Monthly Archives: February 2020

Das Attentat von Hanau: Solidarität und Stellungnahmen

SPENDENAUFRUF FÜR DIE HINTERBLIEBENEN VON HANAU

Die Bildungsstätte Anne Frank, der Verband der Beratungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, die Initiative 19. Februar Hanau und die Amadeu Antonio Stiftung rufen gemeinsam zu Spenden auf: “Jetzt benötigen die hinterbliebenen Familien und die lokalen Unterstützungsnetzwerke konkrete materielle und finanzielle Solidarität, um die ökonomischen Folgen des rassistischen Anschlags auch nur annähernd bewältigen zu können. Mit Ihrer Spende leisten Sie einen wichtigen Beitrag für dringend benötigte Soforthilfe, beispielsweise für Trauerfeiern, Akutversorgung und unmittelbare finanzielle Schäden. Und für eine langfristige Unterstützung Betroffener und Hinterbliebener. Für die Eltern und Geschwister, für Kinder und Freund*innen gab es ein Leben vor diesem Tag – und es muss ein Leben danach geben.” –> LINK ZUM SPENDENAUFRUF

“WIR SIND HIER. ES REICHT! DEUTSCHLAND HAT EIN RASSISMUSPROBLEM”

DIE ZEIT hat unter dem Titel “Wir sind hier. Es reicht! Deutschland hat ein Rassismusproblem” die Stellungnahmen von 142 in Deutschland lebenden Personen zusammengeführt, die von Rassismus betroffen sind  und sich nun zum Attentat von Hanau  äußern.

Für viele ist das Attentat von Hanau keine Überraschung, sondern eine Fortführung rassistischer Erfahrungen im Alltag.Gleichzeitig mischt sich in die Trauer über die Opfer auch die Wut über die politischen Strukturen in Deutschland, die das Attentat von Hanau ermöglicht haben.

Und es wird angesichts des Nachfragens einer kollektiven “Opferperspektive” auch die Frage nach der kollektiven “Täterperspektive” gestellt.

–> LINK ZU SÄMTLICHEN STELLUNGNAHMEN IN DER ZEIT

TRAUER- UND GEDENKKULTUR

Die ZEIT-Autorin Mely Kiyak kritisiert in einem Beitrag zum Attentat von Hanau die fehlende Gedenk- und Trauerkultur für die Opfer und deren Hinterbliebenen. Es gebe keine mehrtägige Staatstrauer wie in anderen Staaten, vor allem aber habe die Bundesregierung jegliche Form der persönlichen Anwesenheit und Trauerunterstützung bei den betroffenen Familien vermissen lassen:

“Schade, dass die Kanzlerin nicht da ist. Dass sie nicht nach Hanau fährt und die Eltern in den Arm nimmt. So wie damals die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern in Christchurch. Die band sich ein Kopftuch um (obwohl das keiner der Hinterbliebenen erwartete), ging in die Al- Noor Moschee, dem Tatort und nahm die hinterbliebenen Frauen in den Arm. […] Warum geht die Kanzlerin nicht zu den Opfern? Warum konnte sie nach dem Attentat auf die Synagoge in Halle am gleichen Abend in die Neue Synagoge in der Oranienburgerstraße gehen? Und jetzt nach Hanau geht sie nirgendwohin? Wieso ist niemand von der Regierung zu den Opfern gegangen? Warum hat der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Hanau auf einem Marktplatz gesprochen und die Hinterbliebenen waren gezwungen ihm zu applaudieren? Warum ist er nicht zu den Hinterbliebenen nach Hause gegangen und hat ihre Hand gedrückt? Warum steht er auf dem Marktplatz und legt Blumen auf den Boden, wo doch die Eltern ein paar Hundert Meter weiter wohnen. Da geht man doch hin und klingelt. Und entschuldigt sich für das Fehlen der Kanzlerin, richtet Grüße aus, zieht die Schuhe aus, setzt sich ins Wohnzimmer und trinkt gemeinsam mit ihnen Tee. Und so macht man das bei allen Familien der Hanauer Bürger, die starben. Das waren nämlich, bis auf den Rumänen, der war dienstlich in Deutschland, alles Hanauer Bürger.”  –> LINK ZUM ARTIKEL

SOLIDARITÄTS-DEMO IN HANAU

Am Samstag, den 22.2.2020 fand in Hanau eine bundesweite Solidaritäts- und Erinnerungsdemo für die Opfer und Hinterbliebenen des dortigen Terroranschlag statt. Es nahmen ca. 6.000 Menschen teil.

AFD-VERBOT ODER AFD ALS SYMPTOM EINES DEUTSCHEN RASSISMUS?

In den letzten Tagen wurde immer wieder ein Verbot der AfD gefordert. Georg Diez fordert jetzt in der taz, weniger die AfD, sondern vor allem den dahinterstehenden Rassismus als deutsche Kontinuität anzuerkennen und zu bekämpfen – alles andere sei scheinheilig.

Denn “die AfD ist nur ein Symptom für eine viel tiefer reichende illiberale und demokratiefeindliche Tradition in der deutschen Gesellschaft. Sie ist die Ausprägung eines Rassismus, der sich nach 1945 eine andere Form und Gestalt gesucht hat und immer präsent war: im Diskurs über die sogenannten Gastarbeiter seit den 1960er Jahren und das kommunale Wahlrecht in den 1980er Jahren, die Brandanschläge der 1990er Jahre und die folgende Verschärfung des Asylrechts. Die AfD ist die parlamentarische und politische Form für etwas, das sehr viele Menschen in diesem Land denken, und die Trennlinie ist nicht so sauber zu ziehen, wie es sich die vorstellen, die von Verbot reden oder wenigstens von klarer Abgrenzung.

Um den Widerspruch klarzumachen: Diejenigen, die nun das Verbot der AfD fordern, sind oft genau diejenigen, die in der Eurokrise von 2010/2011 die rassistische Logik der „faulen Griechen“ etablierten – aus dieser Zeit, aus dieser Logik stammt die AfD. Es sind diejenigen, die im Sommer 2015 und danach davor warnten oder sich entschieden dagegen engagierten, dass Deutschland seinen Teil der Verantwortung für die Geflüchteten in Europa trug und eine menschliche Politik machte. Es sind diejenigen, die immer nach Integration und Leitkultur riefen, wenn sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gefahr sahen, und dann doch dafür stimmten, wichtigen zivilgesellschaftlichen Projekten und Institutionen die finanziellen Mittel zu streichen.

Kurz gesagt: Diejenigen, die nach den Morden von Hanau im Verbot der AfD eine Lösung für die rassistische und rechtsextreme Bedrohung in diesem Land sehen, sind vor allem die, die in den vergangenen Monaten und Jahren selbst ihren Teil dazu beigetragen haben, dass sich Rassisten in diesem Land wieder sicher fühlen dürfen, zu hetzen und zu morden. Und das macht den Diskurs über die AfD auch so verlogen: Wer neun Morde braucht, um zu verstehen, wie menschenverachtend die AfD ist und war, hat ein sehr eingeschränktes Verständnis von Humanität, Wahrheit und Würde.” –> LINK ZUM ARTIKEL

STAATLICHE VERFOLGUNG DES RECHTSTERRORISMUS

Die ZEIT-Autorin Mely Kiyak schließt in ihrem Beitrag zu Hanau an jene Positionen an, die ein hartes Durchgreifen des Staates gegen rechtsradikale Strukturen und neo-faschistische Gewalt fordern: “Auf die Gewalt der Straße müsste man mit staatlicher Gewalt antworten. Sonst wird das nie aufhören. Es kann nur noch darum gehen, das zu beenden, zu ersticken. Und nicht daraus zu lernen oder  – noch grotesker – eine Lehre daraus zu ziehen. Die Gewalt des Staates muss so massiv und angsteinflößend sein, dass alle Sympathisanten, die der Ideologie des Attentäters heimlich zustimmen, sich vor Angst in die Hose scheißen. Gewaltbereite, bewaffnete Nazis verstehen nur diese Sprache. Und ihre jämmerlichen Wähler ebenso. Man kann Terror nicht mit Beileidsbekundungen und Hashtags und Mahnwachen in Schach halten. Trauer und Solidarität ersetzen keine politischen Handlungen. Politik wird mit Politik gemacht.” –> LINK ZUM ARTIKEL

NSU-KOMPLEX UND NSU-AKTEN

Der NSU-Komplex ist weiterhin nicht aufgeklärt. Nachdem die Justiz die Einzeltäter-These verfolgt hat, fordern Beobachtungs-Initiativen wie die antifaschistische und antirassistische NSU-Watch weiterhin eine grundlegende Aufdeckung der rechten Netzwerke in Staat und Gesellschaft, die zum NSU geführt haben. –>LINK ZUR SELBSTDARSTELLUNG VON NSU-WATCH

Eine besondere Rolle spielen dabei die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, insbesondere die Ämter für Verfassungsschutz. Das NSU-Tribunal schreibt hierzu in ihrer Anklageschrift:

“Der NSU bestand aus einem „Netzwerk von Kameraden“, und eben dieses erfuhr eine vielfältige Unterstützung durch die Sicherheitsbehörden. Nicht wenige Handlungen und Taten des NSU wurden durch die indirekte Unterstützung in Form staatlicher Gelder an V-Personen ermöglicht, mit denen Nazistrukturen auf- und ausgebaut wurden. Schon um die Jahreswende 1996/1997 warnte das BKA unter dem markanten Begriff des „Brandstiftereffektes“ vor der Radikalisierung der Nazi-Szene durch V-Personen des Bundesamts für Verfassungsschutz. In dieser Zeit bildeten sich erste Keimformen des NSU heraus.” –> LINK ZUR ANKLAGESCHRIFT DES NSU-TRIBUNALS

Zentraler Bestandteil einer Aufklärung ist die Offenlegung der NSU-Akten, die z.B. in Hessen mit einer Sperrfrist von 120 Jahren versehen wurden. Bereits 2018 fragte der Autor Lars Wieland diesbezüglich “Warum bleibt die NSU-Akte 120 Jahre unter Verschluss?”. An der Frage hat sich bis heute nichts geändert, ihre Beantwortung wird nach den Attentaten von Hanau nur umso drängender –>  LINK ZUM ARTIKEL

Das Attentat von Hanau: Say their names

Auf twitter gibt es unter dem Hashtag “saytheirnames” den Versuch, den Täter aus Hanau aus dem öffentlichen Blick zu nehmen, und die Opfer, ihre Angehörigen und Freund*innen in den Mittelpunkt der Aufarbeitung zu stellen, und dadurch einen Raum zum Trauern zu öffnen und Nachahmungstätern die Motivation für weitere Taten zu nehmen.

“Die ermordeten Menschen haben Gesichter und Namen

#SayTheirNames

Die Namen von acht der neun Todesopfer lauten:

Ferhat Ünvar

Gökhan Gültekin

Hamza Kutovic

Said Nessar

El Hashemi

Mercedes k.

Bilal Gökçe

Sedat Gürbüz

Can Gülcü

#Hanau”

Quelle

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Das Portal “Perspektive” hat zudem angefangen, die Kurzbiographien der Opfer aufzuschreiben:

Gökhan Gültekin war Kellner in einer der Shisha-Bars. Die Familie des 37 Jahre alten Mannes stammt aus der osttürkischen Provinz Ağrı. Er stand laut dailysabah kurz vor der Verlobung mit seiner Freundin.

Ferhat Ünvar hatte vor kurzem seine Ausbildung zum Heizungs- und Sanitärmechaniker beendet. Der 22-Jährige war Sohn der ehrenamtlichen Unterstützerin der Zeitung Özgür Politika, Serpil Temiz.

Die 35-jährige Mercedes K. war eine junge Romni (Roma-Frau), die als deutsche Staatsbürgerin mit polnischen Wurzeln Angehörige der nationalen Minderheit war. Sie war Mutter von zwei Kindern.

Unter den Opfern waren auch der 30-jährige Besitzer der Shisha-Bar Sedat Gürbüz, der 20-jährige bosnische Hamza Kurtović, der 32-jährige Kalojan Welkow, der 23-jährige Vili Viorel Păun, der 21-jährige Said Nessar El Hashemi, [und] ein Mensch dessen Identität bisher ungeklärt ist. ”

–> LINK ZUM ARTIKEL (wird laufend aktualisiert)

Das Attentat von Hanau: Antifeminismus

Der Täter von Hanau handelte ebenso wie die rechten Attentäter in Halle und Christchurch aus einer antifeministischen Motivation heraus: “Der mutmaßliche Täter von Hanau war offenbar ein „Incel“ („involuntary celibacy“, zu Deutsch „unfreiwillige Enthaltsamkeit”). Als „Incel bezeichnen sich Männer, die ungewollt keine Partnerin haben und die Ursache dafür im Feminismus sehen, da sie Frauen die Schuld an ihrer sexuellen Frustration geben, weil diese sich angeblich nur für sogenannte „Alpha-Männer interessierten und alle anderen Männer (die „Incels”) leer ausgingen. […]

Auch der Täter, der in Halle eine Synagoge überfiel und später zwei Menschen erschoss, gab Hass auf Frauen als Tatmotiv explizit an. So heißt es in dem Video, das er von seiner Tat aufnahm: „Feminismus ist Schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen, die die Ursache für die Massenimmigration ist. Und die Wurzel dieser Probleme ist der Jude.“

Die Linken-Politikerin Helm analysiert für das ARD-Magazin „Panorama“, dass dahinter nicht nur Antisemitismus stecke – sondern eine bestimmte Verschwörungstheorie: „Nämlich dass sich eine sogenannte jüdische Finanz-Elite, die die Welt regiert, den Feminismus am Reißbrett ausgedacht hat, um Frauen dazu zu bringen, weniger Kinder zu bekommen, um die weiße Rasse zu zerstören und einen Genozid an den Weißen zu verursachen.“” –> LINK ZUM ARTIKEL

Zum weiteren antifeministischen Hintergrund der Serie von rechten Attentaten ein Überblick von “Panorama” von November 2019:

News of the Day

VERDRÄNGUNG / GENTRIFIZIERUNG

Vor wenigen Wochen hat sich in Berlin die Initiative “Kein Haus weniger!” gegründet, die sich gegen die Verdrängung und Schließung alternativ Wohn- und Kneipenprojekte wehrt.

Aus dem Aufruf: “Ohne seine alternativen Haus- und Kulturprojekte wäre Berlin lediglich die Stadt, in der mal die Mauer stand. Sie wäre sozial, politisch und kulturell um Vieles ärmer. Tausende Menschen finden in Hausprojekten bezahlbaren Wohnraum ohne Angst vor Verdrängung haben zu müssen; Menschen, die anderswo diskriminiert werden, finden hier ein sicheres Zuhause. Die Häuser und Projekte bieten zudem eine elementar wichtige Infrastruktur für ihre Nachbarschaften. Hier finden sich Räume für Mietberatungen, politische Vernetzung, kulturelle Veranstaltungen und Orte zum Verweilen ohne Konsumzwang. […]

Stadtmarketing, Ferienwohnungsplattformen und Immobilienkonzerne bedienen sich der Berliner Subkultur des widerständigen und alternativen Lebens für den Verkauf eines rebellischen Images. Dem widersprechen wir entschieden: Wir sind nicht die Fassade eures Verwertungsmarktes. Wir sind der lebendige Beweis dafür, dass sich selbstbestimmtes Leben und soziale Räume nicht mit, sondern nur gegen Profitinteressen durchsetzen lassen. Wir sind die Vorboten einer besseren Zukunft als solidarische Stadt. Dass nun immer mehr Projekte auf die Straße gesetzt werden sollen, werden wir nicht akzeptieren.  […]  -> LINK ZUR INITIATIVE

Am Sonntag, 16.2.2020, findet im Festsaal Kreuzberg ab 18 Uhr eine Spendengala für “kein Haus weniger” statt.

SEXISMUS

Die Electro-Szene wird seit mehreren Wochen von einer Reihe sexualisierter Übergriffe erschüttert. Sowohl auf dem Festival “Monis Rache” als auch der “Fusion” wurden heimlich Videos vom Dusch- und Toilettenbereich gedreht, und danach auf Porno-Platformen hochgeladen. Hier die Stellungnahme der Fusion Veranstalter*innen zu dem Vorgang –> LINK

RASSISMUS & POLIZEI

Kampagnenstart und Demonstrationsaufruf: “Zum internationalen Tag gegen Polizeigewalt am 15.03.2020 lädt die Kampagne “Death in Custody – Aufklärung von Tod in Gewahrsam jetzt!“ zur bundesweiten Demonstration in Berlin Moabit ein. Death in Custody ist ein Bündnis von verschiedenen antirassistischen, antikolonialen Gruppen und Einzelpersonen.

Immer wieder sterben in Deutschland Schwarze und People of Color in Gewahrsam von Polizei und anderen staatlichen Institutionen. Oft werden die Opfer kriminalisiert, die Tatumstände seitens der der Ermittlungsbehörden vertuscht, während die Täter_innen straffrei davon kommen und in der weißen deutschen Dominanzgesellschaft das Schweigen über diese Todesfälle herrscht. Der Tod in Gewahrsam von rassifizierten Personen hat eine lange Tradition in Deutschland und Europa. Lasst uns gemeinsam gegen dieses kolonialrassistische System auf die Straße gehen und das Schweigen brechen!

In Gedenken an die Opfer und in Solidarität mit den Angehörigen fordern wir die umfassende Aufklärung der Todesfälle, Verurteilung der Täter_innen, Stärkung der Rechte der Betroffenen und wirksame Konsequenzen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, um weitere Todesfälle zu verhindern!” –> LINK ZUR KAMPAGNE

RECHTE NETZWERKE

Nach Rene Benko, der den Karstadt am Hermannplatz gekauft hat und der FPÖ nahe steht, gibt es nun den nächsten rechtsradikalen Immobilienunternehmer, der 100.000 explizit an die AfD Thüringen, also Höcke & Co, spendet: Christian Krawinkel  –> LINK

Digitale Vollüberwachung (#2)

In dieser Kolumne schreibe ich Gedanken auf, die sich aus linker Perspektive mit einer sich abzeichnenden autoritär-staatlichen und kapitalistisch-profitgetriebenen digitalen Vollüberwachung auseinandersetzen. 

Nach den Enthüllungen von Edward Snowdon wird viel über heimliche staatliche “Hintertüren” bzw. backdoors in Anti-Viren-Programmen und anderer Schutzsoftware spekuliert, über die mensch durch staatliche Sicherheitsbehörden ausgespäht werden können. Wie kommen diese zustande? Meist wird von einer direkten Drohung der Sicherheitsbehörden an die jeweiligen Unternehmen ausgegangen, backdoors einzubauen und den Zugang dazu den Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen – andernfalls würde ihre Software vom Markt genommen.

Jetzt ist ein Überwachungs-Fall aus den 1970ern bekannt geworden, der sich anders darstellt. In diesem hatten der BND und der CIA selbstständig und heimlich einen der bekanntesten Firmen zur Herstellung von Chiffriermaschinen aufgekauft, das Unternehmen selbst weiterbetrieben und so die gesamte Kommunikation der Firmen-Kund*innen mitgelesen. –> LINK ZUM ARTIKEL

Vielleicht auch schon ein Modell für heute? Fahren staatliche Sicherheitsdienste eine Doppelstrategie aus (a) direkter staatlicher Drohung gegen die Betreiber*innen von Kommunikationsdiensten und (b) einer eigenen Beteiligung am Überwachungsmarkt, um die von ihnen geforderten Informationen über das gesellschaftliche Alltagsleben zu erhalten?

Und was bedeutet es, wenn staatliche Überwachungsakteure nicht nur die von anderen Akteuren erhobenen Daten “abgraben”, sondern selber die Entwicklung der Überwachungstechnologie und das Marktgeschehen, z.B. als Anbieter von Anti-Viren-Software, direkt mitgestalten?

Demonstrieren kostet jetzt Geld

Innenminister Horst Seehofer hat für die Bundespolizei eine neue Gebührenverordnung erlassen –> LINK

Diese neue Verordnung ist bereits im Oktober 2019 in Kraft getreten. Wer schonmal willkürliche Polizeigewalt erlebt hat, dem gefriert angesichts der nun verhängbaren Geldstrafen das Blut in den Adern, z.B. kostet ein Tag Haft ca. 570 Euro pro Person.  Desweiteren: “Eine erstmalige Platzverweisung kostet 88,85 Euro, eine Identitätsfeststellung 53,75 Euro, Anordnung des Gewahrsams 74,15 €, Erkennungsdienstliche Behandlung: 59,50 Euro, Vollzug des Gewahrsams pro angefangener Viertelstunde 6,51 Euro.”.

Seriously? Von der Bundespolizei belangt zu werden, kostet jetzt pauschal Geld? Was ist mit der Unschuldsvermutung? Sollen die Bürger*innen dann ihre eigene Rechtsunsicherheit in Verfahren auch noch materiell abfedern, indem sie erstmal die Kosten der Bundespolizei vorstrecken?

Viel wichtiger ist aber, dass eine solche Regelung eine direkte Form der Klassenjustiz darstellt. Denn wenn das Handeln der Polizei, z.B. auf Demonstrationen, bei Fussballspielen oder einfach der Anwesenheit im öffentlichen Raum nur noch jenen möglich ist, die es sich materiell leisten können, von der Bundespolizei willkürlich oder begründet belangt zu werden, dann entsteht eine starke Tendenz der Einschüchterung bei jenen, die sich eine materielle Strafe nicht leisten können oder diese verhindern wollen. 

 

Digitale Vollüberwachung

In dieser Kolumne schreibe ich Gedanken auf, die sich aus linker Perspektive mit einer sich abzeichnenden autoritär-staatlichen und kapitalistisch-profitgetriebenen digitalen Vollüberwachung auseinandersetzen. 

In vielen Diskussionen wird das Bild einer digitalen Vollüberwachung als Dystopie beschrieben. Sei es in der digitalen Übermacht eines Staates a la “1984” von George Orwell oder den Beschreibungen einer Dominanz von Tech-Konzernen wie google, facebook oder amazon, die unser Leben mit profitgetriebenen Service-Angeboten immer mehr durchdringen und dabei jeden Schritt, jede Mausbewegung, jeden Kommunikationsakt aufzeichnen und kapitalistisch verwerten.

Ich möchte den hierzu bestehenden, kritischen Diskursen garnicht das Wasser abgraben – sie sind angesichts der permanenten neo-konservativen Versuche, immer mehr staatliche Überwachungsmaßnahmen durchsetzen, und der Innovationskraft kapitalistischer Tech-Konzerne und der praktisch-politischen Kraft, ihre wirtschaftlichen Interessen ungehindert durchzusetzen und dadurch die digitale Welt der Zukunft zu gestalten, bitter nötig.  Sie ermöglichen uns, die gegenwärtigen digitalen Umwälzungsprozesse und den status quo nicht als gegeben hinzunehmen, sondern als historisch geworden, veränder- und umkehrbar.

Innerhalb der kritischen Diskurs gibt es jedoch meines Erachtens eine Reihe strategischer Schwachstellen, die markant sind. Die erste und größte Schwachstelle ist meines Erachtens die fehlende gesellschaftspolitische Utopie in Bezug auf die sich momentan vollziehenden Digitalisierungsprozesse. Als undogmatischer Linke ist es auffällig, dass die sich momentan manifestierenden Tendenzen eines staatlichen, digitalen Autoritarismus und eines maximal durchdringenden, digitalen Kapitalismus mit aller Kraft in eine bestimmte politische Richtung ziehen – während es der gesellschaftspolitischen Linken an einem gefestigten Gegenstandpunkt fehlt, von dem aus politische Abwehrkämpfe geführt und dezidierte und zielgerichtete, emanzipative Kämpfe für eine bessere Zukunft geführt werden können.

Die aktuell kursierenden, politischen Konzepte gegen eine autoritär-staatliche und intensiv-kapitalistische Digitalisierung der Welt sind meist liberale Konzepte wie die Verteidigung des Privaten und die sozialdemokratische Verstaatlichung der großen Tech-Konzernen. Was fehlt, sind dezidierte ökonomische und politische digitale Alternativen und Utopien, die bisher formulierte linke Alternativen wie Basisdemokratie und Kommunismus politisch und auf neuer technologischer Grundlage aktualisieren. Ob dabei am Ende ein digitaler basisdemokratischer Kommunismus oder eine digitale kommunistische Basisdemokratie herauskommt, ist sicherlich ein wichtiger Streitpunkt, mir aber im Kern egal: weil beides eine selbstbestimmte politische Entscheidung in einem kollektiven Prozess wäre.

Vergesellschaftung als Modell (News of the Day)

MIETEN

Voll gut: es hat in Berlin eine mehrmonatige interne Diskussion zum wie weiter in der mietenpolitischen Auseinandersetzung gegeben. Beteiligt: die »Deutsche Wohnen & Co enteignen«-Kampagne, Mieter*innen, Verbände und Gewerkschaften. Ergebnis: eine Broschüre zum Thema Vergesellschaftung. –> LINK

Aus dem Ergebnis: “Zur Verwaltung der vergesellschafteten Wohnungsbestände sieht das Modell die Schaffung einer neuen Anstalt öffentlichen Rechts vor. Diese würde nicht nur die Vorteile großer Unternehmen wie Finanzstabilität und Kreditwürdigkeit bündeln, sondern ermögliche zudem die demokratische Mitbestimmung der Mieter*innen sowie der gesamten Stadtgesellschaft. »Die Wohnungen sollen der Stadtgesellschaft gehören, damit nicht nur die Mieter profitieren«, erklärt Hoffrogge. Über ein Rätesystem sollen Entscheidungen möglichst dezentral getroffen werden und alle Menschen berücksichtigen, die von diesen betroffen sind.” –> BERICHT

RASSISMUS 

In Bayern ist ein aus dem Kongo stammender deutscher Pfarrer nach monatelangen rassistischen Beleidigungen und Drohungen durch örtliche Rechte von seinem Amt zurückgetreten. Er wird die Gemeinde verlassen.

“Der aus dem Kongo stammende katholische Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende (66) hat genug: Nachdem er monatelang Morddrohungen erhalten hatte und rassistisch beschimpft worden war, gab er nun sein Amt auf. Im Gottesdienst am Sonntag kündigte er an, die Gemeinde Zorneding bei München nach vier Jahren verlassen zu wollen. Das Erzbistum München bestätigte am Montag, dass der Pfarrer ab 1. April „an einem neuen Ort“ arbeiten werde. Die Situation sei für ihn sehr belastend gewesen, gleichwohl blicke er ohne Verbitterung auf seine Zeit in Zorneding zurück.

Die Anfeindungen gegen den Pfarrer hatten bundesweit für Aufsehen gesorgt: Im vergangenen Herbst kritisierte Ndjimbi-Tshiende die örtliche CSU wegen flüchtlingsfeindlicher Äußerungen. Ein CSU-Vertreter bezeichnete den Pfarrer daraufhin als „N****“. In den vergangenen Monaten erhielt Ndjimbi-Tshiende mehrere Drohbriefe, laut Polizei auch mit „Auschwitz-Bezug“.”

ÜBERWACHUNG & POLIZEI

Am Wochenende fand in Berlin der Europäische Polizeikongress statt, auf dem sich staatliche Vertreter*innen und Wirtschaftslobbyist*innen über die weitere Ausrichtung der Polizeiarbeit sowie neue technische Möglichkeiten der Überwachung, Kontrolle und Repression austauschten. Der Kongress wird seit Jahren von einer Demonstration begleitet, die die Aufrüstung der Polizei kritisiert. Die diesjährige Demo wurde nun anlässlich der Erschiessung einer Frau durch die Berliner Polizei Ende Januar in Berlin-Friedrichshain durchgeführt.

Begleitet wurde der Polizeikongress zudem durch einen Gegenkongress (KONGRESSSEITE), der unter dem Stichwort “Entsichern” unterschiedliche Aspekte der digitalen Aufrüstung der Polizei und die enge Zusammenarbeit mit technischen Dienstleistungsunternehmen diskutierte und nach gesellschaftlichen Alternativen fragte. –> BERICHT DEMO UND KONGRESS 

ZUKUNFT

Die Linke hat in ihrer Praxis viele Konzepte wie Sozialismus oder Kommunismus gebildet, die auf Grund der autoritären Erfahrungen mit bestimmten “linken Modellen” wie dem autoritären Realsozialismus kaum noch öffentlich angesprochen werden können. Es gilt daran zu arbeiten, autoritären Tendenzen innerhalb linker Projekte und Strukturen entgegen zu wirken – manchmal hilft es aber auch, auf den eigenen Begriffen zu beharren, wenn sie emanzipatorisch gefüllt werden können, und diejenigen, die aus einer herrschaftlichen Position oder zur Verteidigung ihrer Privilegien überhaupt kein Interesse an einer politischen Veränderung der gegenwärtigen z.b. kapitalistischen Verhältnisse haben, ein bisschen mit diesen zu foppen.