Monthly Archives: July 2023

Sexismus ist 1 Arschloch. Zur strukturellen Diskriminierung des Frauen-Fussballs am Beispiel der WM 2023

Ich schaue nun seit mehr als 1 Woche die Frauen-WM und bin wirklich begeistert. Coole Spiele, das Niveau ist nun auch in der Breite der teilnehmenden Teams auf Top-Niveau – technisch, taktisch, körperlich alles top: es macht voll Spaß zuzugucken.

Gleichzeitig wird in der zunehmend von Frauen* gestalteten Berichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen deutlich, dass der Frauen-Fussball über viele Ex-Spielerinnen auch eine Reihe von “Expertinnen” herausgebildet hat, die sich voll gut auskennen und ausdrücken können.

“Born for this”, eine Langzeit-Doku-Serie über das doitsche Frauen-Team in der ZDF-Mediathek (–> LINK) zeigt, dass die jetzigen jüngeren Spieler*innen richtige Fussball-Atzen sind, die abwechselnd rumhoolen, kicken und Fussi-Sprüche machen. Was Atzen halt so machen… 😉

In der Elite hat sich der Frauen-Fussball damit so professionalisiert, dass mensch eigentlich von Gleichberechtigung sprechen könnte. Wenn da nicht die mangelnde Öffentlichkeit, Anerkennung und Bezahlung wäre. Zwar hat das gestrige Spiel des doitschen Team gegen Kolumbien mehr Leute erreicht als abends der “Tatort” (–> ARTIKEL) – aber in “born for this” beschreiben mehrere Spielerinnen die schizophrene Abwechslung zwischen großen, medial sehr präsenten Turnieren wie WM und EM seinerseits und dem öffentlich weitgehend unbeachteten Frauen-Bundesliga-Alltag sehr gut. Der aktuelle Diskurs scheint zu sein: gehts ums den nationalistischen Auftrag sollen fussballspielende Frauen* gut sichtbar sein – sonst im professionaliserten oder amateurorientierten Alltag nicht.

Klar,es ändern sich Sachen, wie dass die Öffentlich-Rechtlichen und der Sender Sport1 in der kommenden Frauen-Bundesliga-Saison 32 Spiele im Free TV zeigen, und damit nicht alle Spiele in der Bezahl-Nische von DAZN laufen wie bisher. Oder dass einige Spielerinnen lukrative Werbeverträge bekommen, so dass es auch eine in Ansätzen vergleichbare materielle Anerkennung der eigenen Leistungsstärke gegenüber männlichen Kickern gibt.

Aber die Wahrheit ist weiterhin auch, dass sich die doitschen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten im Poker um die WM-Senderechte bis 8 Wochen vor der WM geweigert haben, der FIFA mehr für die gesamte (!) Frauen-WM zu bieten, als sie sonst für ein (!) Freundschaftsspiel der Männer-Mannschaft zahlen. Durch diese respektlose Haltung war komplett unklar, ob die WM 2023 überhaupt im Free-TV gezeigt wird, was de-facto eine Infragestellung der Existenzberechtigung des Frauen-Fussballs in Deutschland war.

Noch grösser wird dann der Abgrund, wenn mensch die Spiele anschaut, und dann hört, was sich dort so an Gender-Interpretation durch die Kommentator*innen tummelt. Eine Schiedrichterin habe das Spiel souverän im Griff – was aber “natürlich” sei, schliesslich sei sie schon “dreifache Mutter”. Und auch in Bezug auf die Spielerinnen schwingt oft ein überraschter Unterton mit, “wie gut” denn diese nun seien. Als wäre es in gewisser Form “verrückt”, dass Frauen* – wenn sie ab dem frühen Mädchenalter fußballerisch gefördert werden – im Erwachsenenalter zu hochprofessionellen Sportlerinnen werden, die ihr Spiel und alles damit Verbundene kennen und können.

Ich weiss, gegenüber den Vorurteilen aus den 80ern und 90ern, die schlicht patriarchal behauptet haben, dass “Frauen kein Fussball spielen können”, ist das schonmal ein Fortschritt. Aber der Geist der Unterdrückung und Entwertung schwingt meines Erachtens immer noch mit, und muss weiterhin diskursiv angegriffen und endgültig zerstört werden.

Dazu gehört meines Erachtens auch, den Leistungsgedanken im aktuellen Frauen-Fussball offen in Frage zu stellen. Denn die Strategie, durch Leistung und Leistungssport darauf “aufmerksam” zu machen, dass “Frauen auch Fussball spielen können”, beinhaltet aus meiner Sicht viel zuviel Verständnis für pauschale, patriarchale Abwertung und ist vor allem exklusiv. Weil sie nur für jene Frauen funktioniert, die zeigen, “was sie spielerisch und leistungsmässig können”.

Ein inklusives Verständnis von Fussball müsste eigentlich eher darauf setzen, dass alle das Recht haben, zu spielen, egal wie gut. Und dass geschlechterdiskriminierende Abwertung und vor allem Vergleiche “mit den Männern” immer wieder in die Wüste des Status Quo führen, weíl der Frauenfussball in Deutschland eine eigene Entwicklungsgeschichte hat, die bereits zu genug Benachteiligungen von Frauen geführt haben.

Ein selbstbewusster geschlechtersensibler Ansatz müsste meines Erachtens eher nach jenen politischen Forderungen suchen, die dem professionellen Frauen-Fussball im Hier und Jetzt die Anerkennung gibt, die ihm meines Erachtens zusteht. Gleichzeitig muss die übergreifend dominante Frage “Wie gut (im Vergleich zu Männern) kann diese und jene Frau Fussball spielen” zumindest im Jugend- und Amateurbereich ersetzt werden – durch ein einfaches Mitspielangebot, dass Engagement, sportliche Entwicklung und Krafteinsatz für Jede und Jeden offen lässt.

Vielleicht lautet daher die emanzipatorische Frage zum Komplex Fussball und Gender, warum Männer und an patriarchalen Diskursen orientierte Personen es so schlecht gelernt haben, mit Frauen zusammenzuspielen oder deren Fussball-Spiel einfach mal nicht sofort patriarchal zu normieren und zu kommentieren.

Stellungnahme: “Die Klimakrise ist real und braucht global-solidarische, sozial-ökologische Lösungen. Gegen die bundesweiten staatlichen Repressionen gegen die „Letzte Generation“*”

Angesichts der seit Ende Mai durchgeführten bundesweiten polizeilichen Razzien gegen Mitglieder der klimapolitischen Gruppe „Letzte Generation“ (LG), der darauffolgenden Öffentlichmachung einer staatlichen Überwachung des Pressetelefons der Gruppe und dem Versuch, Mitglieder der LG, die sich an Straßenblockaden beteiligt hatten, in gerichtlichen „Schnellverfahren“ zu verurteilen, muss mit Nachdruck herausgestellt werden, dass die massiven staatlichen Repressionen gegen die LG unverhältnismässig sind und solidarisch abgewendet werden müssen.

Für eine gesellschaftskritische, sozialwissenschaftliche Perspektive stellt der Klimawandel und die daraus resultierende globale Klimakrise einen zentralen Referenzpunkt der eigenen wissenschaftlichen Arbeit dar. Umwelt-, klima- und sozialwissenschaftlich ist unbestreitbar, dass wir uns in einer globalen Entwicklungsdynamik befinden, die menschliche Lebensgrundlagen nachhaltig zerstört. Hiervon zeugen die Klimaerwärmung, die Zunahme von Starkwetterphänomen, das Artensterben, die Abschmelzung der Pole, Dürren, Ernährungskrisen und eine seit Jahren steigende Zahl von Menschen, die auf Grund klimatischer Veränderungen flüchten müssen.

Entsprechend muss die in öffentlichen Debatten immer wieder geäußerte Einschätzung, bei den Aktivistinnen der „Letzten Generation“ handele es sich um „gestörte Klimakleber*innen“ aufs Schärfste zurückgewiesen werden. In den kritischen, sozialwissenschaftlichen Diskursräumen, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen, wird nicht mehr ernsthaft diskutiert, ob ein menschheitsbedrohender Klimawandel stattfindet, sondern nur noch, ob und unter welchen Entwicklungsbedingungen dieser bei entsprechenden Gegenmaßnahmen irreversibel ist oder nicht. Diesbezüglich politische Furcht oder Sorge zu entwickeln ist eine angemessene menschliche Reaktion.

Nicht angemessen ist jedoch die politische Entscheidung von Staatsanwaltschaften, Polizeibehörden und konservativen Politiker*innen der Inneren Sicherheit in Deutschland, die politischen Aktionen der „Letzten Generation“ als Tätigkeit einer „kriminellen Vereinigung“ zu werten. Es war und ist immer sichtbar, dass es bei den Aktionen der „Letzten Generation“ darum geht, das alltägliche, in der jetzigen Form hochgradig klimafeindliche, gesellschaftliche Leben in Deutschland zu unterbrechen, um diskursive, politische Freiräume zu öffnen und andere Möglichkeiten und Modelle sozial-ökologischen Handelns zu entwickeln und in der Praxis zu etablieren.

Dieses klimapolitische Ansinnen, auch gegen den im Grundgesetz und einer Reihe internationaler klimapolitischer Abkommen (Pariser Klimaschutzabkommen, Artikel 20a Grundgesetz, Bundes-Klimaschutzgesetz) verankerten politischen Auftrag zum Klimaschutz, zu kriminalisieren, mag in ein konservatives Weltbild passen, das bis zur lebensbedrohenden Selbst- und Fremdgefährdung an „alten Gewohnheiten“ festhalten und deren negative Folgen „totschweigen“ möchte. Es entspricht aber in keiner Weise den wissenschaftlich gesicherten, politischen Aufgabenstellungen, die aus den desaströsen Folgen des gegenwärtigen Klimawandels erwachsen.

Ganz im Gegenteil: mit den gewaltsamen Hausdurchsuchungen, den Angriffen auf Social Media Kanäle und Kommunikationsinfrastruktur sowie der Beschlagnahmung der finanziellen Mittel der LG werden nun auch noch jene sprichwörtlich „in Haft genommen“, die in kritischer Absicht auf die destruktiven Aspekte des Klimawandels hinweisen und diese aufhalten wollen. Aus einer grundrechtlichen Perspektive muss diesbezüglich betont werden, dass die staatlichen Repressionen gegen die LG – ebenso wie vergleichbare staatliche Repressionen gegen klimapolitische Akteure in Staaten wie Frankreich, in denen klimapolitische Gruppen wie “Le Soulèvement de la Terre” massiv drangsaliert und verboten wurden – für die unmittelbar Betroffenen massive anti-demokratische Grundrechtseinschränkungen darstellen.

Klimapolitisch ändern solche „repressiven Schauläufe“ konservativer Politik jedoch kaum etwas an der globalen Gesamtsituation. Denn die politische Aufgabe einer global-solidarischen, sozial-ökologischen Transformation der dominanten, imperialen Lebensweise des globalen Nordens stellt sich weiterhin mit aller politischen Dringlichkeit. Selbiges gilt für den Umstand, dass sich der destruktive Klimawandel unter den Bedingungen einer weiterhin existierenden, ressourcenintensiven und profitorienierten, globalen kapitalistischen Produktions- und Lebensweise, die staatlich-autoritär nach Innen und Außen abgesichert wird, menschheitsbedrohend weiterentwickeln wird.

Dass dieses von mündigen Menschen in einer Demokratie kritisch wahrgenommen und problematisiert wird, ist eine politische Selbstverständlichkeit, die wertschätzend gewürdigt muss und nicht kriminalisiert werden darf. Entsprechend müssen die §129 StGB Verfahren gegen die Mitglieder der „Letzten Generation“** sofort eingestellt und darüber hinaus die staatlichen “Ausspäh- und Kriminalisierungsparagraphen” §129, §129a und §129b StGB ersatzlos abgeschafft werden, um den Raum für eine breite gesellschaftspolitische Debatte über global-solidarische Umgangsweisen mit der Klimakrise jenseits plumper konservativer Kriminalisierungsversuche zu öffnen.

Lars Bretthauer, Berlin

*Ich danke jenen Mitgliedern des offenen Verteilers der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung, die den ersten Entwurf dieser Stellungnahme begleitend kommentiert haben, für ihre hilfreichen Anregungen.

** Neue Entwicklungen rund um die LG können auf deren twitter-Profil nachvollzogen werden [–> LINK]

Staatliche Repression und Überwachung #2

Fussballfans gegen Chatkontrolle

Viele staatliche Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen wurden und werden zuerst an Fussballfans ausprobiert, sei es die Erstellung von “Gefährder”-Datenbanken oder das sogenannte “crowd management” im und rund ums Stadion. Erfreulicherweise mischen sich jetzt Fanverbände auch in den aktuellen Konflikt um die Einführung einer Chatkontrolle auf europäischer Ebene ein und haben hierzu einen offenen Brief verfasst, der sich gegen die neuen Kontrollmaßnahmen positioniert. Die Verbände kritisieren zu Recht, dass der vielfach genannte Einführungsgrund der Kontrolle der vermeintliche “Kinder- und Jugendschutz” sei (viele Jugend- und Kinderschutzverbände widersprechen jedoch schon dieser Annahme) – es drohe jedoch zusätzlich eine Ausweitung der Echtzeitkontrolle auf die Fussballfanszenen, die nicht hinzunehmen sei:

“Denn Fußballfans sind schon heute enormen Überwachungsmaßnahmen und Grundrechtseinschränkungen durch die Polizei ausgesetzt. Martialische Polizeieinsätze, Einschränkungen von Bewegungs- und Reisefreiheit sowie Hausdurchsuchungen sind nur einige der Maßnahmen, die gegen Fans eingesetzt werden. Mit der Chatkontrolle könnten die Ermittlungsbehörden noch tiefer als bislang ohnehin schon in das Alltagsleben von Fans eindringen. Einmal eingeführt, befürchten wir einen starken Missbrauch der Chatkontrolle gegen die Sub- und Jugendkultur von Fußballfans, der insbesondere angesichts abnehmender Straftaten in den Stadien einfach nicht vertretbar ist. Die frei und selbstbestimmte Fankultur, wie wir sie bislang kennen, ist dadurch direkt bedroht.” [–> OFFENER BRIEF]

Gesetz gegen digitale Gewalt

Seit April laufen die Beratungen für ein neues Gesetz gegen digitale Gewalt. Im Juni gab es dazu eine Reihe von Stellungnahmen zivilgesellschaftlicher, netzpolitischer und juristischer Organisationen, die zwei Punkte besonders hervorhoben: (1) auch wenn es viele Alltagsbeispiele wie antifeministische Beleidigungen und Bedrohungen im Netz oder Identitätsdiebstahl gibt, gegen die ein solches Gesetz intuitiv Sinn macht, sei der Begriff der “digitalen Gewalt” in den bisherigen Plänen der Bundesregierung völlig unzureichend definiert. Dies habe zur Folge, dass der Begriff strafrechtlich bis weit in die Grauzonen digital vermittelter und tendenziell uneindeutiger digital vermittelter Konflikte erweitert werden könnte, was unbedingt zu verhindern sei. (2) werde zwar öffentlich mit dem Schutz von Persönlichkeitsrechten argumentiert, de-facto lasse der Gesetzesentwurf aber zu, dass der Begriff der digitalen Gewalt auch auf Rechtsgüter wie geistiges Eigentum ausgeweitet werden, und damit eine wirtschaftspolitische Wendung erfahre. Diese lehnen die meisten Verbände ab. Eine sehr gute Zusammenfassung des Gesetzgebungsverfahren gibt der Artikel von Constanze Kurz auf netzpolitik.org. [–> ARTIKEL]

Widerstand gegen die staatliche Überwachung der Letzten Generation

Nachdem im Mai 2023 öffentlich bekannt wurde, dass von staatlicher Seite auf der Grundlage eines $129-Verfahrens zur Gründung einer kriminellen Vereinigung gegen die öko-aktivistische Gruppe der “Letzten Generation” ermittelt wird, wurde kurz danach bekannt, dass das Pressetelefon der Gruppe über Monate abgehört wurde, um an Informationen zu gelangen. Mittels des Pressetelefons kommuniziert die Gruppe mit interessierten Journalist*innen.

Da die monatelange Überwachung der Gespräche zwischen Aktivist*innen und Journalist*innen ein bewusster staatlicher Eingriff in die Pressefreiheit ist, haben nun drei betroffene Journalisten einen Antrag auf Prüfung der von der Münchener Generalstaatsanwalt veranlassten Maßnahme gestellt. Begründung: die Pressefreiheit werde untergraben: “Ronen Steinke, rechtspolitischer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, sagt: „Journalistengespräche abhören, ununterbrochen, monatelang, und die Abgehörten auch hinterher darüber im Dunkeln lassen – ein solcher Übergriff des Staates höhlt die Pressefreiheit aus. Vertrauliche Gespräche sind für unabhängigen Journalismus essenziell.“ [–> ARTIKEL]

Stellungnahme: “Strukturellen Rassismus in den Sicherheitsbehörden ernst nehmen und bekämpfen. Solidarität mit der Lehrbeauftragten Bahar Aslan in NRW*”

Der Fall von Bahar Aslan, einer Lehrbeauftragten für “interkulturelle Kompetenzen” an einer Polizeihochschule in NRW, hat in den letzten Wochen hohe Wellen in der deutschen Öffentlichkeit geschlagen [–> BERICHT]. Aslan hatte Ende Mai auf twitter aus rassifizierter Perspektive ihre Angst und die ihres Freundeskreises vor der deutschen Polizei beschrieben:

„Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freund*innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land. Polizeiproblem.”

Darauf erfolgte – maßgeblich ausgelöst durch einen Artikel im Focus [–> NACHBERICHT] – ein rechter Shitstorm gegen Aslan in den sozialen Medien wegen “pauschaler Verunglimpfung der Polizei”, an der sich auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei NRW an vorderster Front beteiligte. Daraufhin entschied die Polizeihochschule, Aslans Lehrauftrag nicht zu verlängern.

Aus einer gesellschaftskritischen, sozialwissenschaftlichen Perspektive auf das Feld Innere Sicherheit, die sich in vielfältiger Form mit den Themen Rassismus und Staatsgewalt in Deutschland beschäftigt, ist dieses Vorgehen der Polizeihochschule in mehrfacher Hinsicht nicht nachvollziehbar.

Denn Aslans rassismus- und polizeikritische Äußerungen stellen keine vereinzelte Perspektive dar, sondern gehören zum gängigen Kanon einer polizeikritischen Debatte in Deutschland. Dieser Kanon bezieht eine Betroffenenperspektive genauso ein wie eine sozialwissenschaftlich-analytische Debatte um den sogenannten „strukturellen bzw. institutionellen Rassismus“ in den Sicherheitsbehörden.

Diese Debatte profitiert massiv von den Erfahrungen außeruniversitärer, antirassistischer Bildungs- und Forschungsarbeit – hierzu zählen u.a. das Forschungsprojekt “Death in Custody” [–> LINK] und antirassistische Gruppen und Initiativen wie die “KOP – Kampagne für die Opfer rassistischer Polizeigewalt” [–> LINK] – und hat über socialmedia-Hashtags wie „#polizeiproblem“ [–> TWITTERÜBERSICHT] auch Eingang in die öffentliche Debatte gefunden.

Öffentlichkeitswirksam existiert die Debatte spätestens seit dem von der Oury-Jalloh-Initiative über Jahre angeklagten Mord an Oury Jalloh in einer Polizeistation in Dessau. Sie war aber auch bei der nachträglich festgestellten, über V-Leute bestehenden Verflechtung zwischen den Landesverfassungsschutzämtern und dem rechten Terrornetzwerk des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ein zentrales Thema, und wurde durch den Abruf von Adressdaten aus Polizei-Computern und dem darauf erfolgenden Verschicken von Morddrohungen durch den NSU 2.0 erneut diskutiert.

Schließlich gelang es der Black-Lives-Matter Bewegung mit ihrer Zurückweisung rassistischer Polizeikontrollen (racial profiling) sowie ihrer scharfen Forderung nach einem sofortigen Ende von Polizeigewalt, die bis zum Mord an rassifizierten Personen reicht, das Thema strukturell-rassistischer Strukturen in den deutschen Sicherheitsbehörden bundesweit auf die politische Agenda zu setzen.

Es ist daher umso beschämender, wenn sich die Leitung der Polizeihochschule nun einem rechten Internet-Mob und konservativen Polizeipolitiker*innen unterwirft, die partout keine Kritik an den deutschen Sicherheitsbehörden dulden wollen – ja, diese antidemokratisch mundtot machen will. Die politisch Verantwortlich reihen sich damit in die Gruppe derjenigen ein, die aus obrigkeitsstaatlicher Haltung oder privilegierter und „weissdeutscher“ Perspektive nicht Willens sind, den vielfältigen Schilderungen von Betroffenen aus ihrem rassistischen Alltag in Deutschland, auch im Umgang mit der Polizei, ernsthaft Gehör und Glauben zu schenken.

Es zeugt von einem antidemokratischen und antipluralistischen Geist, diese marginalisierten und von Diskriminierung betroffenen Stimmen, wie nun passiert, von den Hochschulen zu verdrängen, anstatt sie anzuhören und in selbstkritische Reflexionsprozesse einzutreten. Vor diesem Hintergrund muss der bis heute nicht zurückgenommene Ausschluß von Bahar Aslan von ihren Lehraufgaben dringend zurückgenommen werden und das dieser Entscheidung zu Grunde liegende strukturkonservative Wissenschaftsverständnis grundlegend hinterfragt werden. Solidarität mit Bahar Aslan!**

Lars Bretthauer, Berlin

*Ich danke jenen Mitgliedern des offenen Verteilers der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung, die den ersten Entwurf dieser Stellungnahme begleitend kommentiert haben, für ihre hilfreichen Anregungen.

** Für aktuelle Entwicklungen in diesem Fall bitte Bahar Aslan direkt auf twitter folgen [–> LINK]