Umbenennung des Heinrichsplatz in Kreuzberg in Rio-Reiser-Platz

Ich hatte gestern eine längere Debatte über die Einweihung des „Rio-Reiser-Platzes“ in Kreuzberg, Ex-Heinrichsplatz. Ich war dagegen, primär weil sich Kiez-Anwohner*innen darüber beschwert haben, dass eine Art linke Folklore um Rio und Ton Steine Scherben in Kreuzberg etabliert wird, während sie selbst einem massiven Gentrifizierungs- und Verdrängungsdruck unterliegt und wegziehen müssen. Im Ergebnis empfinden viele Leute rund um den Ex-Heinrichsplatz die “linke” Platzumbenennung als „zynisch“ – auch weil natürlich linke Folklore selbst teil von Gentrifizierungs- und Aufwertungsprozessen ist.

Hinzu kommt, dass Akteure, die eigentlich etwas gegen Gentrifizierungsprozesse und die kapitalistische Zurichtung Berlin tun müssten, es aber nicht tun, weil sie selbst Teil eines neoliberalen Blocks sind, in dem Prozess der Umbenennung stark sichtbar sind und das „links sein“ für sich reklamieren. Symbolisch kann hier vielleicht die Beteiligung von Claudia Roth von den Grünen bei der heutigen Umbenennungsfeier genannt werden. Roth, die Teil der HartzIV-Regierung war, die zur massenhaften Verarmung von Leuten geführt hat; Roth, die Mitglied bei den Grünen ist, die in Berlin den Enteignen-Volksentscheid nicht konsequent umsetzen, sondern sich von der Giffey-und-Geisel-SPD am kapitalorientierten Gängelband durch die Koalitions-Manege führen lassen; Roth, die mal Managerin von Ton Steine Scherben und damit direkter Teil der Geschichte von Rio Reiser und linker Kulturproduktion in D war; und Roth, die jetzt in der neuen Ampel-Regierung die Kulturbeauftragte ist, und die nun für sich behaupten kann, dass in ihrer Amtszeit die Umbenennung des Platzes in „Rio-Reiser-Platz“ stattgefunden hat, und somit durchaus „progressive Dinge“ passieren. Was natürlich nicht so ist. Die Gentrifizierung Berlins geht immer weiter voran, mit allen bitteren sozial- und kulturpolitischen Folgen.

Mein Gesprächspartner fand meine Position zu negativ und defätistisch, und hat darauf beharrt, dass es wichtig ist, von links in solche Prozesse zu intervenieren, und nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Auch weil jener “Heinrich”, nach dem der Platz bisher benannt war, wahrscheinlich ein König war. Haha, good point. Und er hat die Frage gestellt, was denn eine adäquate linke Aktions- und Praxisform gegen und in eine neoliberale Stadtpolitik mit linkem und linksliberalem kulturpolitischen Anstrich ist, die aber systematisch die sozialpolitische Frage ausblendet.

Die Frage fand ich sehr berechtigt, aber mehr als (a) ein Dixi-Klo während der Einweihungsfeier auf den Platz zu schieben und anzuzünden und anzuzeigen, dass das eine angemessene Form wäre, um Rio und den Scherben in der aktuellen Situation Berlins zu gedenken, oder (b) ein Transpi zu malen, auf dem steht „Wir brauchen keinen Rio-Reiser-Platz – Wir müssen hier raus!“ oder (c) das „Reiser“ mit „Grande“ zu überkleben, ist mir auch nicht eingefallen 😉.

Vielleicht fällt euch ja was ein. Ich hab diesen Beitrag nur geschrieben, um zu kommunizieren, dass die Platzumbenennung sehr umstritten ist, und dass ihr Euch nicht unmittelbar folkloristisch abholen lasst, wenn ihr die Plakate für die Einweihungsveranstaltung seht oder von der Umbenennung hört.