SPENDENAUFRUF FÜR DIE HINTERBLIEBENEN VON HANAU
Die Bildungsstätte Anne Frank, der Verband der Beratungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, die Initiative 19. Februar Hanau und die Amadeu Antonio Stiftung rufen gemeinsam zu Spenden auf: “Jetzt benötigen die hinterbliebenen Familien und die lokalen Unterstützungsnetzwerke konkrete materielle und finanzielle Solidarität, um die ökonomischen Folgen des rassistischen Anschlags auch nur annähernd bewältigen zu können. Mit Ihrer Spende leisten Sie einen wichtigen Beitrag für dringend benötigte Soforthilfe, beispielsweise für Trauerfeiern, Akutversorgung und unmittelbare finanzielle Schäden. Und für eine langfristige Unterstützung Betroffener und Hinterbliebener. Für die Eltern und Geschwister, für Kinder und Freund*innen gab es ein Leben vor diesem Tag – und es muss ein Leben danach geben.” –> LINK ZUM SPENDENAUFRUF
“WIR SIND HIER. ES REICHT! DEUTSCHLAND HAT EIN RASSISMUSPROBLEM”
DIE ZEIT hat unter dem Titel “Wir sind hier. Es reicht! Deutschland hat ein Rassismusproblem” die Stellungnahmen von 142 in Deutschland lebenden Personen zusammengeführt, die von Rassismus betroffen sind und sich nun zum Attentat von Hanau äußern.
Für viele ist das Attentat von Hanau keine Überraschung, sondern eine Fortführung rassistischer Erfahrungen im Alltag.Gleichzeitig mischt sich in die Trauer über die Opfer auch die Wut über die politischen Strukturen in Deutschland, die das Attentat von Hanau ermöglicht haben.
Und es wird angesichts des Nachfragens einer kollektiven “Opferperspektive” auch die Frage nach der kollektiven “Täterperspektive” gestellt.
–> LINK ZU SÄMTLICHEN STELLUNGNAHMEN IN DER ZEIT
TRAUER- UND GEDENKKULTUR
Die ZEIT-Autorin Mely Kiyak kritisiert in einem Beitrag zum Attentat von Hanau die fehlende Gedenk- und Trauerkultur für die Opfer und deren Hinterbliebenen. Es gebe keine mehrtägige Staatstrauer wie in anderen Staaten, vor allem aber habe die Bundesregierung jegliche Form der persönlichen Anwesenheit und Trauerunterstützung bei den betroffenen Familien vermissen lassen:
“Schade, dass die Kanzlerin nicht da ist. Dass sie nicht nach Hanau fährt und die Eltern in den Arm nimmt. So wie damals die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern in Christchurch. Die band sich ein Kopftuch um (obwohl das keiner der Hinterbliebenen erwartete), ging in die Al- Noor Moschee, dem Tatort und nahm die hinterbliebenen Frauen in den Arm. […] Warum geht die Kanzlerin nicht zu den Opfern? Warum konnte sie nach dem Attentat auf die Synagoge in Halle am gleichen Abend in die Neue Synagoge in der Oranienburgerstraße gehen? Und jetzt nach Hanau geht sie nirgendwohin? Wieso ist niemand von der Regierung zu den Opfern gegangen? Warum hat der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Hanau auf einem Marktplatz gesprochen und die Hinterbliebenen waren gezwungen ihm zu applaudieren? Warum ist er nicht zu den Hinterbliebenen nach Hause gegangen und hat ihre Hand gedrückt? Warum steht er auf dem Marktplatz und legt Blumen auf den Boden, wo doch die Eltern ein paar Hundert Meter weiter wohnen. Da geht man doch hin und klingelt. Und entschuldigt sich für das Fehlen der Kanzlerin, richtet Grüße aus, zieht die Schuhe aus, setzt sich ins Wohnzimmer und trinkt gemeinsam mit ihnen Tee. Und so macht man das bei allen Familien der Hanauer Bürger, die starben. Das waren nämlich, bis auf den Rumänen, der war dienstlich in Deutschland, alles Hanauer Bürger.” –> LINK ZUM ARTIKEL
SOLIDARITÄTS-DEMO IN HANAU
Am Samstag, den 22.2.2020 fand in Hanau eine bundesweite Solidaritäts- und Erinnerungsdemo für die Opfer und Hinterbliebenen des dortigen Terroranschlag statt. Es nahmen ca. 6.000 Menschen teil.
AFD-VERBOT ODER AFD ALS SYMPTOM EINES DEUTSCHEN RASSISMUS?
In den letzten Tagen wurde immer wieder ein Verbot der AfD gefordert. Georg Diez fordert jetzt in der taz, weniger die AfD, sondern vor allem den dahinterstehenden Rassismus als deutsche Kontinuität anzuerkennen und zu bekämpfen – alles andere sei scheinheilig.
Denn “die AfD ist nur ein Symptom für eine viel tiefer reichende illiberale und demokratiefeindliche Tradition in der deutschen Gesellschaft. Sie ist die Ausprägung eines Rassismus, der sich nach 1945 eine andere Form und Gestalt gesucht hat und immer präsent war: im Diskurs über die sogenannten Gastarbeiter seit den 1960er Jahren und das kommunale Wahlrecht in den 1980er Jahren, die Brandanschläge der 1990er Jahre und die folgende Verschärfung des Asylrechts. Die AfD ist die parlamentarische und politische Form für etwas, das sehr viele Menschen in diesem Land denken, und die Trennlinie ist nicht so sauber zu ziehen, wie es sich die vorstellen, die von Verbot reden oder wenigstens von klarer Abgrenzung.
Um den Widerspruch klarzumachen: Diejenigen, die nun das Verbot der AfD fordern, sind oft genau diejenigen, die in der Eurokrise von 2010/2011 die rassistische Logik der „faulen Griechen“ etablierten – aus dieser Zeit, aus dieser Logik stammt die AfD. Es sind diejenigen, die im Sommer 2015 und danach davor warnten oder sich entschieden dagegen engagierten, dass Deutschland seinen Teil der Verantwortung für die Geflüchteten in Europa trug und eine menschliche Politik machte. Es sind diejenigen, die immer nach Integration und Leitkultur riefen, wenn sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gefahr sahen, und dann doch dafür stimmten, wichtigen zivilgesellschaftlichen Projekten und Institutionen die finanziellen Mittel zu streichen.
Kurz gesagt: Diejenigen, die nach den Morden von Hanau im Verbot der AfD eine Lösung für die rassistische und rechtsextreme Bedrohung in diesem Land sehen, sind vor allem die, die in den vergangenen Monaten und Jahren selbst ihren Teil dazu beigetragen haben, dass sich Rassisten in diesem Land wieder sicher fühlen dürfen, zu hetzen und zu morden. Und das macht den Diskurs über die AfD auch so verlogen: Wer neun Morde braucht, um zu verstehen, wie menschenverachtend die AfD ist und war, hat ein sehr eingeschränktes Verständnis von Humanität, Wahrheit und Würde.” –> LINK ZUM ARTIKEL
STAATLICHE VERFOLGUNG DES RECHTSTERRORISMUS
Die ZEIT-Autorin Mely Kiyak schließt in ihrem Beitrag zu Hanau an jene Positionen an, die ein hartes Durchgreifen des Staates gegen rechtsradikale Strukturen und neo-faschistische Gewalt fordern: “Auf die Gewalt der Straße müsste man mit staatlicher Gewalt antworten. Sonst wird das nie aufhören. Es kann nur noch darum gehen, das zu beenden, zu ersticken. Und nicht daraus zu lernen oder – noch grotesker – eine Lehre daraus zu ziehen. Die Gewalt des Staates muss so massiv und angsteinflößend sein, dass alle Sympathisanten, die der Ideologie des Attentäters heimlich zustimmen, sich vor Angst in die Hose scheißen. Gewaltbereite, bewaffnete Nazis verstehen nur diese Sprache. Und ihre jämmerlichen Wähler ebenso. Man kann Terror nicht mit Beileidsbekundungen und Hashtags und Mahnwachen in Schach halten. Trauer und Solidarität ersetzen keine politischen Handlungen. Politik wird mit Politik gemacht.” –> LINK ZUM ARTIKEL
NSU-KOMPLEX UND NSU-AKTEN
Der NSU-Komplex ist weiterhin nicht aufgeklärt. Nachdem die Justiz die Einzeltäter-These verfolgt hat, fordern Beobachtungs-Initiativen wie die antifaschistische und antirassistische NSU-Watch weiterhin eine grundlegende Aufdeckung der rechten Netzwerke in Staat und Gesellschaft, die zum NSU geführt haben. –>LINK ZUR SELBSTDARSTELLUNG VON NSU-WATCH
Eine besondere Rolle spielen dabei die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, insbesondere die Ämter für Verfassungsschutz. Das NSU-Tribunal schreibt hierzu in ihrer Anklageschrift:
“Der NSU bestand aus einem „Netzwerk von Kameraden“, und eben dieses erfuhr eine vielfältige Unterstützung durch die Sicherheitsbehörden. Nicht wenige Handlungen und Taten des NSU wurden durch die indirekte Unterstützung in Form staatlicher Gelder an V-Personen ermöglicht, mit denen Nazistrukturen auf- und ausgebaut wurden. Schon um die Jahreswende 1996/1997 warnte das BKA unter dem markanten Begriff des „Brandstiftereffektes“ vor der Radikalisierung der Nazi-Szene durch V-Personen des Bundesamts für Verfassungsschutz. In dieser Zeit bildeten sich erste Keimformen des NSU heraus.” –> LINK ZUR ANKLAGESCHRIFT DES NSU-TRIBUNALS
Zentraler Bestandteil einer Aufklärung ist die Offenlegung der NSU-Akten, die z.B. in Hessen mit einer Sperrfrist von 120 Jahren versehen wurden. Bereits 2018 fragte der Autor Lars Wieland diesbezüglich “Warum bleibt die NSU-Akte 120 Jahre unter Verschluss?”. An der Frage hat sich bis heute nichts geändert, ihre Beantwortung wird nach den Attentaten von Hanau nur umso drängender –> LINK ZUM ARTIKEL