtigkeit aktiv zu werden. Unser Name ist Programm: mit vielfältigen Aktionen des zivilen Ungehorsams machen wir Lützerath unräumbar. Als bewegungsübergreifendes Bündnis bringen wir verschiedenste Akteur*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung zusammen, die sich jeweils auf ihre Weise dem Räumungsversuch entgegenstellen werden. Von uns geht dabei keine Eskalation aus. Wir gefährden keine Menschen.” [–> Gesamter Aufruf]

Linke Medienkiste #36

Linke Elternschaft

Der Deutschlandfunk hat u.a. mit der Feministin Sarah Diehl eine Sendung zur Frage gemacht, ob es Sinn macht, in der heutigen Zeit noch Kinder zu bekommen. Für einige bestimmt eine Schwachsinnsfrage, für andere gelebte Realität angesichts von Umweltzerstörung und dem Zustand der Welt sowie den Schwierigkeiten, heute passende Erziehungspartner*innen zu finden und mit diesen Kinder großzuziehen. Hier die Sendungsankündigung, dann der Link zum Podcast:

“Kriege, Umweltzerstörung, Überbevölkerung, das lässt bei manchen die Frage aufkommen, ob es gut ist, eine Familie mit eigenen Kindern zu gründen. Und nicht wenige entscheiden sich dagegen.Der Kinderwunsch ist etwas sehr Persönliches. Für viele gehören Kinder zum Lebensweg dazu. Andere sprechen sich – aus vielfältigen Gründen – bewusst dagegen aus, was oft auf Unverständnis stößt. Gerade Frauen ohne Kinderwunsch erleben Druck aus dem Umfeld und ablehnende Reaktionen. Sie gelten manchen als Egoisten, die nichts zur Gesellschaft beitragen wollen. Doch ist das so? Oder ist es nicht sogar verantwortungsvoll, angesichts des Zustands unseres Planeten auf eigene Kinder zu verzichten?” [–> LINK ZUM PODCAST]

Linke Infrastruktur: Crowdfunding “Zukunft am Ostkreuz”

Der linke Veranstaltungsort “Zukunft am Ostkreuz” muss aus seinen Räumlichkeiten direkt am Ostkreuz raus – das gesamte Quartier wird jetzt gentrifiziert und auf Hochglanz poliert. Glücklicherweise haben die Betreiber einen neuen Ort in fussläufiger Entfernung gefunden – müssen diesen jedoch jetzt erwerben und führen dafür ein Crowdfunding durch. Hier aus dem Facebook-Post der Zukunft:

HAPPY BIRTHDAY ZUKUNFT, heute wirst du 11 Jahre alt

Und deswegen gibt es ohne Ende Neuigkeiten.

NEWS 1 Wir bauen ein neues Zuhause für die Zukunft am Ostkreuz und ziehen um! Nur 5 Gehminuten vom aktuellen Standort entfernt. Wir gehen mit einem weinenden Auge aber die Freude ist dennoch groß!

NEWS 2 Ab dem heute startet eine Crowdfunding Kampagne über startnext. Hier gibt es die Möglichkeit, für den Ausbau des neuen Geländes zu spende, damit mir möglichst schnell wieder die Türen öffnen können” [–> LINK]

Techno

Neulich ging wieder eine Aufstellung über 10 Dokus rum, die mensch angeblich über Techno gesehen haben muss. Ich hab mir die Trailer angeschaut, und fand die ehrlich gesagt fast alle nicht überzeugend – mit Ausnahme von einer Doku über den Beginn der Techno-Bewegung in Deutschland, die ich bereits gesehen hatte und die ich hier nochmal verlinke.

Terry Hall

Mitte Dezember ist Terry Hall, der Sänger der Skaband “The Specials” gestorben. Als jemand, der die künstlerische Hochzeit der Specials nicht aktiv miterlebt hat, fand ich es schon bemerkenswert, wieviele linke Leute sehr betroffen waren.

Aber wer war Terry Hall und was hat ihn ausgezeichnet? Ich habe mal etwas recherchiert und empfehle neben unzähligen Musikvideos von “The Specials” auf youtube konkret zwei Nachrufe: zum einen den Radio-Nachruf (5 min) von der Berliner Kulturjournalistin Jenni Zylka auf Radio 1, die sich aus Gender- und antirassistischer Perspektive mit der besonderen Position der Specials in der Ska-Szene und von Terry Hall als neuem Typ von männlichem* Lead Sänger beschäftigt [–> LINK ZUM NACHRUF].

Zum anderen den sehr lesenswerten Nachruf auf laut.de, der Halls Einfluss in der britischen Punk-Bewegung der späten 1970er und frühen 1980er Jahre nachzeichnet:

“Die Specials gründeten sich im Zuge der Punkbewegung im Jahr 1978 und setzten mit ihrem Label 2-Tone und dem Album-Meilenstein “Specials” eine neue Jugendbewegung in Gang. Zusammen mit den Labelkollegen “Madness” und “The Selecter” rekurrierte die Band aus Coventry auf jamaikanische Ska-Acts der 60er Jahre und kämpfte unter dem schwarz-weißen Farbbanner des Labels für Gleichberechtigung und Toleranz. Bereits 1981 bricht die Band nach zwei Studioalben auseinander, kurz nach Veröffentlichung ihres größten Hits “Ghost Town”, der die Rassenunruhen und die hohe Arbeitslosigkeit im damaligen Thatcher-England thematisiert.” [–> LINK ZUM ARTIKEL]